Wer profitiert vom Terror in Frankreich?: Zwei Mann und eine Republik
Nicht nur den ganz Rechten nützen die Anschläge. Auch Hollande ist nun doch noch auf dem Weg, wahrer Präsident der Franzosen zu werden.
PARIS taz | Die tragischen Ereignisse überstürzten sich in kürzester Zeit. Bei Charlie Hebdo massakrieren zwei Terroristen kaltblütig zwölf Menschen, ein anderer schießt auf Polizisten und tötet eine Beamtin, später ermordet er vier Menschen bei seiner blutigen Geiselnahme, alle drei Täter werden erschossen.
Journalisten suchten nach Sätzen und Bildern, die dem enormen Schock angemessen sein sollten. Einig waren sich alle darin, dass diese Tage die Geschichte prägen: Man werde darüber auch mit Distanz bestimmt sagen, dass es „ein Vorher und ein Nachher“ gebe wie bei einer historischen Weichenstellung. Der Pariser 7. Januar 2015 wird aus diesem Grund in Frankreich mit dem New Yorker 11. September 2001 verglichen.
Schwerer als die Medien haben es die Politiker. Auch sie ringen um passende Worte, sie sollen zudem Lehren ziehen, und dies sofort. In der Bevölkerung waren die wenigsten der Meinung, dass ihre Politiker der Herausforderung gewachsen sein würden. Denn der Terrorismus spaltet und verhärtet gleichzeitig Feindbilder.
Die Kontroverse zwischen der großen Mehrheit, die mit „Je suis Charlie“ für die Meinungsfreiheit protestiert, und denjenigen, die nicht in den Chor „Ich bin Charlie“ einstimmen wollen, hat existierende Ressentiments nur noch verfestigt. In der Minute nach den Anschlägen islamistischer Terroristen stand darum der fremdenfeindliche und islamophobe Front National von Marine Le Pen bereits als Gewinner fest. Auf die Angst vor Attentaten und die Kritik an ihrer Linie antwortet die Rechtspopulistin siegessicher mit ihrem neuen Wahlslogan: „Keep calm and vote FN“.
Staatsmann und Landesvater
Weit weniger voraussehbar war, dass auch François Hollande und Premierminister Manuel Valls in dieser Krise Lorbeeren ernten könnten. Nach Ansicht der meisten Bürger gab es aber an der Reaktion der Staatsführung einmal nichts auszusetzen: Mehr als 80 Prozent der Befragten fanden, dass Präsident und Premier ihre Sache den tragischen Umständen entsprechend gut oder gar tadellos gemacht haben. Sie haben nach innen und außen die „Union sacrée“, die „heilige Einheit“ der Nation gegen den Terror, verkörpert. Und dies auch in buchstäblichem Sinne an der Spitze einer Großkundgebung von Millionen Demonstranten, an der Seite einer Reihe von Staats- und Regierungschefs, am 11. Januar.
Noch nie hatte Hollande nach genereller Meinung seiner Landsleute so den Ton eines Staatsmanns und Landesvaters getroffen wie in dieser schweren Bewährungsprobe. In einigen Kommentaren war sogar zu lesen, er sei in diesen kritischen Stunden (endlich) der Präsident geworden, wie ihn seine Wähler sich gewünscht hätten. Bisher wirkte er im Vergleich zu allen Vorgängern seit de Gaulle zu unentschlossen, zu wenig autoritär, ja zu banal. Jetzt scheinen die Franzosen ihn auf neue und positive Weise als „Chef“ entdeckt zu haben.
„Am 11. Januar ist François Hollande von fünf Millionen Demonstranten zum Präsidenten der Republik gewählt worden“, beschrieb der Chefredakteur des Magazins L’Express, Christophe Barbier, diese politische Wiedergeburt, die auch der Staatschef selber als zweite Chance für eine gelungene Präsidentschaft nutzen möchte.
Alles vergessen und vergeben. Der Popularitätszuwachs für Hollande wirkt mit 20 oder 21 Prozentpunkten (je nach Umfrageinstitut) geradezu spektakulär. Noch vor wenigen Wochen war sein Kurs an dieser Börse der Eitelkeiten auf historische Tiefstwerte von 13 Prozent positiver Meinungen gesunken war. Fast über Nacht steht er nun wieder bei 40 Prozent. Einen ähnlichen positiven Meinungsumschwung hatte in der Geschichte dieser Meinungsforschung nur Präsident François Mitterrand wegen des Golfkriegs von 1991 erlebt. Seither weiß man aber auch, dass ein solch schlagartiger Vertrauensgewinn nicht lange hält, wenn er bloß der kollektiven Verunsicherung zuzuschreiben ist.
Wie ein Super-Polizeichef
„Niemand kann sagen, wie lange diese anhalten wird. Aber zweifellos wird mit der Rückkehr der Wirtschaft (in die öffentliche Debatte) auch die Unzufriedenheit der Franzosen wieder aktuell“, meint Meinungsforscher Frédéric Dabi relativierend in seinen Erläuterungen zur Popularitätsumfrage.
Auch Premierminister Valls, der in der Krise wie ein Super-Polizeichef an allen Fronten auftrat, um die staatliche Autorität gegen die Bedrohung zu verteidigen, erlebte eine sprunghafte Steigerung der Popularität auf unverhoffte 61 Prozent. Noch vor Kurzem war er wegen seiner Vorschläge in der Immigrations- und in der Sicherheitspolitik in seiner eigenen Partei als „linker Sarkozy“ scharf angegriffen worden. Jetzt entpuppt er sich auch in den Augen dieser Kritiker als Mann der Stunde und womöglich als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen von 2017, falls Hollande nicht selber wieder antreten will oder kann.
Sowohl Hollande wie Valls haben schnell begriffen, dass es nicht nur in ihrem eigenen unmittelbaren Interesse ist, diesen prekären Burgfrieden der „Union sacrée“ zu nutzen und nach Möglichkeiten zu verlängern. Valls entfaltet einen Aktivismus, um die Republik an allen Fronten auf Trab zu bringen: Das nationale Bildungssystem soll schon die Kleinen und vor allem die Jugendlichen mit Grundwerten der „Laizität“, der weltlichen Toleranz, vertraut machen, die ihren Eltern oft fremd (geworden) sind.
Für die innere Sicherheit wird die Überwachung in einer Art und Weise aufgerüstet, die vorher zum Schutz derselben Freiheit vorher undenkbar gewesen wäre. Alle Einsparungen beim Militär sind wegen des Kampfs gegen Dschihadisten in Afrika und im Nahen Osten gestoppt. Mit einer solchen von Autorität geprägten Politik bekommt die Linksregierung auch (oder vor allem) Applaus von rechts. Sie gräbt der konservativen Opposition das Wasser ab.
Die alte Bush-Leier
Diese sakrosankte nationale Einheit entspricht einem breiten Wunsch in der Bevölkerung. Wehe denjenigen, die mit kurzsichtigen Profilierungsabsichten ausscheren! Das musste der Parteichef der konservativen UMP, Expräsident Nicolas Sarkozy, zu seinem Leidwesen erfahren. Indem Sarkozy die alte Bush-Leier vom Krieg der Zivilisation aufs Tapet brachte, trat er prompt ins Fettnäpfchen.
Bei der Großkundgebung in Paris drängte er sich aus der dritten Reihe nach vorn in die Prominenz an die Seite des israelischen Premierministers, und seither ist er deswegen im Internet das Gespött in zahlreichen Fotomontagen auf historischen Bildern wie beispielsweise an der Jalta-Konferenz zwischen Churchill und Stalin.
Sarkozy, der das Klima der nationalen Einheit und die Popularität seiner Gegner unerträglich finden muss, griff als Erster im Fernsehen Valls scharf an. Er brachte damit aber nur sich selber ins Schussfeld, denn die von ihm angeprangerten Mängel und Lücken in der Terrorbekämpfung sind unschwer als Versäumnisse aus seiner Regierungszeit auszumachen.
Sarkozy fand es „konsternierend“ und für Frankreich beleidigend, dass Valls in Zusammenhang mit der religiösen Radikalisierung und der Ghettobildung in gewissen Vorortssiedlungen vor einer „territorialen, sozialen und ethnischen Apartheid“ gewarnt hatte. Die Diagnose aber ist nicht falsch, noch nicht mal übertrieben. Die Frage ist, ob Hollande und Valls angemessene Antworten auf diese Problematik liefern können, ohne in ihren bewegenden Reden nur wieder leere Versprechen zu machen. Ob das Angebot der neuen Nachfrage entspricht, wird sich im März beim ersten Wahltest in den Départements zeigen.
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