Weltklimakonferenz und William Shatner: Planet earth is blue
Unsere Kolumnistin versucht, einen schönen Abend zu haben. Genervt von Pimmelprojekten stellt sie fest: There’s something I can do.
F ür manche ist ein Ausflug ins All ja inzwischen so normal wie für andere der ins Allgäu. Erst neulich hat William Shatner, besser bekannt als Captain Kirk, die Seele auf Blue Origin baumeln lassen, dem Raumfahrtunternehmen von Jeff Bezos.
Floating in the most peculiar way also, das wollten der beste Freund von allen und ich neulich auch. Wir hatten schließlich einiges zu feiern: Die Geburt unserer Tochter und meinen 40. Geburtstag.
Beides liegt zugegeben schon ein bisschen zurück, aber in unserem Raum-Zeit-Kontinuum spielen irdische Kategorien wie Tage und Wochen keine Rolle mehr. Dem Anlass angemessen reservierten wir für uns also im besten Restaurant der Stadt und für das Kind den besten Babysitter.
Schon im Auto aber saßen wir wie zwei traurige Astronauten nebeneinander, mit jedem Kilometer schien uns das Kind zu Hause um Lichtjahre zu entschwinden. Wir blieben tapfer, ein Leben da draußen muss möglich sein. Aber ach: the stars look very different today…
„Wir gehören nicht mehr hierher“
Als wir schließlich zwischen all den schicken, jungen und schönen Menschen und den coolen Bässen saßen, guckte mein Freund mich traurig über sein Glas hinweg an: „Wir gehören nicht mehr hierher.“ Ich hörte ihn kaum, hatte schon die Nummer des Babysitters gewählt – nur um kurz zu checken, ob alles o.k. sei. Doch alles was ich hörte, war ohrenbetäubendes Schreien. Kurz darauf standen wir wieder auf unserem verwüsteten Heimatplaneten.
Dies ist kein Plädoyer fürs lahme Daheimbleiben, ich bin wirklich sehr fürs Rausgehen. Ich gönne William Shatner und allen anderen jede Reise ins All von ganzem Herzen – schon weil ich selbst mal Astronautin werden wollte, (als ich wenig älter war als meine Tochter jetzt). Und klar, die Rettung des Klimas scheitert eher nicht an ein paar Raumflügen, sondern an unser aller Lotterleben auf der Erde.
Gleichzeitig nerven mich, desto älter ich werde, derartige Pimmelprojekte mehr und mehr. Ganz gleich, ob sie rückwärtsgewandt und revisionistisch wie der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam – Sie erinnern sich: erbaut vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., ideologisch vollendet von Hitlers Handschlag mit Hindenburg – ist oder vermeintlich progressiv wie die Suche nach Lebensmöglichkeiten auf dem Mars sind.
Immer ragen phallusartige Objekte in die eine (Vergangenheit) oder andere (Zukunft) Richtung. Gemein ist den Initiatoren beider Schulen, dass sie auf das eigentliche Leben einen Dreck geben.
Man muss selber machen, an den Unwilligen vorbei
Am Ende sind es aber eben doch die Pimmelprojekte, die sich durchsetzen – einfach weil jemand einfach macht, weil er oder sie genug Geld und wenig genug Skrupel hat. Drum wird auch die jetzt beginnende 26. (holy shit!) Weltklimakonferenz genau nix bringen.
Nett reden mit Machern ist Quatsch. Man muss einfach selber machen, und zwar besser. In Allianzen an den Unwilligen vorbei, so gut es eben geht. Genau das ist das Problem von vielen von uns Gutmeinern. Wir haben viele Skrupel und wenig Geld.
Deshalb ist es auch irgendwie verständlich, dass zwar „niemand mehr in so einer Kultur arbeiten möchte“, wie Ben Smith, NYT-Redakteur und der Mann, der Julian Reichelt zu Fall brachte, sagt, aber auch keineR: „Nein, danke, dann lieber arbeitslos“, sagt, wenn er oder sie merkt, man wird gerade aufgrund seiner „Fuckability“ eingestellt.
Ist auch nicht schlimm, der Weg an den Machern vorbei – ob das ein übergriffiger Chef ist, ein manipulativer Partner oder wirtschaftsliberale Politiker, ist mühsam, riskant und beschwerlich.
Auch emanzipieren muss man sich selbst
Und keine Frage, die Voraussetzungen sind übelst ungleich verteilt. Das ist unfair. Aber emanzipieren muss man sich immer auch selbst, leider meist, bevor es die anderen tun, und leider meist zuerst von den eigenen Vorstellungen.
Der beste Freund von allen und ich etwa sind eben nicht die coolen Eltern, als die wir uns selbst gern gesehen haben, und wahrscheinlich helfen wir dem Kind auch nicht gerade bei seiner eigenen Emanzipation. Trotzdem war sein tränenverquollenes Lachen, als wir noch vor der Vorspeise nach Hause kamen, besser als jedes Dessert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja