Wettlesen in Klagenfurt: Mehr Trümmer erwünscht
Der erste Vorlesetag beim Bachmannpreis brachte Tiger und Christentum, Wortakrobatik und Systemwechsel mit sich.
Leicht verwechselt man in Folge Mundart mit Ingeniösität, denn neugeschöpft hat Höfler im Gegensatz zu den Kolleg:innen Elfriede Jelinek, Gerd Jonke oder Ferdinand Schmalz eher weniger. Es gibt Komposita en masse, Wörter wie „Pillepalle“ und „Kinkerlitzchen“ werden mit Nachdruck vorgetragen. Immerhin, man freut sich über das Experimentelle, den Genrefaktor, den Höfler mit seinem Dada-Dokument in den ersten Wettbewerbstag einbringt.
Fatima Khan, die als erste an diesem Donnerstagmorgen liest, bringt einen autofiktionalen Text mit, liefert gleich ein Rundumpaket, bei dem Vorstellungsvideo (in einer Kirche) und Lesung (mit Marienstatue und gefalteten Händen) zueinander passen.
Es gibt gute Gedanken in „Madonna in den Trümmern“, über christliche Rebellion gegen den Vater, über Architektur, doch so ganz überzeugen kann der Text nicht. Brigitte Schwens-Harrant hätte sich „mehr Trümmer“ gewünscht und Philipp Tingler gefallen die Lyrik-Einsprengsel nicht; er sei aber auch mehr „der prosaische Typ“. Die Stärke des Texts, laut Mara Delius: „Er ist komplett“.
Weniger polemisch als konstruktiv
Man geht recht lösungsorientiert heran, an die Juror:innenaufgabe in Klagenfurt. Und klar, das liegt auch an der Geschichte des Wettbewerbs, der nach dem Vorbild der Gruppe 47 entstand; Leserunden als Werkstattgespräche. Den Juror:innen sind die Texte im Vorfeld bekannt, die Statements vorbereitet, Gefühlsausbrüche wirkten leicht manieriert. Es geht weniger polemisch als konstruktiv zu – was das Ganze mitunter allerdings auch ein bisschen langweilig macht.
Man wundert sich dann jedoch umso mehr, welche kategorialen Einteilungen so vorgenommen werden. Kastberger etwa spricht im Kontext von Nefeli Kavouras' Geschichte „Zentaur“ vom Genre der „Sterbetexte“ – und dieser sei einer der besten in den letzten Bachmannjahren gewesen. Man kann Ordnungen natürlich anhand inhaltlicher Merkmale vornehmen. Mit Kritik im engeren Sinn hat das jedoch nicht unbedingt etwas zu tun.
Dass es in Klagenfurt in puncto Konstruktivität weniger wie im Literarischen Quartett als im Literaturinstitut zugeht, wird auch bei der Lesung Laura Laabs deutlich. Sie erwehrt sich des Vorwurfs, ihr Text sei auf einen Knalleffekt hin komponiert, meldet sich noch während der Jurydiskussion zu Wort. Dabei beginnt ihr Text für Bachmann-Verhältnisse alles andere als kontrovers. Kindheit, Wende und das ostdeutsche Verhältnis zur Demokratie sind seit Jahren Staples im Kosmos deutschsprachiger Literatur.
„Adlergestell“ ist die Geschichte einer Mädchenfreundschaft in den Nachwendejahren. Die Protagonistinnen erleben den Systemwechsel als kindliche Konsumerfahrung, untermalt von Center-Shocks und Rolf Zuckowsky. Laabs, die sich vor allem als Regisseurin und Drehbuchautorin verdingt, weiß, wie man auf filmische Weise erzählt. Wenn die Mädchen durch eine verlassene NVA-Kaserne streifen und die Freiheiten des neuerlichen ostdeutschen Vakuums auf ihre Weise nutzen, denkt man an Clemens Meyer, an den Optimismus und das böse Erwachen in „Als wir träumten“.
Der Schluss enttäuscht
Was dann jedoch die Gemüter erhitzt, ist nicht etwa die stellenweise dahinplätschernde Prosa, sondern vielmehr der Schluss. Denn die Protagonistin entwickelt sich im Verlauf der Nachwendezeit nicht etwa zu einer durchdemokratisierten Vorzeigebürgerin, sondern zu einer Pegida-Anhängerin, die jetzt „neue Parolen gelernt hat“. Doch diese Entwicklung spart Laabs elliptisch aus und so erfahren wir erst ganz zum Schluss und ohne Konsequenz für den Text davon.
Mit diesem Faschismus als Deus-Ex-Machina kann die Jury wenig anfangen. Kritisiert wird die verkürzte Darstellung als Effekthascherei, die viel Potenzial verschenkt und dem ehrbaren schriftstellerischen Ansatz zuwider läuft: Ostdeutschland als unerzähltem Raum mit Geschichten zu füllen.
Sehr ambitioniert liest sich auch der letzte Text des ersten Bachmann-Tages. Verena Stauffers „Jäger von Chitwan“ beschäftigt sich in der Rahmenhandlung mit einer deutschen Touristin, die durchs nepalesische Hinterland und seine blutrünstige Tierwelt reist. Stauffer ist Lyrikerin und das merkt man ihrem Text auch an. Idiosynkratische Bilder bleiben trotzdem klar und alles hat einen guten, fein gearbeiteten Sound. Der dünne Plot dient eher als Rahmenhandlung für einen großen eingebetteten Essay, der sich, nun ja, so ziemlich mit allem beschäftigt.
Um was geht es hier eigentlich?, fragt Jurymitglied Philipp Tingler an einem Punkt und man fragt es sich auch. Stauffers Poesie ist Nature-Writing und postmoderne Dekonstruktion zugleich. Am stärksten ist der Text dann, wenn er sich traut, zu erzählen, von Nepal, von Tieren, von der vermeintlich gewaltvollen Natur des Menschen. In Stauffers Text spiegelt sich viel von der Hilflosigkeit, die auch Tenor von Nova Ebrahimis Eröffnungsrede war. „Die Jäger von Chitwan“ liefert keine Lösungen, sondern eher eine Kartografie, eine Taxonomie des Grauens gesellschaftlicher Realitäten unserer Zeit.
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