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Weniger GerichtsstandorteAufstand gegen Justizreform in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holsteins Justizministerin von der Decken (CDU) will Standorte zusammenlegen. Verbände kritisieren „Einschnitt für den Rechtsschutz“.

In Zukunft womöglich nur noch an wenigen Orten in Schleswig-Holstein vertreten: Justizia Foto: imago/Steinach

Kiel taz | Mit Plakaten und Sprechchören haben sich am Donnerstag Demonstrierende vor dem schleswig-holsteinischen Landtag versammelt, im Gepäck eine Petition gegen die Justizreform, die Ministerin Kerstin von der Decken (CDU) plant.

Mehr als 3.500 Unterschriften sammelte ein Bündnis unterschiedlichster Gruppen, darunter Gewerkschaften, Sozialverbände und Jurist:innen, gegen die Idee, Gerichtsstandorte zu schließen und Verfahren aus den Bereichen Soziales und Arbeit nur noch an einem Ort zu verhandeln. Nun steht eine juristische Prüfung der Reform im Raum.

Der Grund der Reform, die von der Decken im September vorstellte, ist schnell benannt: Es geht um Geld. Das Land schiebt einen Schuldenberg vor sich her, im Haushalt klafft eine Deckungslücke. Daher sind alle Ministerien aufgefordert, in ihrem Bereich nach Streichmöglichkeiten zu schauen.

„In einer idealen Welt würde man bei der Justiz nicht sparen“, sagte von der Decken, die selbst Juristin ist. „Wir sind allerdings nicht in einer idealen Welt.“ Im Haushalt ihres Ministeriums gebe es nur zwei Posten: Menschen und Gebäude. Beim Personal solle nicht gekürzt, sondern sogar noch um 25 Planstellen aufgestockt werden. Weniger ausgeben will das Land im Gegenzug für die Häuser.

Sanierungsbedarf 500 Millionen Euro

22 Amts- und vier Landgerichte gibt es zurzeit im Flächenland mit seinen rund drei Millionen Einwohner:innen. Dazu kommen das Oberlandes- und das Verfassungsgericht sowie Fachgerichte, etwa für Soziales und Arbeit mit je vier beziehungsweise fünf Standorten, oft nicht im selben Gebäude wie die Amtsgerichte. Viele der Häuser sind sanierungsbedürftig. Insgesamt wären rund 500 Millionen Euro fällig, um sie instand zu setzen.

Statt zu sanieren, will das Ministerium konzentrieren: Künftig sollen die Verfahren nun nur noch an einem Ort stattfinden. Im Gespräch ist Neumünster, das geografisch etwa in der Landesmitte liegt. Damit sollen für die beiden Bereiche Soziales und Arbeit nur noch je zwei Gerichte – für die erste und die zweite Instanz – übrigbleiben.

Die Ministerin verweist auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, bei der das bereits seit Längerem so ist. In einem zweiten Schritt der Reform könnte auch die Zahl der Amtsgerichte auf 15 gesenkt werden.

Grundfalsch“, finden das Christine Schmehl, Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes, und Michael Burmeister, Sprecher des Landesverbands der Neuen Richtervereinigung. Beide Gruppen sehen den ortsnahen Zugang in Gefahr, der gerade bei Sozial- und Arbeitsverfahren wichtig sei, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben.

Teils vertreten sich die Betroffenen bei solchen Prozessen selbst. Darunter sind zum Beispiel chronisch Kranke, die sich mit der Krankenkasse streiten, oder Bürgergeldempfänger:innen, die Einspruch gegen Bescheide erheben.

Ich halte es für unzumutbar, dass jemand aus Niebüll 140 Kilometer zum Gericht fahren muss

Bernd Buchholz, FDP

Kritik kommt auch von einem weiteren Duo, das meist auf verschiedenen Seiten steht: Ann Sophie Mainitz, Geschäftsführerin des Kieler Mietervereins, und Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, warnen gemeinsam vor steigenden Kosten, mehr Aufwand und längeren Verfahren.

Das betreffe etwa „Beratungsklassiker“ wie Mieterhöhungen, Betriebs- und Heizkosten. „Dabei wird häufig ein Ortstermin durchgeführt, der möglicherweise nicht mehr im erforderlichen Umfang stattfinden würde“, befürchtet Mainitz. Die geplante Reform sei ein „schwerer Fehler, ein tiefgreifender Einschnitt für den Rechtsschutz im Flächenland Schleswig-Holstein“.

Die Opposition ärgert sich vor allem über den Umgang des Ministeriums mit den Justiz-Beschäftigten, für die die Reform weitere Wege zur Arbeit bedeuten würde und die vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. „Eine Kommunikationsweise, die eher in die Kaiserzeit gehört“, sagt Marc Timmer (SPD). „Fassungslos“ über die Art des Verfahrens zeigte sich Bernd Buchholz (FDP).

Auch die Grünen als Koalitionspartner der CDU sehen die Reform kritisch, versprechen aber, einen geplanten „Beteiligungsprozess“ mit Justiz, Gewerkschaften und Ministerium „kritisch-konstruktiv mitzugestalten“, so heißt es in einem Antrag, den der Landesparteitag vor einer Woche verabschiedete.

Ministerin von der Decken versicherte, sie nehme die Sorgen ernst, erklärte aber: „Wir müssen die Strukturen so anpassen, dass wir sie zukünftig effizient betreiben und finanzieren können.“ Sie verwies auf neue Möglichkeiten, etwa Videoverhandlungen. Die FDP kündigte nun an, prüfen zu lassen, ob die Reform verfassungsgemäß ist: „Ich halte es für unzumutbar, dass jemand aus Niebüll 140 Kilometer zum Sozialgericht in Neumünster fahren muss“, sagte Bernd Buchholz.

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