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Weltuntergang am Schauspielhaus HamburgMensch, mach mal Pause

In „Der lange Schlaf“ soll sich die Natur ihren Lebensraum zurückerobern. Regisseur Philipp Stölzl inszeniert diese Dystopie Finnegan Kruckemeyers.

Lina Beckmann und Mehmet Ateşçi sind als einzige wach, während die Welt schläft Foto: Knut Koops

Nichts tun. Stille. Vielleicht wäre das die Lösung und die letzte Ausfahrt zur Rettung der Welt. Das zumindest ist Emilys Vision. Statt neuen Lebensraum im Weltall zu suchen, müsse man die Menschheit mithilfe eines Betäubungsgases für ein Jahr in einen „langen Schlaf“ versetzen. „Der lange Schlaf“, so heißt Finnegan Kruckemeyers Stück, das Philipp Stölzl am Hamburger Schauspielhaus als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert hat.

Wenn alle Menschen schliefen, so die These in dieser Dystopie, die im Jahr 2030 spielt, käme alle menschengemachte Umweltzerstörung zum Erliegen. Dann hätte die Natur Zeit, sich ihren Lebensraum zurückzuerobern.

Doch Emily (Sandra Gerling) ist in Kruckemeyers Stück nur eine kleine Regierungsreferentin, also eignet sich der cholerische Minister selbst (Samuel Weiss) ihre Idee an, agitiert, propagiert und versetzt im Anschluss an den ersten Akt dieses Weltuntergangsszenarios die ganze Menschheit in ein künstliches Koma.

Die ganze Menschheit? Nein! Zwei mit unbeugsamen – weil im Labor gezüchteten – Lungen ausgestattete Menschen leisten Widerstand. Irgendwas muss ja im zweiten Akt passieren, mag sich der australische Erfolgsautor gedacht haben. Irgendwer muss ja davon berichten, was während dieses „Sabbatical für die Natur“ alles gelingt und was schiefgeht. Und damit es zudem ein bisschen romantisch oder vielleicht sogar paradiesisch werden kann, sind die beiden Wachgebliebenen ein Mann und eine Frau. Sie heißen zum Glück nicht Adam und Eva, sondern Maggie und Pete.

Dornröschenschlaf mit Folgen

Lina Beckmann und Mehmet Ateşçi spielen die beiden und machen aus der vom Autor recht hinkonstruierten Begegnung eine großartige, zärtliche, anrührende, wilde und fremdelnde Kennenlernszene zwischen Rotwein und Rucksack, während derer in Filmeinspielern (Melwin Noe) fluffige Wolken über leere Straßen ziehen und sich rote Ampellichter in autofreiem Asphalt spiegeln.

Im dritten Akt erwacht die Menschheit wieder, sieht Vogel- und Bienenschwärme, aber auch wilde Hunde, tote Kühe und verbrannte Menschen. Der künstlich herbeigeführte Schlaf forderte seine Tribute.

Es gab Fluten in Nigeria und Waldbrände in Australien, es starben Freunde, Verwandte, Kinder. Entsprechend umstritten ist ein weiterer Lockdown, den Emily – inzwischen zur global agierenden Influencerin geshootet – aufgekratzt mit „Stille ist potent. Stille ist mächtig“ bewirbt.

Kruckemeyers Text ist ein ziemlich ambitioniertes Stück Theater. Das nicht nur die Klimakatastrophe weltumspannend – von Australien bis Argentinien – verhandeln, sondern tief in seine Dutzend Figuren hineinschauen will. Sie nahbar, ihre Handlungen nachvollziehbar machen will. Von Beziehungen und Alltag erzählen will, von Technik und Forschung, von Einzelschicksalen, Tod, Weltuntergang und Visionen. Von Eifersucht und Gier, von Größenwahn, von Lügen und von Liebe.

Wie schön ist der Weltuntergang?

Dem vielfach ausgezeichneten australischen Autor gelingt das – wie soll es anders gehen? – in Form von Klischees: egomanischer Politiker, beflissener Assistent, oberflächliche Moderatorin, ehrgeizige Referentin, sorgende Mutter, liebevoller Vater und ein Kind voll unverstellter Weisheit.

Trotz dieser sehr schablonenhaften Setzung ist die Inszenierung – streckenweise – sehenswert. In sechs von Neonröhren umrahmten Kuben entwirft Philipp Stölzl feine, hochrealistische Miniaturen. Schlaglichtartig und erzählerisch zugleich skizziert er Einblicke in verschiedene Leben, mit einem Ensemble, das alles leistet, um zumindest ein paar Figuren-Untiefen auszuloten.

Doch je länger der Abend andauert, desto mehr will er erklären, will nicht nur erzählen, sondern auch schockieren. Immer wieder werden oberhalb des Bühnengeschehens gestochen scharfe und allgegenwärtige Katastrophenbilder eingeblendet, von Dürre und Plastikmüll, Fluten und Bränden.

Sodass man sich bald fragt, ob man mit groben Klischees, großartigen Schauspieler*innen, der stimmungsvollen Live-Musik (Tristan Breitenbach) eines Streichquintetts und hochästhetischen Fotografien von Umweltkatastrophen wirklich vom Weltuntergang erzählen kann. So als wäre der eine schlichte, aber auch richtig schöne Sache.

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