: Wer stört hier wen?
Rechtsextreme Angriffe auf queere Feste in der Provinz nehmen zu. Vor Ort lässt sich dennoch kaum jemand unterkriegen
Aus Eberswalde, Bad Freienwalde und Berlin Stefan Hunglinger
Max Armonies, Sonnenbrille, Sneaker, Schmetterlingstattoo, düst mit einem schwarzen VW Polo durch die Altstadt von Eberswalde. Am Samstag soll hier im Norden Brandenburgs eine queere Parade durch die Straßen ziehen. Armonies, 27, Student:in des Holzingenieurwesens, organisiert den CSD mit und hat es eilig. Um 12 Uhr ist Vorlesung, Materialkunde, vorher müssen noch Soli-T-Shirts ausgeliefert und Funkgeräte abgeholt werden. Für die Ordner:innen auf der bunten Demo.
Rechtsextreme hatten am Sonntag die Kundgebung „Bad Freienwalde bleibt bunt“ angegriffen, nur ein paar Kilometer entfernt. Seitdem ist die Lage für den CSD in Eberswalde eine andere, auch die Polizei weiß das und hat sich bei den Organisator:innen schon gemeldet. „Der Angriff in Freienwalde hat uns natürlich nicht kaltgelassen“, sagt Armonies, „es hat uns belastet und erschüttert.“ Überrascht sind die Brandenburger Queers jedoch nicht.
Schon in der CSD-Saison 2024 fiel eine neue Generation junger Neonazis auf, organisiert in miteinander verbundenen Gruppen. Sie sind vor allem im Osten Deutschlands aktiv, aber auch im Rest der Republik. Hass gegen Juden und Migrant:innen, Hass gegen alles Linke und Queere eint sie.
2024 kamen gegen den CSD Bautzen 700 Rechtsextreme zusammen, in Görlitz skandierten sie: „HIV, hilf uns doch, Schwule gibt es immer noch!“ Die Parade in Gelsenkirchen wurde Mitte Mai wegen Drohungen abgesagt, in Wernigerode gab es Gewaltdrohungen eines 20-Jährigen. Erst diese Woche hat der CSD Regensburg entschiedenen, den Umzug in eine Kundgebung umzuwandeln – wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“.
In Bad Freienwalde wurde es vor einer Woche ganz konkret. Unter den alten Bäumen auf dem Marktplatz der „ältesten Kurstadt in der Mark Brandenburg“ ist es jetzt, am Mittwochnachmittag, ruhig. Jule Grienitz vom Bündnis „Bad Freienwalde bleibt bunt“ hat den Angriff am Sonntag erlebt. „Er kam, kurz bevor es losgehen sollte“, sagt Grienitz auf einer Bank vor dem Rathaus. Die Omas gegen Rechts hatten schon ihren Stand aufgebaut, Schüler:innen, die Kuchen verkaufen wollten, eine kirchliche Stiftung, die sich um Menschen mit Behinderung kümmert, eine Dragqueen waren da, wie in den vier Jahren zuvor auch. „Uns geht es um Vielfalt, und dazu gehört eine queere Community, aber eben auch migrantische Menschen und Kultur, Menschen mit oder ohne Behinderung und verschiedenen Alters“, sagt Grienitz, die als Sozialarbeiterin in der Kleinstadt arbeitet.
Knapp ein Dutzend Angreifer seien dann auf den Platz gestürmt. „Die sahen supermilitant aus. Ich habe schon Angriffe erlebt, aber in so einer Dimension noch nicht.“ Die Vermummten hätten Schlagstöcke getragen. Und Quartzhandschuhe, die Faustschlägen mehr Wucht verleihen sollen. Die Angreifer schlugen zwei Personen ins Gesicht, vier wurden verletzt.
Auch Karim gehört zum Bündnis, möchte als queere Person aber nicht den echten Namen in der Zeitung stehen haben. „Ich glaube, wir hatten Glück“, sagt Karim. „Wir vom Team waren alle schon da und mit dem Aufbau fertig. Unsere Ordner konnten sofort eingreifen.“ Die Angreifer flüchteten so schnell, wie sie da waren, das ist auf einem Video des RBB zu sehen. Unter anderem ein geschwungener Kochtopf hat offenbar Eindruck gemacht.
Und die Polizei? Die war zunächst nicht auf dem Platz. Obwohl das Bündnis zuvor angezeigt hatte, dass viele der regenbogenfarbenen Plakate für die Kundgebung abgerissen wurden. Obwohl die neonazistische Kleinstpartei Dritter Weg im Februar über das Bündnis schrieb, dass diesem „antideutschen Milieu [...] das Handwerk gelegt werden“ müsse.
Am Nachmittag erst sicherten schwer bewaffnete Bundespolizist:innen den Marktplatz, eigentlich kontrollieren sie gerade die nahe gelegene Grenze zu Polen. Das Bündnis konnte sein Vielfaltsfest feiern, richtig schön sei es noch geworden, sagt Grienitz. Auch wenn der Schrecken tief saß, besonders bei den Kindern. Das Bertolt-Brecht-Gymnasium in der Stadt ließ sich trotzdem nicht von seiner „Pride Week“ abhalten. Bei einer Filmvorführung zum lesbischen Leben in der DDR bewachten am Montag allerdings Polizist:innen die Schule. Auch am Marktplatz demonstriert die Polizei jetzt nachträglich Präsenz.
Vom Bürgermeister lässt sich das nicht behaupten. Ralf Lehmann von der CDU war eingeladen zur bunten Kundgebung, doch selbst nach dem Vorfall zeigte er sich nicht auf den Platz vor seinem Rathaus. Tags darauf sprach Lehmann im RBB-Fernsehen von einer „Störung“, nicht von einem Angriff. Ein Ordner habe einen Störer festgehalten, der Mann zugeschlagen: „Wer will denn wen jetzt verurteilen und wofür?“ Von Verharmlosung spricht der Freienwalder Verein „Wir packen’s an“ in einem offenen Brief: „Warum unterstützen Sie nicht den ehrenamtlichen Einsatz für eine vielfältige, lebenswerte Stadt?“ Ja, warum? Drinnen im Rathaus sagt eine Reinigungskraft, dass der Bürgermeister schon weg sei, überhaupt sei Mittwoch kein Sprechtag. Auf eine schriftliche Anfrage der taz antwortet Lehmann nicht.
Anders als der Bürgermeister kam der parteilose brandenburgische Innenminister am Sonntag spontan nach Bad Freienwalde. „Dass sich so etwas im öffentlichen Raum getraut wird, hat es seit Jahren nicht gegeben“, sagte René Wilke wenig später der taz. „Es gab schon vorher Vorfälle, wo es am Rande von solchen Veranstaltungen Störungen gab, das habe ich selbst erlebt. Aber was wir in Bad Freienwalde gesehen haben, hat eine völlig andere Qualität. Und es ist kein Einzelfall.“
2024 veröffentlichte das Bundesinnenministerium einen Bericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von Queers. Queerfeindliche Hasskriminalität sei „auch eine Gefahr für die innere Sicherheit und für unsere Gesellschaft“, heißt es darin. Die Straftaten haben sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, der überwiegende Teil der Verdächtigen ist männlich, deutsch und in jedem dritten Fall politisch rechts motiviert.
Auf der Bank vor dem Rathaus von Bad Freienwalde sitzen mittlerweile zwei Männer Anfang 20. Tätowierte Arme, Bierchen in der Hand. Angesichts der vielen Beamten diskutieren die beiden, ob Frauen als Polizistinnen taugen. Einer fragt:
„Ist da’ne Demo?“
Das ist wegen des Vorfalls am Sonntag, wart ihr dabei?
„Nee, aber ich weiß zu hundert Prozent, wer das war.“
Willst du das der Zeitung verraten?
„Nee, ich kenn die, ich krieg Ärger.“
Tatsächlich wurde mittlerweile die Wohnung eines Tatverdächtigen durchsucht und auch die seiner Eltern. Berichten zufolge soll der 21-Jährige zum Dritten Weg gehören. Der junge Mann hier auf dem Marktplatz erzählt stolz, dass seine Tochter in vier Wochen ein Jahr alt werde, dass er sich viel um sie kümmere.
„Das geht nicht, dass die da so ein Regenbogenfest machen und den Kinder sagen: Ist okay, wenn man nicht weiß, was man ist. Es gibt Jungen, und es gibt Mädchen. Punkt.“
Aber ist es nicht feige, eine Veranstaltung vermummt anzugreifen?
„Geht gar nicht, wenn da Kinder auf dem Fest sind. Sonst? Na ja.“
In Bad Freienwalde gingen bei der letzten Bundestagswahl 40 Prozent der Stimmen an die AfD. Schon 2023 hatte die Partei begonnen, gegen queere Events zu Felde zu ziehen, dem regenbogenfarbenen Pride-Month begegnet sie mit einem schwarz-rot-goldenen „Stolz-Monat“. Der Dritte Weg tut es ihr gleich, die NPD-Nachfolgerin Die Heimat auch. Gerade junge Männer lassen sich durch Queerfeindlichkeit rekrutieren, so das Kalkül.
Dass die AfD Brandenburg nach dem Angriff vom Sonntag recht schnell sagte: „Gewalt ist niemals zu rechtfertigen“, ist für die Aktiven des bunten Bündnisses in Bad Freienwalde nur vorgeschoben. „Es steht ein Verbotsverfahren im Raum, die wollen einfach nicht auffallen. Alles Theater“.
René Wilke, Innenminister von Brandenburg
Auch der örtliche AfDler Lars Günther verurteilte in einem Video die Gewalt auf dem Marktplatz, nur um anschließend von der Kundgebung als einem „Gendergaga-Schauspiel“ zu sprechen und den ganzen Angriff als „Inszenierung“ in Zweifel zu ziehen – Verharmlosung nach Vorbild des CDU-Bürgermeisters.
CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verbot unterdessen, dass das Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung, ein Zusammenschluss queerer Mitarbeiter:innen der Bundestagsverwaltung, als Gruppe auf dem Berliner CSD mitläuft. Schon vorher hatte die zweite Frau im Staat bekannt gegeben, die Regenbogenfahne nicht mehr hissen zu wollen.
Berlin-Tempelhof. Mit einer Regenbogenfahne in ihrer Mitte laufen rund 40 junge Menschen durch eine Werkshalle auf dem alten Flughafengelände. Plötzlich mischen sich zwei Pöbler in die Gruppe. Wie damit umgehen, ohne Gewalt, ohne die Störer zu provozieren? Das üben sie hier bei einem der Demotrainings des Bündnisses Widersetzen. Die Stimmung ist locker, das Schuhwerk fest trotz der Hitze. Wo Staat und Polizei nicht zur Stelle sind, wollen sie CSDs schützen. „Wenn jemand Gegenstände in die Kundgebung wirft, schützt euren Kopf, werft nichts zurück, auch wenn es in den Fingern juckt“, sagt die Trainerin. Vollvermummung ist tabu, man will nicht als Schwarzer Block auftreten. „Alle Ausfälle fallen zurück auf die queeren Menschen vor Ort.“
Einige sind hier in Vorbereitung auf die Marzahn Pride an diesem Samstag, die von Deutsche Jugend Voran bedroht wird. Eine Gruppe Abiturienten will zum ersten CSD in Wittenberg fahren. Die Jungen Nationalisten mobilisieren dorthin unter dem Motto „Heimat, Familien und Nation statt CSD und Perversion“. Der größte Teil der frisch Trainierten will am Samstag nach Eberswalde.
Gegen den dortigen CSD mobilisierte der mutmaßlich mit der Deutschen Jugend Voran vernetzte AfD-Stadtverordnete Maximilian Fritsche, zunächst unter dem Motto „Keine Frühsexualisierung und Indoktrination von Kindern!“. In anderen, verharmlosenden Ankündigungen ist nur von einem „Sommerfest“ die Rede. Mit dabei: die Landtagabgeordnete Lena Kotré, die im Wahlkampf kleine Nahkampfwaffen verteilt hat.
In Eberswalde ist Max Armonies froh über die Unterstützung aus Berlin. Mit bis zu 2.000 Teilnehmenden rechnet das CSD-Team hier. „Eigentlich wollen wir uns auf die Polizei verlassen können“, sagt Armonies. „Ob das funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.“ Zumindest hängt hier, zur Feier des Tages, der Bürgermeister die Regenbogenfahne ans Rathaus.
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