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Wien nicht mehr lebenswerteste StadtOida, wos is mid eich!?

Wien ist laut einem Ranking nicht mehr die lebenswerteste Stadt der Welt, fällt sogar aus den Top Ten. Wie konnte das passieren?

Im EIU-Ranking werden Proteste eher negativ gewertet Foto: Guo Chen/Photoshot/picture alliance

M it dieser Stadt ist es wie mit einem neuen Partner, von dem der Freundeskreis zunächst nicht so begeistert ist: Was willst du mit dem? Der ist total langweilig! So muss sich, wer von woanders nach Wien zieht, die Frage gefallen lassen: Wien? Was willst du da? Zum Glück gibt es Lebenswerte-Städte-Rankings.

Denn beim aktuellsten Ranking des Beratungsunternehmens Mercer wurde Wien 2019 zum zehnten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Das überrascht kaum: Viel Kultur und viele Grünflächen, zuverlässiger öffentlicher Personennahverkehr, das Wohnen ist nicht dem Markt überlassen, das Leitungswasser kommt aus Gebirgsquellen der steirisch-niederösterreichischen Alpen, und jetzt stellt die Stadt auch noch Nebelduschen in Parks auf, damit man sich an heißen Sommertagen erfrischen kann.

Diese Woche aber ist Ungeahntes geschehen: Bei einem zweiten Ranking, dem des Unternehmens The Economist Intelligence Unit (The EIU) ist Wien nach drei Jahren an der Spitze auf Platz 12 gerutscht. Wie konnte das passieren? Heast, Oida, wos is mid eich!?

Neuer Spitzenreiter ist Auckland. Für das Ranking vergeben Analysten und Mitarbeiter vor Ort Punkte in den Bereichen Stabilität, Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur. Auch externe Daten werden her’ngezogen. Die Autoren schreiben, dass die Pandemie die diesjährige Bewertung beeinflusst habe. Dabei hätten neuseeländische und aus­tra­li­sche Städte (vier davon in den Top Ten) davon profitiert, dass sie sich in der Pandemie relativ gut isolieren konnten.

Demokratie als Bedrohung

Was die Frage aufwirft, zu welchen Zwecken das Ranking erfolgt. Die EIU, die auch Risikoanalysen erstellt, schreibt, dass es Städten dabei helfe, Investoren anzusprechen. Am Ende interessiert die Lebenswertigkeit einer Stadt also vor allem als ökonomischer Standortfaktor im globalen Wettbewerb. So werden im EIU-Ranking Proteste gegen Rassismus und für bessere Lebensstandards unter dem negativen Gesichtspunkt der Stabilität („Threat of civil unrest/conflict“) und nicht unter dem der Demokratisierung bewertet.

Und das erklärt möglicherweise auch, warum Wien traditionell so gut abschneidet, obwohl die Stadt voll von rechtsextremen Burschenschaften ist, obwohl sich hier Völkische aus Österreich und anderen Ländern beim sogenannten Akademikerball jährlich zu Walzer und Vernetzung treffen. Auch das sollte relevant für die Lebensqualität einer Stadt sein. A bisserl sollte man also schon auf die Freunde hören.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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1 Kommentar

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  • So vorbildlich, wie es aus der Ferne scheint, ist Wien in vielen Belangen nicht. Der ÖPNV steht perspektivisch vor dem Zusammenbruch, nachdem seit Jahren die Unterhaltung des Schienennetzes vernachlässigt wird. Neue Wohnungen entstehen im großen Stil ohne ÖPNV-Anschluss und fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeiten. Wer nicht das Glück hat, einen Platz in einer Gemeindewohnung zu bekommen und sich keinen Genossenschaftsbeitrag leisten kann, muss ähnlich hohe Mieten wie in deutschen Großstädten zahlen und hat meist einen auf drei Jahre befristeten Mietvertrag.

    Die gefeierten Nebelduschen sind propagandistisch gut verwertbar, aber ein Tropfen auf den heißen Stein, ansonsten tut Wien wenig gegen den Klimawandel und für Klimaanpassung. Bezeichnend: es möchte für eine neue Autobahn viermal so viel ausgeben wie für Maßnahmen der Klimawandelanpassung.

    Es würde mich freuen, wenn deutsche Journalisten mal nicht einfach die Propaganda der Stadtregierung nachplapperten, sondern sich kritisch mit den Verhältnissen in Wien auseinandersetzten.