Werke der Bildhauerin Louise Stomps: Im Dickicht der Skulpturen
Die Berliner Bildhauerin Louise Stomps ist fast vergessen. In der Berlinischen Galerie sind ihre anrührenden Werke nun endlich zu sehen.
Es ist nicht schwer, sich einen Wald vorzustellen, wenn man in der Berlinischen Galerie den Saal mit den Skulpturen von Louise Stomps betritt. Einen Wald mit schlanken Bäumen, im Wind schwankenden Ästen und mit viel Dickicht, der Verstecke und Schutz bietet.
Diese Vorstellung liegt nicht nur daran, dass die Skulpturen aus Stein, Bronze und Holz ungewöhnlich dicht auf Feldern am Boden und in Vitrinen gruppiert sind. Sondern auch, weil viele der verwendeten Hölzer, ob sie nun anthropomorphe Formen oder Figuren bilden, noch die Herkunft aus dem Wald spürbar in sich tragen. Nicht zuletzt kommt hinzu, dass viele der Gesten, die sowohl aus den figürlichen als auch aus den abstrakten Skulpturen sprechen, Gesten des Sich-Verbergens, -Versteckens, eines Rückzugs in das Innere sind.
Die Fülle des Sichtbaren hat noch einen weiteren Aspekt: Das Werk der Bildhauerin Louise Stomps, 1900 in Berlin geboren, war selbst lange nicht öffentlich sichtbar. Die meisten Werke stammen aus Privatbesitz, nur wenige aus Museen. Sie wurde bisher wenig ausgestellt und kaum erforscht.
Dabei hat sie im Berlin der Moderne und in der Nachkriegszeit durchaus eine Rolle gespielt. Bis 1960 lebte sie in der Stadt und floh dann vor dem durch den Kalten Krieg aufgeheizten kulturpolitischen Klima nach Bayern. Ihr Atelier war in einer alten Mühle bei Wasserburg und dort konnte man ihren Skulpturen begegnen. Dass diese kaum bekannte Bildhauerin jetzt in Berlin eine große Retrospektive bekommt, geht auf eine Initiative des Verborgenen Museums aus Charlottenburg zurück, die hier mit der Berlinischen Galerie zusammengearbeitet hat.
Schutz und Rückzug
Eine „Nachdenkende“ von 1946/47 aus Marmor ist fast wie ein Würfel geformt, die Knie angezogen, den Kopf in den Händen verborgen. Die Reduktion der Form, die Stille der Oberfläche, die Verdichtung der Masse – das alles ist in dieser Skulptur zwar auch eine Bewegung hin zur Abstraktion, aber ebenso sehr auch ein Ausdruck von Einsamkeit, von Emotionen, die ohne Austausch bleiben, von Schutzsuchen und Vorsicht.
Es war die Nazizeit gewesen, in der Louise Stomps, deren Leben als selbstständige Künstlerin gerade erst begonnen hatte, wieder zurücktrieb in die Einsamkeit des Ateliers. Und in die Vorsicht – zum Beispiel bei heimlichen Ausstellungen im privaten Kreis oder beim Verteilen von Flugblättern.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Ihre in den 1940er Jahren entstandenen Figuren scheinen alle durch diese Jahre der schmerzhaften Erfahrung gewandert zu sein. Aus porösem Granit ist eine Gestalt, der Kopf in die Schultern gesunken, der Körper von jenen Schichten durchzogen, die unter großem Druck zu Stein aushärten.
Vieles von dem, was vor dem Krieg entstanden war, existiert nicht mehr, da Stomps’ Berliner Atelier bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Unterstützt wurde sie von der Mäzenin und Kunsthändlerin Hanna Bekker von Rath, die Stomps in den 1950er Jahren auch in Frankfurt ausstellte.
In Stomps’ Skulpturen aus den 1960er und 1970er Jahren beginnt das Holz der Bäume, von Akazie, Nussbaum, Eiche, immer mehr ein Eigenleben zu entfalten. Formen schießen auf wie züngelnde Flammen, entfalten sich wie Flügel, greifen wie Hände, ummanteln den Innenraum wie eine Höhle, bilden Nester und Durchlässe. Etwas von einem beseelten Wald, von einem Ort für Geister, liegt in diesen Skulpturen.
Sie tragen etwas in sich von der Sehnsucht, die Natur, aus deren Holz sie sind, nicht als das Andere und zu Gestaltende zu erleben, sondern als das Verwandte, in das sich zu verwandeln eine tröstliche Vorstellung ist. Und sie nehmen die Spur des Zufälligen auf, wie von Treibholz, geformt von Kräften, die größer sind als die des Menschen. Dabei streifen sie auch den Gedanken an das Erhabene.
Louise Stomps, Berlinische Galerie, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, bis 17. Januar 2022, Katalog im Museum 29 Euro
Unter den Skulpturen von Stomps sind einige, die Vergleiche mit bekannteren Zeitgenossen nahelegen, wie Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Hans Arp, Max Ernst, Barbara Hepworth und Henry Moore. Da ist es gut, dass die Ausstellung, die durch Holzschnitte, Tusche-, Kohle- und Kugelschreiberzeichnungen ergänzt wird, die Eigenlogik der formalen Entwicklungen von Louise Stomps erkennen lässt. Sie war viel unterwegs, noch als alte Dame – sie starb 1988 – mit dem Motorrad, um sich Ausstellungen anderer anzuschauen. Doch im Atelier war das Material ihr wichtigster Partner, auf dessen Eigenschaften zu hören essentiell für die Arbeit war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld