Weiterer Rechtsruck in Israel: Knesset ratifiziert Nationalitätsgesetz
Das neue Grundgesetz benachteiligt die arabische Minderheit. Arabisch ist nicht länger offizielle Landessprache.
„Das Nationalstaatsgesetz ist zweifellos der Tiefpunkt der chronischen Krankheit, die die Demokratie plagt“, meinte der arabische Abgeordnete Ahmad Tibi (Vereinte Liste). Ab sofort gäbe es zwei Gruppen von Bürgern: „Eine Gruppe der Juden, die Rechte haben, und eine andere der tolerierten Gäste“. Wenn das kein Rassismus sei, wisse er nicht, wie er es nennen solle. Tibi repräsentiert die knapp 20 Prozent arabischen Staatsbürger Israels. Da es sich um ein Grundgesetz handelt, war eine absolute Mehrheit bei der Abstimmung nötig.
Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzesreform auf den Tel Aviver Yizhak-Rabin-Platz gezogen. „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“, hieß es auf ihren Plaketen und: „Dies ist das Heim von uns allen.“ Auch Staatspräsident Reuven Rivlin distanzierte sich auf für sein Amt ungewöhnlich scharfe Weise von dem Gesetz, das „dem jüdischen Volk in der Welt und in Israel“ schaden könne.
Seit Wochen kontrovers diskutiert wurde vor allem der Artikel 7 des Gesetzentwurfs, der die ethnisch und religiöse Homogenität von Dörfern und Städten regelt. Dazu gehört auch der Grad der Religiosität. Konkret ändert das neue Gesetz wenig. Ethnisch und religiös homogene Ortschaften sind seit Staatsgründung Praxis in Israel. Vor allem die sozialistischen Kibutzim haben über die Jahrzehnte nicht nur keine Araber aufgenommen sondern auch keine religiösen Juden.
Jüdische Ortschaften werden bevorzugt
Umgekehrt sind zahlreiche arabische Dörfer ethnisch und religiös strikt homogen bevölkert, wobei sich der Wunsch der Juden Israels, in arabischen Ortschaften zu leben, nicht zuletzt aufgrund der sozioökonomischen Benachteiligung der Minderheit in Grenzen hält. Das neue Grundgesetz hebt allerdings speziell „die Entwicklung jüdischer Ortschaften“ hervor. Diese seien von „nationalem Wert“. Der Staat werde „die Gründung und Entwicklung solcher Ortschaften ermutigen und unterstützen.“
Der Likud-Abgeordnete Amir Ohana, Befürworter des neuen Gesetzes, sprach sich im parlamentarischen Plenum für den Erhalt des jüdische Charakters von Israel aus, denn „wir haben nicht, wie die arabische Nation, 21 Staaten, sondern nur diesen einen einzigen, kleinen Staat.“ Die Gesetzinitiative stammt indes nicht vom konservativen Likud sondern kam bereits vor zehn Jahren aus den Reihen der liberaleren Kadima, damals unter der Führung von Zipi Livni, die inzwischen zu den schärfsten KritikerInnen gehört. „Die Regierung steuert auf ein radikales Judentum zu, das in Stämmen lebt“, meinte Livni im Vorfeld des Knessetvotums. Das Gesetz ziele darauf ab, dass „Araber nicht zusammen mit Juden leben können“, es sei Wasser auf den Mühlen der BDS-Bewegung, die international zum Boykott von Israel und Sanktionen aufruft.
Auch das Israelische Demokratiezentrum (IDI) kritisierte das Grundgesetz, das Israels Unabhängigkeitserklärung und damit das Festhalten an gleichen Rechten für alle Staatsbürger, komplett ignoriere. Israel, so erinnert das IDI, gehöre zu den „wenigen Staaten der demokratischen Welt ohne eine Verfassung, die die Grundrechte festhält.“ Die Tatsache, dass das neue Gesetz Israel als nationales Heim des jüdischen Volkes definiert, ohne das Prinzip der Gleichberechtigung für alle Bürger festzuhalten, könnte „zu einer Unausgewogenheit zwischen dem jüdischen Staat und seinen demokratischen Werten führen.“
Jussef Dschabarin von der antizionistischen Vereinten Liste fühlt sich zum „2. und 3. Klasse-Bürger“ degradiert. Die 1. Klasse-Bürger hingegen kämen in den Genuss „von staatlichen Zuwendungen und jüdischen Ortschaften – Luxusbürger“, während die arabischen Bürger, „nichts abkriegen“. Dschabarins Parteichef Aiman Auda ließ im Verlauf der Debatte eine schwarze Flagge über dem Gesetzentwurf wehen und wandte sich vom Sprecherpodium aus auf Arabisch an seine Kinder, um ihnen die „Botschaft“ zu erklären, die das Gesetz beinhalte: „Dieser Stadt ist nicht Euer Staat.“ Aber, so setzte er hinzu: „Dies ist unsere Heimat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich