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Weniger ÜberhangmandateSPD will Bundestag schrumpfen

Lange war jegliche Wahlrechtsreform blockiert. Jetzt bringt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider Bewegung in die verfahrene Lage.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider will die Zahl der Abgeordneten begrenzen Foto: dpa/Kappeler

Berlin taz | Die Debatte über eine Wahlrechtsreform nimmt Fahrt auf. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider hat am Donnerstag ein Modell vorgestellt, das die Zahl der Abgeordneten begrenzen soll. Es sieht eine Maximalgröße des Bundestages von 690 Abgeordneten vor. Dieser Deckel sei notwendig, damit das Parlament funktionsfähig bleibe und von den BürgerInnen akzeptiert werde, argumentierte Schneider. Das Modell soll am Dienstag von der Fraktion beschlossen werden.

Über die Maximalzahl hinausgehende Überhangmandate sollen nach dem Willen des SPDlers nicht mehr zugeteilt werden. Dies sei verfassungsrechtlich zulässig. Überhangmandate und der dann nötige Ausgleich für andere Fraktionen sind der Grund, warum der Bundestag stetig wächst. Laut Wahlgesetz sollten nur 598 Abgeordnete im Parlament sitzen. 299 werden in den 299 Wahlkreisen direkt gewählt, die anderen ziehen über die Landeslisten der Parteien ein.

Das Problem ist, dass CDU, CSU und SPD seit Jahren niedrigere Wahlergebnisse erzielen, aber weiterhin viele Direktmandate erringen. Die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate steigt deshalb – und lässt den Bundestag wachsen. Im Moment sitzen 709 Abgeordnete im Parlament.

Die Wahlkreise blieben bei dem SPD-Vorschlag so, wie sie jetzt sind. Dieser soll nur ein Provisorium sein. Schneider sprach von einem „Brückenmechanismus für die nächste Bundestagswahl“. Danach soll eine Kommission aus WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und BürgerInnen eine langfristige Lösung entwickeln. Das Provisorium würde bedeuten, dass nicht mehr jeder siegreiche Direktkandidat im Bundestag vertreten wäre. Diejenigen mit den schlechtesten Erststimmenergebnissen könnten leer ausgehen.

Bewegung in festgefahrener Lage

Die Fraktionen streiten seit Jahren über eine Wahlrechtsreform. Mit ihrem Vorschlag setzt die SPD die Union unter Druck. Sie hat sich bisher nicht auf eine Variante festgelegt. Mit der Union sei intern verhandelt, aber keine Einigung erzielt worden, sagte Schneider. Linkspartei, FDP und Grüne werben als Opposition gemeinsam für ein anderes Modell. Es sieht vor, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu verringern, was auch die Zahl der Direktmandate reduzieren würde. Außerdem soll die reguläre Sitzzahl im Bundestag auf 630 erhöht werden. Der Nachteil dieses Modells: Die Zahl der Sitze kann trotzdem weiter steigen, weil ein fixer Deckel fehlt.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann begrüßte den Vorschlag der SPD: „Es ist gut, wenn nun endlich auch die SPD versucht, etwas Bewegung in die festgefahrene Lage innerhalb der Koalition zu bringen.“ Die Grünen seien bereit, alle Vorschläge auf Grundlage des personalisierten Verhältniswahlrechts ernsthaft zu diskutieren, betonte Haßelmann.

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11 Kommentare

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  • Es gibt in Deutschland 16 Kommunalwahlgesetze.



    in keinem einzigem Kommunalparlament gab es jemals ein Überhangs- oder Ausgleichsmandat.



    Auch vorgezogene Neuwahlen sind im Kommunalwahlrecht noch nie vorgekommen.



    Wer jetzt mit dem Argument kommt. man könne Bundes- und Kommunalebene nicht miteinander vergleichen, die USA als älteste Demokratie der Welt war ja wohl Vorbild für alle anderen Demokratien.



    Dort hat es in 250 Jahren demokratischer Wahlen noch nie Probleme mit der Parlamentsgröße oder der Regierungsbildung gegeben.

  • Ich finde den Vorschlag von Carsten Schneider genial!

    Bei der Diskussion darf man nicht vergessen, wer so richtig daneben greift - die CDU/CSU. Es wurde voller Ernst Folgendes vorgeschlagen:



    - 299 Direktmandate über die Erststimme



    - 299 Abgeordneten über die Zweitstimme nach Verhältniswahlrecht.

    Siehe: www.spiegel.de/pol...orm-a-1302854.html

    Das Verhältnis der Zweitstimmen würde verzerrt werden durch die Direktmandate - die CDU/CSU hätte mit dieser Art bei der Bundestagswahl 2017 die absolute Mehrheit im Bundestag erreicht.

    Und seitdem kommt von CDU/CSU nichts mehr. Sie riskiert, dass der Bundestag nach der nächsten Bundestagswahl wieder über 700 Abgeordnete hat. Dabei sind sich alle einig, dass weniger reichen.

    Der Vorschlag sorgt dafür, dass wahrscheinlich nicht mehr jeder Wahlkreis ein Direktmandat hat. Die Wahlkreise die deutlich gewonnen werden (deutlich heißt hier, dass oft schon 40% reichen) haben ein Direktmandat. Dort, wo der Vorsprung der Erststimmen knapp ist (ca. 25%), gibt es eher kein Direktmandat. Und das fehlt wirklich keinem. So wenig Zustimmung hat keinen Anspruch auf ein Direktmandat. Außerdem schaffen Direktmandate auch nur bedingt den Kontakt zum Wahlkreis - da muss man schon sehr politisch interessiert sein, um seinen Abgeordneten zu Gesicht zu bekommen... Über die Landesliste ist sichergestellt, dass immer noch Leute aus der eigenen Ecke im Bundestag sind.



    Die Personenwahl wird nicht abgeschafft, man verbindet immer noch die Parteien lokal mit Gesichtern.

    Längerfristig wird es eine andere Lösung geben, vermutlich werden Wahlkreise zusammengelegt. Dieser Prozess dauert aber mindestens ein Jahr. Daher ist der Vorschlag von Carsten Schneider genau der richtige! Super!

  • 1.) Steichen der Zweitstimme



    2.) Größe Gestlegen: N=200-300 Sitze



    3:) Anzahl der Sitze bestimmen:



    N/100*(Wahlergebnis der Partei in %)



    4.) ist Wert aus 3 keine ganze Zahl, dann wird auf die nächste ganze Zahl abgerundet.



    5.) nicht vergebene Sitze bleiben leer

    Ganz einfach



    Gerecht



    Demokratisch

  • Ich hätte eine ganz einfache Lösung: Direktmandate gibt es nur mit 50% der Stimmen. Wenn keine Kandidatin / kein Kandidat 50% der Stimmen schafft, gibt es halt aus dem Wahlkreis keinen Wahlkreisabgeordneten.

    (Dazu muss man wissen dass es schon seit 1953 Wahlkreise ohne Wahlkreisabgeordneten gab, wenn z.B. ein Wahlkreisabgeordneten stirbt oder zurücktritt wird von der Liste nachgerückt, und nicht nachgewählt.)

    • @Christian Schmidt:

      Bei einem Quorum von 50% gäbe es aktuell nur 12 Direktmandate. Dann kann man es auch gleich abschafffen.

    • @Christian Schmidt:

      Das stimme ich Ihnen voll und ganz zu. So wäre auf simple und auch naheliegende Art und Weise das Problem des stetig wachsenden Bundestags gelöst.

  • Zum Vorschlag der SPD würde mich mal brennend eine Auffassung eines Verfassungsrechtlers interessieren.

    Die Vorstellung, dass ein gewählter Abgeordneter, noch dazu ein direkt gewählter, kein Mandat erhalten sollte, obwohl er das stärkste Mandat von allen (direkte Wahl seiner Person) hat, scheint mir nur schwer mit dem Grundgesetz vereinbar zu sein.

    Realistischer scheint mir da der Vorschlag zunächst alle Listenplätze unabhängig vom Landesproporz mit den direkt gewählten Kandidaten zu füllen und erst danach evtl. vorhandene Listenplätze zu vergeben.

    Mir scheint der SPD Vorschlag mal wieder ein unausgereifter Schnellschuss zu sein.

    • @Kriebs:

      Der Vorschlag ist nicht verfassungswidrig. Es wäre dann so, dass es in knapp "gewonnenen" Wahlkreisen keinen Direktmandat gibt. Im Moment reichen in diesen Wahlkreisen schon 25-30%, um sie zu gewinnen.

      Zu Ihrem Vorschlag: Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass die Abgeordneten aus einer Partei wohl auch eher aus bestimmten Bundesländern besteht. Die CDU/CSU hat bei der Bundestagswahl 2017 in Baden-Württemberg alle Direktmandate gewonnen, gleichzeitig aber ist der Zweitstimmenanteil in BW nur bei 34,4%. Die Abgeordneten mit Direktmandat würden Listenplätze anderer Länder in Anspruch nehmen, gleichzeitig könnten CDU keine weiteren favorisierten Abgeordneten aus BW über die Liste bestimmen.



      Die CDU/CSU im Bundestag hätte weniger Abgeordnete aus Hessen und Niedersachsen, weil dort weniger Direktmandate an CDU gingen. Das wäre jetzt noch kein Problem, falls die CDU aber dort keine Direktmandate mehr gewinnen würde, dann würden auch keine über die Landesliste von dort für die CDU in den Bundestag kommen.

  • Bis 1980 gab es kein Direktmandat mit weniger als 40% der Stimmen. Es wird Zeit ein Quorum einzuführen, ein festes bei etwa 1/3. Bei einem variablen Quorum mit der Zahl der errungenen Listenmandate, bleibt die Zahl der Sitze bleibt fest bei 598.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Dass die Debatte Fahrt aufnimmt und die Zahl der Abgeordneten noch vor den nächsten Wahlen deutlich begrenzt wird, ist wirklich dringend notwendig, weil das Parlament von den BürgerInnen so jedenfalls nicht mehr akzeptiert, sondern als Selbstbedienungsladen verspottett wird.

  • Wahlrechtsfragen sind immer auch Machtfragen.



    Da die SPD kaum noch Direktmandate gewinnt ist der ehemaligen Volkspartei auch die Anzahl der Direktmandate egal. Ob e sinnvoll ist, die Zahl der Direktmandate zugunsten der Listenmandate zu verringern ist die eine Frage. kann man so sehen, muß man aber nicht.



    Aber die Vorstellung, daß ein siegreicher Direktkandidat sein Mandat nicht antreten darf, seine unterlegenen Gegenkandidaten dagegen über die Liste einziehen können ist doch absurd.