Weihnachtsmärkte mit Poller: Heimelig soll es sein
Photogeshopte Fichten, Eierpunsch und Zugluft. Ein Nachmittag auf dem Wintermarkt am Potsdamer Platz, dem traurigsten Ort der Erde.
Als die weltbesten Architekten ihre schlechtesten Gebäude dahin gesetzt hatten, brachten sie den sogenannten urban breeze mit; die Luft muss zwischen den Hochhausschluchten hindurch, wird zusammengepresst und beschleunigt. Deshalb zieht es immer am Potsdamer Platz.
Einer findigen Firma namens Bergmann Eventgastronomie kommt das zugute, seit Jahren schon. Das Unternehmen veranstaltet auf dem eigentlichen Potsdamer Platz – dort, wo eine auf alt gemachte Verkehrsampel an die 1920er Jahre erinnern soll, als der Platz wirklich mal urban war – einen, hm, ja, was eigentlich?
Bergmann Eventgastronomie nennt es „Wintermarkt“ – aber bitte, wir diskutieren jetzt nicht mit AfDlern oder AfD-Artigen, die meinen, aus Rücksicht auf irgendwen dürften Weihnachtsmärkte in Deutschland nicht mehr Weihnachtsmärkte heißen, sondern seien umbenannt worden, auf Befehl von oben womöglich.
Ein Kruzifix hinter Gerümpel
Nein, nein, alles gut; in der „Salzburger Schmankerl Hüttn“, die Bergmann Eventgastronomie zwischen Bahnhofsausgang, mobilen Stromkästen und Renzo Pianos spitz zulaufendem Hochhaus aufgebaut hat, hängt hinter allerlei alpenländischem Gerümpel sogar ein Kruzifix, etwas versteckt, aber anmutig beleuchtet mit grünem Flackerlicht.
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Es ist also christlich-abendländisch alles voll korrekt; und Wintermarkt heißt es nur, weil der Spaß jetzt schon beginnt und die Weihnachtszeit ja erst im Advent. Der Markt von Bergmann Eventgastronomie, der am 27. November auf dem Alexanderplatz steigt, heißt außerdem Weihnachtsmarkt. Dass da jetzt keine Gerüchte in die Welt gesetzt werden.
Was aber macht nun einen Wintermarkt aus? Er ist natürlich nur ein verschämter Weihnachtsmarkt und wurde im Lokalradio auch als solcher angekündigt. Er spielt mit dem Drang des Menschen nach Heimeligkeit, und ob da nun auf dem umlaufenden Plastikplanenbanner Sterne und Engelshaar glitzern oder, wie am Potsdamer Platz, extrem photogeshopte Fichten unter Schneemassen ächzen, ist eigentlich egal.
Heimelig also muss es sein, Winter muss vorgespielt werden. Und insofern passt es, dass just in dem Moment, als man sich auf diesem Markt ein wenig umsehen und sein Geheimnis erkunden will, aus einer einsamen Lautsprecherstele der alte Fleetwood-Mac-Song tröpfelt: „Tell me lies, tell me sweet little lies“.
Es weht der urban breeze
Denn das, was so etwas wie Winter macht, ist nur der perfekten Platzierung der Budengasse geschuldet, bestehend aus Holztischen, die mit ihren Dächern aussehen wie Vogelhäuschen aus dem Baumarkt. Sie stehen in einer Reihe genau dort, wo aus der Alten Potsdamer Straße der urban breeze am stärksten durch den Platz pfeift und in diesen Tagen tatsächlich eine Kälte aufkommen lässt, die an Winter erinnert.
Wenn man nicht schnell genug weg ist, muss man also quasi bleiben, um für 3,50 Euro einen Eierpunsch, Glühwein oder ein anderes Heißgetränk zu sich zu nehmen. Und ist dann schnell dabei, weil auf einem Bein steht man ja so schlecht und so weiter. Hicks, die Källllde spürd mandannn aunimmer so.
Man kann auch umherschlendern und sich von der Atmosphäre verzaubern lassen. Der Duft von leckerer Bratwurst weht durch die Budengassen, in denen leise Musik erklingt. Darf es ein saftiges Steak sein oder Pilze in pikanter Soße? Gaumenfreuden bereiten auch knusprige Waffeln, fluffige Schmalzkuchen oder leckere frisch gebrannte Mandeln. Derweil jauchzen fröhliche Kinder im liebevoll gestalteten Märchenkarussell.
Äh, nein. Tell me lies, tell me sweet little lies. Den Weihnachtsmarktlokalzeitungsberichtsound drehen wir schnell wieder ab. Der Glühwein riecht billig, angegrillte Würstchen stapeln sich und warten, an einer Pommesbude warnen Aufkleber „Vorsicht, Fettspritzer“, und das Kinderkarussell steht still.
Der dazugehörige Mann in seiner Bude trägt eisgrauen Winterpullover, extragroße Armbanduhr, raucht Filterlose, auf dem Tischchen vor sich liegt ein Kreuzworträtsel. Aus seinen Boxen schwingt „Summer Dreaming, Bacardi Feeling“.
Hat er das aufgelegt?
Ja.
Bacardi Feeling auf dem Wintermarkt?
Er nur: „Kinderkarussell.“ Aha, so, so. Stimmt, Bacardi kann man auch im Winter trinken. Wärmt.
Der Karussellbetreiber ist ein wortkarger Ruhrpottler. Muss man sich mal vorstellen: Er kommt seit 14 Jahren den weiten Weg aus dem Westen, um in Berlin sein Fahrgeschäft aufzubauen.
Gibt’s denn hier keine Karussells?
„Is doch alles voll mit Weihnachtsmärkten“, sagt er. Das heimische Kinderkarussellaufkommen also wohl erschöpft.
Aber lohnt sich das denn für ihn? „Ja.“ Oder eher: „Jau“, was echt gut gelaunt klingt.
Bis 31. Dezember steht er mit seinem Karussell da, hat so lange eine Wohnung in Berlin gemietet, danach geht’s zurück in den Pott. Heute habe er schon neun Kinder befördert, sagt er. Und: „Kommen bestimmt auch noch welche.“
„Echte Männer fahren Traktor“
Umgeben ist sein Karussell von eigentümlichen Buden, in denen es eine Art Partykellergrundausstattung für vorrangig Bayern-München- und Borussia-Dortmund-Fans gibt. Bierhumpen mit Vereinswappen, Schals, Trikots, Wimpel, aber auch Blechschilder mit so lustigen Sprüchen. „Im Himmel gibt’s kein BIER, drum trinken wir es HIER“ – „Echte Männer fahren Traktor“. Ein Klo-Wegweiser, auf dem steht „Pipi Kaka Land“.
Es ist dieser Wintermarkt, sagen wir es ruhig, ein ganz und gar trauriger Ort. Selbst die Rodelbahn, die sie dort aufgebaut haben, sieht aus wie die letzte Skipiste, bevor der Klimawandel voll durchschlägt. Schmutzigweiße Matten als Untergrund. Wer es mag, kann für 1,50 Euro auf Gummiringen runtersausen, eine kurze Zeit, dann wird er durch schwarze Fußabtreter gebremst.
Ach, vielleicht ist man doch zu skeptisch geworden. Umringt ist dieser Markt von Betonsperren, die aus Polen herangeschafft wurden, Marke „Fiedor bis“.
Jeder Winter- oder Was-auch-immer-Markt ist jetzt ein „Ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz“-Markt. Der Wintermarkt von Bergmann Eventgastronomie wäre ohne diesen Kontext nicht schöner, keinesfalls heimeliger, aber es wird dem Besucher, wenn er einigermaßen bei Sinnen bleibt, klar, dass alles anders ist, als es irgendwann mal war.
Connie Francis singt
Da gehen ein paar Leute über den Platz, die so aussehen, wie sich eifrige Polizisten jemanden vorstellen, der was im Schilde führt, und sie kontrollieren sie dann auch gleich. Fast im selben Moment trällert Connie Francis „Schöner fremder Mann“ aus der Lautsprecherstele, das man heute, mit dem Hintergrund der Nafri-Debatte, nur noch falsch verstehen kann. Oder richtig. Alles kompliziert.
Vielleicht macht genau das auch diesen Ort aus: Erst friert man, dann wärmt man sich am ersten Glühwein, dann hat man schwarze Gedanken und ersäuft die Kompliziertheit der Gesamtlage in weiteren Getränken. Und irgendwann taumelt man weg.
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