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■ Denkverbote der Grünen in der Diskussion um die PDS tragen dazu bei, daß der Kanzler noch lange derselbe bleibtWie kann Kohl abgelöst werden?

Als die PDS in den zurückliegenden Wahlen mit der Aussage antrat, eine Stimmabgabe für die PDS sei ein Votum für eine Stärkung der Opposition, da wurde ihr von den anderen Parteien vorgeworfen, sie drücke sich vor der „Verantwortung“ in einer parlamentarischen Demokratie.

Doch als die PDS sich in Sachsen-Anhalt zur Tolerierung der Minderheitsregierung von SPD und Grünen bereit fand, teilten sich schon die Kommentare: Während die einen ihr weiterhin mangelnde Bereitschaft zur Übernahme von „Verantwortung“ vorwarfen, begannen die anderen, genau davor zu warnen. Seitdem in der PDS die Debatte darüber angefangen hat, ob ihr Stimmenzuwachs im Osten sie dazu veranlassen müßte, die Chancen einer Zusammenarbeit mit SPD und Grünen auszuloten, schnellen fast überall abwehrende Hände hoch: Die PDS ist nicht koalitionsfähig, vor allem aus moralischen Gründen!

Es mag sein, daß die PDS noch viel im Umgang mit sich selbst, mit ihren politischen Konkurrenten und mit der gesellschaftlichen und politischen Verfaßtheit der Bundesrepublik lernen muß. Sicher ist aber, daß die anderen dies auch müssen. Ihr Umgang mit der PDS ist – bis auf Ausnahmen – nicht ehrlich, nicht von den politischen Notwendigkeiten, sondern vom parteitaktischen Kalkül bestimmt.

Selbst diejenigen, die – wie Kerstin Müller und Jürgen Trittin – mit ihrer Absage zurückhaltender sind, bleiben meist bei einem anmaßend erzieherischen Grundton, der uns als bloßes Objekt ihrer Gedankenspiele behandelt. Allerlei Mahnungen und Weisungen werden uns erteilt, die die Grünen sich in besseren Zeiten verbeten haben, als die SPD sie noch an ihre Adresse richtete. Offenbar sind die Denkverbote und Zwänge so groß, daß sie sich allenfalls zur gleichermaßen banalen wie eigensüchtigen Floskel durchringen können, man dürfe die PDS nicht länger ausgrenzen, weil es ihr WählerInnen „zutreibt“, man müsse sich mit ihr auseinandersetzen – ohne dies in der Sache endlich zu beginnen.

Die PDS könnte es sich einfach machen: Da die anderen nicht mit ihr zusammenarbeiten wollen, braucht sie dieses Thema auch nicht erörtern. Sie könnte – wenn sie die Angelegenheit ebenfalls nur taktisch und zur Aufrechterhaltung innerer Ruhe behandeln würde.

Die Frage richtet sich aber an alle drei Oppositionsparteien in Bonn, ob und wie sie dazu beitragen werden, eine Reformstimmung in der Bevölkerung hervorzurufen und eine Regierung in den Ruhestand zu schicken, die zunehmend maßloser eine Umverteilung von unten nach oben betreibt, die an einer ökologischen Neuorientierung der Wirtschaftspolitik völlig desinteressiert ist, die das Grundgesetz zum Steinbruch macht, die patriarchalische Verhältnisse verfestigt beziehungsweise restauriert und die die östlichen Bundesländer wie eine billig ersteigerte Immobilie behandelt, in der sich überflüssigerweise auch noch Leute tummeln.

Die PDS hat in allen diesen Bereichen Vorschläge erarbeitet, die für eine Reformalternative stehen. Welche Schnittmengen und welche Differenzen es dabei mit der SPD und mit den Grünen gibt, bliebe einer detaillierten Diskussion vorbehalten. Diese wird aber von den anderen beiden Oppositionsparteien gescheut.

Vielleicht deswegen, weil sich die Frage der Verläßlichkeit dann eher an ihre Adresse richten würde? Denn wie zuverlässig ist die SPD, wenn die WählerInnen sie praktisch vor die Alternative stellen, in der Großen Koalition mit der Christdemokratie den Sozialraub fortzusetzen oder in Zusammenarbeit mit Grünen und PDS für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen? Und wie verläßlich sind die Grünen, wenn sie vor der Alternative stünden, zusammen mit der PDS ein stärkeres Gewicht in die Waagschale werfen zu können, um die Emanzipation der Geschlechter voranzutreiben, oder ohne sie die Kompromisse täglich lauer zu gestalten? SPD und Grüne mögen sich ja wünschen, daß ihnen diese Alternative erspart bleibt – aber was, wenn nicht?

Nicht die Thematisierung einer Reformalternative von SPD, Grünen und PDS sichert den Konservativen den Fortbestand ihrer Macht über die Jahrtausendwende hinaus, sondern die gedankenlose Zurückweisung dieser Debatte. Wenn Joschka Fischer im Spiegel sagt, ihm sei eine Zusammenarbeit mit der PDS „nicht zumutbar“, dann ist zu fragen, seit wann die Befindlichkeiten grüner Politiker ausschlaggebend sein dürfen, lieber die Regierung so zu lassen wie sie ist.

Das heißt nicht, daß ich die Gefühle von BürgerrechtlerInnen oder SozialdemokratInnen nicht verstehe. Es bedeutet nur, diese nicht zum Maßstab von Politik zu machen und nicht als Ausrede für den Verzicht auf notwendige gesellschaftliche Veränderungen zu nutzen. Für eine Partei mit Anspruch auf politische Reformen wäre das verantwortungslos den Menschen gegenüber, die ihre Stimme den Grünen oder der SPD ja nicht deswegen geben, damit alles beim alten bleibt.

Mit einiger Vernunft kann die PDS es schaffen, die Fehler zu vermeiden, die die Grünen bei ihrer Debatte um Opposition, Tolerierung und/oder Koalition auf allen Flügeln gemacht haben, nämlich diese Debatte überwiegend ideologisch zu führen, als Glaubensstreit um den „einzig richtigen“ Weg. Es kann der PDS nicht darum gehen, eine positive oder negative Rangfolge im Gebrauch dieser Mittel zuzulassen. Je nach politischer Konstellation, die aus einer Wahl hervorgeht, je nach gesellschaftlicher Bewegung, die Druck auf die Parteien entfaltet, je nach dem Ausmaß der Übereinkünfte, die zwischen den betreffenden Parteien erzielt werden können, wird die PDS entscheiden müssen, welche Rolle mehr zur Durchsetzung der von ihr vertretenen Anliegen beiträgt.

Demokratische SozialistInnen werden weiter lernen, mit den zu lösenden Problemem pragmatisch umzugehen. Das nimmt ihren grundsätzlichen Auffassungen nicht den oppositionellen Charakter in Gesellschaft und Parlamenten – dafür sorgen schon ihre politischen GegnerInnen. Gregor Gysi

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