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Weiterbildungsprojekt für KünstlerinnenWeltumspannende Gedanken

Das Weiterbildungsprojekt Goldrausch feiert 30-jähriges Bestehen. Im November kann man Gesprächen mit den Künstlerinnen online folgen.

Ausstellungsansicht im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien mit den Hexen von Emily Hunt Foto: Merle Büttner

Die Hexen sind zurück. In einem Video von Rosanna Graf streift eine Frau durch den Wald, kämpft mit einem schlangengleichen Tau. Wie eine Alraune, eine Pflanze, der ob ihrer Menschenähnlichkeit magische Kräfte zugetraut werden, ist das Kissen geformt, von dem aus man ihren mysteriösen Weg beobachten kann.

Das aktuelle Interesse an den Hexenfiguren, denkt Rosanna Graf, könnte etwas mit dem Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber vielen sozialen und ökologischen Schieflagen der Gegenwart haben. Geheime Kräfte als Gegenbild beschwören.

Rosanna Graf ist eine der fünfzehn Künstlerinnen, die 2020 am Professionalisierungsprogramm Goldrausch teilgenommen und jetzt eine Gruppenausstellung im Kunstraum Kreuzberg aufgebaut haben. Die ist vorerst im November nur online zugänglich, jeweils donnerstags ab 19 Uhr, wenn sich je fünf Künstlerinnen im Gespräch mit ihren Arbeiten präsentieren. Die Eröffnung ist auf den 1. Dezember verschoben.

Neben Rosanna Graf hat sich auch Emily Hunt, eine Künstlerin aus Australien, dem Hexenthema zugewandt und mit vielen kleinen Keramikfiguren eine an einen Altar erinnernde Installation aufgebaut. Die Erinnerung an Volkskunst und Souvenirs, an Krimskrams und Nippes, an Dekorationswut und Horror Vacui steckt in dieser erstaunlichen, überbordenden Ansammlung von kleinen Hexen, von aufragenden, mit Ringen geschmückten Fingern, von Skulpturen aus Schneckenhäusern, alles in schwelgerischen Farben, mit vielen Symbolen verbunden.

Goldrausch

Die Ausstellung läuft im Kunstraum Kruezberg/Bethanien, Berlin, bis zum 10. Januar. Z.Zt. geschlossen. Weitere Informationen: goldrausch.org

Diese Installation ist wie ein Heimathafen für ästhetisch Verbanntes, Altmodisches, Aussortiertes. Das macht sie sympathisch, auch wenn sie in ihrer Botschaft, im Spiel mit esoterischen Symbolen, nicht ganz zu durchdringen ist.

Die Kraft der Transfomation wird der Hexe zugesprochen, und um Prozesse der Transformation geht es auch bei anderen Künstlerinnen der Ausstellung mit dem Titel „Sirene“. Yasemin Bassir aus dem Iran beschäftigt sich mit Ton als Träger menschlicher Spuren; über mehrere Jahre drückte sie mehrmals am Tag ihren Daumen in kleine Tonstücke, die dann, in der Landschaft ausgebracht, ein Zeugnis von Anwesenheit und Abwesenheit bilden.

Chan Sook Choi aus Südkorea imaginiert in ihren Videos monumentale Prozesse der Landschaftsveränderung, die einen Hintergrund in der Recherche über Aneignung, Veränderung und Ausbeutung der irdischen Ressourcen haben. Die Schweizerin Caterina Gobbi greift in einer Soundinstallation die Töne von Gletschern auf und die Geschichten der ersten als Bergsteigerinnen bekannt gewordenen Frauen.

Silvia Noronha, in Brasilien geboren, beschäftigt sich mit geologischen Prozessen in ihren Skulpturen. Juliane Tübke sammelt Geschichten, wie das Wetter das Leben der Menschen beeinflusst.

Die Teilnehmerinnen kommen aus der ganzen Welt

Über 225 junge Künstlerinnen bewarben sich, für knapp 7 Prozent gab es Plätze

Das sind viele weltumspannende Bewegungen und Gedanken, denen die Künstlerinnen in dieser Ausstellung folgen. Recherche verbindet sich mit den verschiedensten visuellen und erzählerischen Strategien. Dass die Kursteilnehmerinnen so international sind, liegt, so sieht es Hannah Kruse, Leiterin des Projekts und mit Surya Gied, selbst Künstlerin und ehemalige Goldrausch-Teilnehmerin, Kuratorin der Ausstellung, an der Internationalisierung des Berliner Kunstbetriebs.

Für diesen Jahrgang des Goldrausch-Kurses, der Frauen zu mehr Sichtbarkeit im Kunstbetrieb verhelfen will und zu mehr Kompetenz als Unternehmerin, hatten sich über 225 junge Künstlerinnen beworben, für knapp 7 Prozent gab es Plätze.

Viele Kurse mussten dieses Jahr online laufen; Künstlerinnen aus Südkorea oder Brasilien konnten zwar lange nicht zurück nach Berlin, aber dennoch teilnehmen. Früh suchten die Teilnehmerinnen den Kontakt zu einem weiteren Medium der Verbreitung, falls Ausstellungsbesuche flachfallen, wie jetzt geschehen. Deshalb gibt es eine Kooperation mit Cashmere Radio, einer digitalen Radiostation.

Zudem hat der Goldrausch-Kurs ein Jubiläum zu begehen, vor dreißig Jahren wurde die Postgraduierten-Ausbildung für junge Künstlerinnen das erste Mal angeboten. Deshalb werden auf die Website goldrausch.org.de nach und nach Beiträge aus dem Archiv gestellt. Damals gab es das Wort Gender Pay Gap noch nicht, die Vernachlässigung von Künstlerinnen im Kunstbetrieb aber war offensichtlich.

Aktuelle Studien zur Benachteiligung von Künstlerinnen

Dass Frauen in der Kunst noch immer mehr Hürden als Männer zu nehmen haben, kann Hannah Kruse mit mehreren aktuellen Studien zu Einkommen, Marktpräsenz und Ausstellungshonoraren belegen. In der bildenden Kunst lag die Gender Pay Gap 2019 bei 28 Prozent, bei jungen Künstlerinnen, das zeigte eine Studie der Hamburger Hochschule, sogar bei 50 Prozent. Sie sind die Zielgruppe, mit der Goldrausch arbeitet.

In der Ausstellung gibt es auch eine großartige Filminstallation der russischen Künstlerin Kristina Paustian. Es ist ein Aufbruch ins Unbekannte, Landschaften und Städte, deren Ansichten Staunen machen. Mit choreografischen Mitteln hat Paustian Einzelfiguren und Gruppen inszeniert, Prozessionen vor eindrucksvollen Kulissen, Tänze in der Natur.

Auch wenn sich nicht immer erschließt, auf welchen Kontext der Geschichte und Philosophie sich die Künstlerin bezieht, so haben ihre Bilder dennoch eine große Anziehungskraft. Hoffentlich kann man sich der bald vor Ort widmen.

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1 Kommentar

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  • Der Punkt

    Noch besser wäre es allerdings,



    wenn man von der Kunst einigermaßen leben könnte.



    DAS



    ist und bleibt der ganz wunde Punkt.



    Da wird nix gemacht---