Wenn BürgerInnen diskutieren: Die Partizipation ist eine Brezel
In Kreuzberg ist die Kritik zu Hause. Beim Thema „Begegnungszone Bergmannstraße“ lässt die Politik deshalb alle mitreden. Aber auch das hat seine Tücken.
Brezeln. Körbeweise Brezeln. Über den ganzen Saal und die Nebenräume verteilt wartet das Laugengebäck nebst Säften und Mineralwasser auf Abnehmer. Greifen Sie zu, es kostet nichts!
Der salzige Snack soll den KreuzbergerInnen einen langen Freitagabend versüßen, zu dem das Bezirksamt und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ins Columbia-Theater eingeladen haben. Eine „Offene Bürgerwerkstatt“ zur Begegnungszone Bergmannstraße gibt es hier. Die Umgestaltung und Verkehrsberuhigung der alternativen Flaniermeile hat sich zu einem echten Reizthema im Bezirk entwickelt, die Sache läuft nicht glatt. Weshalb die verschlungenen und verknoteten Teigwerke irgendwie auch als Metapher für den Beteiligungsprozess taugen.
Der Saal ist voll, gut 100 Interessierte sind gekommen. Dazu ein kleines Heer von ModeratorInnen der Agentur „zebralog“, die die Versammlung moderieren. Auf der Bühne stehen Hans Panhoff, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, und Horst Wohlfarth von Alm, in der Senatsverwaltung zuständig für die Berliner „Fußverkehrsstrategie“ und das Modellprojekt „Begegnungszonen“.
„Raum zum Denken“
Es geht los. „Wir haben heute Raum zum Denken, zur Begegnung“, sagt eine Moderatorin ins Mikrofon, dann spricht Panhoff über die „wichtige und geliebte Straße“ zwischen Marheineke-Halle und Mehringdamm und ihre immer wieder angemahnten Verkehrsprobleme. Wohlfarth von Alm betont, wie bemerkenswert die neue Form der Beteiligung sei: „Ich freue mich auf diesen Abend!“ Eine gewagte Aussage.
Denn was Bürgerbeteiligung in Kreuzberg heißen kann, wird schnell klar. Gerade wird gesagt, es gehe ja noch gar nicht um fertige Entwürfe, nur um Ideen, da platzt es aus einer Frau in den hinteren Reihen schon heraus: „Am Ende macht ihr doch, was ihr wollt!“, schreit sie. Gejohle und Applaus. So geht das weiter, es gibt eine richtige Anti-Fraktion mit Pappschildern: „Begegnungszone? Nein Danke!“ steht in großen Lettern darauf.
Die "Berliner Begegnungszone" ist ein Modellprojekt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Drei Straßenräume sollen umgestaltet (und auf Tempo 20 entschleunigt) werden. In der Schöneberger Maaßenstraße ist das schon erfolgt, die Lösung, die viele bunte Betonpoller beinhaltet, hat viel Spott geerntet.
Im September startete die Bürgerbeteiligung zur Begegnungszone Bergmannstraße. In mehreren Modulen können AnwohnerInnen on- und offline ihre Meinung zu den planerischen Ideen äußern. Am Ende entscheidet die BVV, ob das rund 1,5 Millionen Euro teure Vorhaben umgesetzt wird. (clp)
Die Moderation dürfte sich auf die ortstypische Widerborstigkeit vorbereitet haben, trotzdem sieht man, dass die jungen Leute nicht völlig gefeit sind gegen die aggressive Stimmung, die sich in Zwischenrufen entlädt. „Kritik macht Sachen ja auch besser“, versucht ein Moderator, eine Brücke zu bauen. Am Ende aber greift das links-grün-akademische Publikum zur Selbstregulation: „Wer nicht in der Lage ist, mal 40 Minuten zuhören, soll doch nach Hause gehen!“, ruft eine Teilnehmerin, diesmal klatscht die andere Hälfte. Und dann kann Eckhart Heinrichs vom Planungsbüro LK Argus halbwegs ungestört die Probleme in der Bergmannstraße und die angedachten Lösungen schildern.
Das klappt nicht immer so gut. Rückblende: Mitte Februar, eine etwas kleinere Runde in der Aula des Leibnizgymnasiums. Auf dem Podium wieder Panhoff, Wohlfarth von Alm und Heinrichs sowie weitere Mitglieder des Bezirksamts. Ihnen gegenüber sitzen Gewerbetreibende der Bergmannstraße, und die wenigsten wollen sich etwas erzählen lassen von irgendwelchen Politikern und Planern. Als Heinrichs die „Ideen“ vorstellen soll (die allerdings schon sehr konkret visualisiert sind), lassen sie ihn erst gar nicht zu Wort kommen. „Verkaufen Sie uns nicht für blöd“, ruft einer, „wir wissen, worum es geht!“
Vor allem wissen fast alle, dass die Umgestaltung eine funktionierende Straße kaputtmachen würde und sie selbst gleich mit. „Sie bedrohen unsere Existenz“, redet ein Buchhändler sich in Rage, „Ihnen ist doch egal, ob wir pleitegehen, aber meine Angestellten muss ich dann aufs Arbeitsamt schicken!“ Offenbar rechnet er fest mit der Insolvenz, wenn Bauarbeiten potenzielle KundInnen verschrecken und möglicherweise noch die Parkplätze an der Bergmannstraße wegfallen.
Polemische Atmosphäre
Die Atmosphäre ist hier nicht kritisch, sondern polemisch. Als auf dem Podium angedeutet wird, dass Bürgerbeteiligung nicht selbstverständlich sei, dass andere Bauvorhaben einfach beschlossen würden, ruft einer wutentbrannt: „Ach, ist das jetzt eine Gnade, dass wir unsere Meinung sagen dürfen?“ Der Abend endet für viele im Zorn.
Und nun zurück ins Columbia-Theater: Hier entfaltet das Moderationsteam sein ganzes Können, es werden drei Großgruppen gebildet, mit je drei rotierenden Kleingruppen, in denen wiederum Kleinstgruppen über Fahrgassenverschwenkungen oder Zebrastreifen diskutieren. Auf großen Bögen dürfen sie eintragen, was sie gut finden und was nicht, vielleicht auch, was man ganz anders machen könnte. Aber schnell wird klar, wie groß die Macht des Faktischen ist: Alle diskutieren entlang der angeblich völlig unverbindlichen, aber eben bereits vorhandenen Ideen.
Schließlich versammeln sich wieder alle im Saal und die ModeratorInnen postieren sich auf der Bühne, als wollten sie ein Ständchen geben (tatsächlich präsentieren sie nur die Ergebnisse der Untergruppen). Die Planer nehmen stapelweise Anregungen mit. Vermutlich sind die in der Summe kaum anders als beim parallel laufenden Online-Dialog: viel Skepsis, hier ein Plus, da ein Minus oder umgekehrt. So oder so, am Ende wird es einen fertigen Entwurf geben, und die Bezirksverordnetenversammlung muss am Ende entscheiden, ob sie das Produkt eines derart partizipativen Prozesses im Ernst ablehnen kann.
„Wir werden keine Entscheidung gegen alle Widerstände erzwingen“, hat Stadtrat Panhoff schon vor einiger Zeit gesagt. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass man nur warten muss, bis der Widerstand ob mangelnder Aussicht auf Erfolg ermattet. Im Columbia-Theater haben die radikalen NeinsagerInnen am Ende der Veranstaltung längst das Feld geräumt. „Nehmen Sie noch eine Brezel mit nach Hause“, sagt die Moderatorin zum Abschied, „es sind noch ganz viele übrig!“
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