Weitere Verschärfung der Asylpolitik: 48 Stunden Zeit für Kritik
Innenministerin Faeser will Georgien und Moldau zu „sicheren Herkunftsländern“ erklären. Für Kritik von Verbänden gibt es kaum Zeit.
Überlegungen, den Status der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten auf weitere Länder auszuweiten, gibt es schon länger. Wer von einem so eingestuften Ort nach Deutschland flieht, erhält in den allermeisten Fällen kein Asyl. Union und FDP hatten dieses Instrument zusammen mit der SPD in den 1990er Jahren explizit beschlossen, um Geflüchtete aus Deutschland fernzuhalten.
Im Falle Georgiens und Moldaus ist höchst fraglich, ob die Situation sicher genug ist, um eine derartige Einstufung zu rechtfertigen. Über Georgien schreibt Amnesty International im jüngsten Länderbericht: „Oppositionelle wurden weiterhin Opfer selektiver Rechtsanwendung und politisch motivierter strafrechtlicher Verfolgung.“ Die Unabhängigkeit der Justiz sei gefährdet, Frauen und Mädchen oft sexualisierter Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Berichten über Folter durch Sicherheitskräfte werde nicht sorgfältig nachgegangen. Belgien nahm aufgrund solcher Berichte Georgien dieses Jahr von seiner Liste der sicheren Herkunftsstaaten.
Auch in Moldau, berichtet Amnesty, gebe es „Folter und andere Misshandlungen in Gewahrsam“ durch Sicherheitskräfte. „Die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) wurden nicht vollständig gewährleistet, sie mussten mit Schikanen, Diskriminierung und tätlichen Angriffen rechnen.“ Dazu kommt, dass in beiden Ländern Teile des Staatsgebiets unter russischer Kontrolle stehen, was die menschenrechtliche Lage zusätzlich unübersichtlich macht.
Scheinanhörung für Verbände?
„All das wird in dem Entwurf überhaupt nicht reflektiert“, sagte die rechtspolitische Sprecherin von ProAsyl, Wiebke Judith, der taz. Für sie steht fest: „Georgien und Moldau kommen als sichere Herkunftstaaten nicht infrage.“ Mit Blick auf das Vorgehen des Innenministeriums spricht Judith von „einer Scheinanhörung der Verbände“ und einem illegitimen „Hauruckferfahren“. Dies „deutet nicht auf eine ernsthafte Befassung mit den Einwänden hin.“
Der Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD) kritisierte das Vorgehen des Bundesinnenministeriums ebenfalls. Es entstehe „der Eindruck, dass eine kritische Begleitung durch Interessensvertretungen bewusst so weit wie möglich verhindert wird“. Die kurze Frist erschwere „eine echte Beteiligung einer größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Zivilgesellschaft erheblich“.
Auch den Inhalt des Entwurfs lehnt der LSVD ab: Es könne “keine Rede sein“ von „Sicherheit vor Verfolgung in allen Landesteilen“ Moldaus und Georgiens. In Letzterem hätte massive Gewalt etwa gegen Teilnehmende von Pride-Demonstrationen “seit Jahren System“. Daran werde deutlich, „dass in Georgien nicht nur der Staat nicht willens oder in der Lage ist, LSBTIQ* zu schützen, sondern dass der LSBTIQ*-feindliche Hass von weiten Teilen der Regierung auch noch systematisch befeuert wird“. Der Gesetzentwurf sei „ein neuerliches Einknicken vor populistischen Argumenten auf Kosten Schutzsuchender“.
Unklar, wie sich die Grünen verhalten
Das Tempo dürfte auch im weiteren Verfahren hoch bleiben. Schon in der nächsten Woche soll der Entwurf im Kabinett beschlossen werden. Die SPD- und FDP-Minister*innen tragen den Entwurf aller Voraussicht nach mit. Unklar ist noch, ob auch die Grünen Minister*innen zustimmen werden. Sie hatten zuletzt allerdings einige für sie bittere Entscheidungen in der Asylpolitik mitgetragen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte zudem in der Vergangenheit signalisiert, die engere Bindung Georgiens an die EU zu befürworten, wofür eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat eine wichtige Rolle spielt. Aus der Grünen-Fraktion wollte sich auf taz-Nachfrage bis Freitagmittag niemand zu dem Gesetzentwurf und dem Vorgehen des Innenministeriums äußern.
Die Asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, macht weiter Druck auf die Grünen: „Statt permanente Rechtsverschärfungen in Deutschland und auf EU-Ebene mitzutragen, sollten sich die Grünen ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch einmal vor Augen führen“, forderte sie. Die kurze Frist für die Verbände signalisiere „das absolute Desinteresse der Ampel an sachverständigen und fachkundigen Einschätzungen zum Thema“.
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