West-Raketen gegen Russland: Selenskyj fordert „mutige Schritte“

Kyjiw umschmeichelt die Briten, um den Druck auf die USA zu verstärken: Die Beschränkungen für den Einsatz westlicher Raketen sollen fallen.

Das Objekt der Begierde: Ein Storm-Shadow-Marschflugkörper, hier auf der Rüstungsmesse Le Bourget 2023 Foto: Benoît Tessier / reuters

BERLIN taz | Nach zwölf Tagen Offensive gegen Russland setzt die Ukraine auf verstärkte Schützenhilfe insbesondere aus Großbritannien. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videobotschaft am Samstag, er werde seine Bemühungen bei seinen Verbündeten intensiveren, um „auf mutige Schritte und Entscheidungen zu drängen, die den Verlauf dieses Krieges grundsätzlich verändern und zu einem gerechten Frieden und einem echten Ende führen“.

Gemeint ist damit vor allem der Wunsch, westliche Raketensysteme großer Reichweite ohne Einschränkungen für Schläge gegen militärische Ziele in Russland einsetzen zu dürfen.

In dieser Debatte geht es vor allem um die Marschflugkörper, die in Großbritannien als „Storm Shadow“ und in Frankreich als „Scalp“ bezeichnet werden und die seit 2023 an die Ukraine geliefert werden – mit einer auf 250 Kilometer reduzierten Reichweite und der Vorgabe, sie nicht auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Gleiches gilt für ATACMS-Raketensysteme aus den USA.

Mit Storm-Shadow-Raketen wurde danach immerhin ein Großteil der russischen Marinekapazitäten auf der besetzten Krim zerstört. Doch als der neue britische Labour-Premierminister Keir Starmer im Juli kurz nach seinem Wahlsieg sagte, es gebe keine Einschränkungen für den Einsatz aus Großbritannien gelieferter Waffen an die Ukraine gegen Ziele auf russischem Gebiet, musste er das wieder zurücknehmen.

Der Grund: Es fehlte eine Erlaubnis aus den USA, und das Raketensystem Storm Shadow enthält Komponenten aus den USA, Frankreich und Italien. Für den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele auf russischem Gebiet gaben die USA zwar Ende Mai 2024 grünes Licht, nach massiven russischen Angriffen auf die ukrainische Millionenstadt Charkiw – doch das betraf nur HIMARS-Artilleriesysteme im unmittelbaren Grenzbereich.

London wartet auf Antwort aus Washington

Nun steigt der Druck. Die britische Times berichtete am Samstag, eine britische Anfrage zur kompletten Storm Shadow-Freigabe liege seit einem Monat in Washington vor. Selenskyj nannte daraufhin namentlich die USA, Großbritannien und Frankreich als die Partner, von denen er „mutige Entscheidungen“ erwarte. „Insbesondere Großbritannien hat während dieses ganzen Krieges wahre Führung bewiesen“, sagte er. „Leider hat sich des in jüngster Zeit abgeschwächt. Wir werden diskutieren, wie wir das ändern.“

Großbritannien habe während des Krieges wahre Führung bewiesen, so Selenskyj.

Unter dem konservativen Premierminister Boris Johnson war Großbritannien zu Kriegsbeginn 2022 der wichtigste militärische Unterstützer der Ukraine hinter den USA. Später fiel es hinter Deutschland zurück, blieb aber das wichtigste Land für die Ausbildung ukrainischer Soldaten.

Da Deutschland seine Unterstützung nun deutlich herunterfahren will, kommt Großbritannien wieder eine größere Rolle zu. „Die Ukraine braucht unsere britischen Partner, um den Einsatz von Storm Shadow-Raketen auf russischem Gebiet zu genehmigen“, sagte Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak dem britischen Telegraph.

Britische Ausbildung für ukrainische Offensivkräfte

In der laufenden Bodenoffensive in Russland, bei der laut UK Defence Journal sechs ukrainische Brigaden samt Aufklärung, Luftunterstützung und elektronischer Kriegsführung im Einsatz sind, verlässt sich die Ukraine stark auf britische Vorarbeit. Britische Challenger-Panzer sind im Einsatz sowie ukrainische Einheiten, die zuvor in Großbritannien für Einsätze in Hochhaussiedlungen geschult wurden.

Das Londoner „International Institute für Strategic Studies“ zieht in einer Analyse eine positive Bilanz: Dass Russland darauf kaum reagiere, „schwächt das Argument, dass der Westen in seiner Unterstützung für die Ukraine russische ‚rote Linien‘ einhalten müsse, einschließlich Beschränkungen auf den Einsatz gelieferter Waffen“.

„Wir haben die Ukrainer immer unterschätzt“, schrieb Boris Johnson jetzt im Daily Mail. „Können wir nicht endlich das Rumgeeiere beenden, mit der albernen Putinophobie aufhören und den Ukrainiern geben, was sie wirklich brauchen, um die Sache zu einem Abschluss zu bringen?“

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