Werder-Ultras über Polizei-Ermittlungen: „Das ist wirklich lächerlich“
Die Polizei Bremen ermittelt, weil sie eine Fan-Choreografie der Antifa-Ultras „Cercle d’Amis“ für einen Gewaltaufruf hält. Die Ultras widersprechen
taz: Herr Singer, haben Sie schon Post vom Staatsanwalt bekommen?
Pico Singer*: Nein, ich habe von den Ermittlungen gegen uns aus der Zeitung erfahren. Es gab einen Aufmacher im Weser-Kurier, in dem stumpf das nachgeplappert wurde, was die Polizei zu unserer Choreo gesagt hat – ohne die Vorwürfe kritisch zu hinterfragen oder jemanden von den Ultras zu Wort kommen zu lassen.
Fürs Protokoll: Ihr Logo, eine maskierte Person mit einer Zwille, ist nicht „gewaltverherrlichend“ und keine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“?
Nein. Es ist wirklich lächerlich, daraus Strafverfolgung zu machen. Die Vorwürfe sind haltlos und unbegründet, da wir lediglich unser Gruppensymbol gezeigt haben und damit natürlich nicht zu Gewalt aufgerufen haben. Wir reden hier von einer Öffentlichkeitsaktion, die wir monatelang in Abstimmung mit dem Verein und Sicherheitsbeauftragten geplant haben. Außerdem nimmt unser Logo durch Banner und sogar ein Flugblatt klaren Bezug auf das 15-jährige Jubiläum des Cercle d’Amis (CDA), Werder Bremens erster antifaschistischer Ultragruppierung.
Können Sie sich erklären, warum die Polizei trotzdem Anzeige erstattete?
Es gibt zu wenig Akzeptanz für Fankultur: In Bremen gibt es seit Längerem eine deutlich verschärfte Gangart gegenüber Ultras. Der Innensenator Ulrich Mäurer setzt auf Konfrontation. Dabei suchen Ultras in der Regel keine Auseinandersetzungen. Das ist eine klare Unterscheidung zu Hooligans: Die betrachten aktive Gewalt als ihr Kulturgut. Wir verteidigen uns lediglich, wenn wir angegriffen werden, und lassen uns von den Ultras anderer Vereine nicht die Fahnen klauen.
Wofür stehen die Ultras in Bremen?
46, möchte aus Angst vor Strafverfolgung gern anonym bleiben. Er arbeitet im sozialen Bereich und ist Mitbegründer der Antifa-Ultra-Gruppe Cercle d’Amis.
In den letzten 15 Jahren haben wir zusammen Werders anderen linken Ultragruppen Hooligans und Nazis aus dem Stadion verdrängt und damit auch für weniger Gewalt gesorgt. Wir schaffen Freiräume für Menschen im Fußball, führen Genderdiskussionen und bieten Alternativmodelle zum kommerziellen Fußball, verkaufen etwa selbstgemachte günstige Fan-Artikel und machen Veranstaltungen im Ostkurven-Saal.
Woher kommt das Logo?
Es stammt tatsächlich von einem inzwischen verstorbenen Gründungsmitglied, das damals das Symbol einfach eingeführt hat. Wir haben nicht im Detail diskutiert, wohin der zielt oder was es aussagt. Das Logo ist seit Jahren in der Kurve präsent und ist einfach ein Symbol, das sich in ähnlicher Weise in verschiedenen linken Widerstandsgruppen findet und das in keiner Weise strafrechtlich relevant ist. Wir wollen damit zwar niemandem auf die Füße treten, aber trotzdem etwas aussagen.
Nämlich?
Es symbolisiert den antifaschistischen Kampf in der Kurve. Ich bin 46 Jahre alt und gehe seit 18 Jahren zu Werder Bremen. Damals gab es sehr viele Nazis in der Kurve. Entsprechende Nazi-Symbolik war allgegenwärtig: Embleme, Zeichen und Tattoos, aber auch rassistische Sprüche und Gesänge waren immer da. Zum Beispiel haben schon mal an die 50 Leute das antisemitische „U-Bahn-Lied“ gesungen …
… in dem Nazis etwa singen, dass sie eine „U-Bahn von Hamburg nach Auschwitz“ bauen wollen …
… oder sie machten jedes Mal Affenlaute, sobald ein dunkelhäutiger Spieler am Ball war. Das war in der Ostkurve total präsent. Es war die Kurve der „Standarte“ und der rechten Hooligans. Links aussehende Leute oder Leute mit Punkfrisuren wurden angemacht. Wir sind zu Anfang immer geschlossen als Gruppe hin und zurück und mussten darauf achten, dass uns keiner auflauert.
Was haben Sie dagegen gemacht?
Ein Freund von hat uns motiviert, präsenter aufzutreten. Er hatte auch viele Kontakte zu St. Pauli, bei denen die antifaschistische Grundhaltung aller Fangruppen Konsens ist. Wir kamen aus der antifaschistisch-subkulturellen Szene und dachten: Wir haben an anderer Stelle gegen Faschismus gekämpft und das können wir auch im Stadion tun – und damit meine ich nicht tätliche Auseinandersetzungen. Also haben wir 2002 den CDA mit einer klar antirassistischen Botschaft gegründet. In der Folge gründeten sich noch weitere Gruppen, die sich ebenfalls antifaschistisch positionierten.
Gab es keine Widerstände?
Ein Großteil der Werder-Fans und der Ostkurve solidarisierte sich. Vielen hat das einfach aus den Herzen gesprochen. Leute riefen: „Hau ab!“ und „Nazis raus!“, wenn etwa jemand einen Hitlergruß gezeigt hat.
Und was haben die Nazis gemacht?
Die Rechten haben die Schnauze gehalten, weil sie gemerkt haben, dass ihre Auftritte und Gesänge nicht mehr salonfähig waren. Auch Ordner haben Rechte, die sich offen gezeigt haben, rausgeschmissen, wenn sie sich eindeutig geäußert haben oder Nazi-Klamotten trugen. Auch der Verein hat sich ausdrücklich für Vielfalt ausgesprochen.
Kam es nicht zu Gewalt?
Natürlich gab es Angriffe der Nazis. Aber im Weserstadion hatten sie schon bald keine Rückzugsräume mehr. Tätliche Angriffe gab es etwa bei Champions-League-Auswärtsspielen. Da machten viele Hools klare Ansagen wie: „Fußball ist Fußball und Politik ist Politik“ – das bedeutete für sie immer: rechts sein ist okay, aber Antirassismus ist zu politisch. Der Gipfel war der Angriff auf die Geburtstagsfeier der antirassistischen Ultragruppe „Racaille Verte“ im Ostkurvensaal mit mehreren Verletzten.
Fühlen Sie sich ausreichend vom Verein unterstützt?
Grundsätzlich schon: Wir haben klare Fürsprecher. Werder ist meistens solidarisch. Auch über die Choreo wusste der Verein ja Bescheid. Klaus-Dieter Fischer saß sogar schon mit uns in der Kneipe und hat große Sympathien für die Ultrakultur geäußert. Das ist gut, denn eine bunte und lebendige Kurve kann nicht diktiert werden. Sie kann nur existieren, wenn Menschen im Stadion tagtäglich daran mitwirken und sich dafür aussprechen.
* Name geändert
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