Weihnachten für umme (19): Ein Schrein für Essen und Gefühle
taz-Adventskalender: Kunst kommt nicht von Kosten. Manche verirren sich auf der Suche nach Braunbären oder einem Flat White in eine temporäre Schau.
Die taz Berlin sucht in Zeiten von Inflation und Energiekrise Türchen für Türchen nach Wegen, wie es ganz ohne Geld etwas werden kann mit dem ach so besinnlichen Fest.
Dunkel und leer liegt der Zwinger im Köllnischen Park hinter dem Märkischen Museum. „Bitte nichts in das Freigehege werfen! Unser lieben Bärenkinder sollen gut gedeihen“, steht auf einem emaillierten Schild mit dem alten Ostberliner Stadtwappen – aber schon bevor die letzte „Stadtbärin“ 2015 starb, hatten Senat und Bezirk entschieden, künftig den Tierschutz höher zu halten als den fragwürdigen Werbeeffekt eines Wappentiers mit Fütterungszeiten.
Und doch trügt der Schein: Nachdem wir die Anlage mit den beiden halbkreisförmigen Freiflächen und dem gedrungenen backsteingotischen Bau in der Mitte umrundet haben, stellt sich heraus, dass dieser Ort alles andere als tot ist. Der indische Künstler Sujatro Ghosh empfängt uns am Eingang des Kunstorts Bärenzwinger, der seit einigen Jahren von jungen KuratorInnen im Auftrag des Bezirksamts Mitte bespielt wird.
„Roaming Winters“ heißt die aktuelle Schau, was man vielleicht mit „Winter durchstreifen“ übersetzen könnte. Zusammen mit der Künstlerin Stephanie Imbeau gestaltet Ghosh, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, das Gebäudeinnere. Wir durchqueren den zentralen Raum, in dem Imbeaus textile tragbare Häuser von der Decke hängen, und winden uns durch eine kleine Öffnung in einen der Käfige, wo früher „Schnute“, „Tilo“ oder „Maxi“ ihr Leben fern der Natur absaßen.
Auf Regalen an der Wand hat Ghosh Einmachgläser mit konservierten Lebensmitteln platziert – Getrocknetes, Eingelegtes, Fermentiertes. Im Halbdunkel des Käfigs wirkt das ein wenig wie ein Schrein, aber keine Gottheiten werden hier verehrt, sondern eher ein Gefühl. „Der Winter ist die Zeit, in der wir unsere Vorräte aufbrauchen“, sagt Ghosh, „aber auch eine Zeit, in der wir eine innere Verbindung zu den Orten herstellen, wo wir herkommen.“
Für den 32-Jährigen ist das Kalkutta, aber auch Delhi, wo er zuletzt gelebt und gearbeitet hat, bis seine fotografische Arbeit ihn in Bedrängnis brachte. Selbst Morddrohungen bekam er von Hindu-Extremisten für die Bilderserie, auf denen Frauen in öffentlichen und privaten Räumen mit einer Kuhmaske auf dem Kopf zu sehen sind. Das wirkt irritierend albern und gleichzeitig bitterernst, verweist es doch auf die prekäre Situation in einem Land, in dem – so Ghoshs Botschaft – Kühe heute mehr Schutz genießen als Frauen.
Die Kälte in den Knochen
Der Berliner Winter macht Ghosh zu schaffen, wie er lachend einräumt: „Die Kälte geht einem bis in die Knochen, das hat wirklich etwas Feindliches.“ Für den Künstler aus Bengalen, wo 1943 mehrere Millionen Menschen bei einer Hungersnot starben, gibt es andere Anknüpfungspunkte zum Thema Nahrung, die für unser physisches Überleben essenziell ist, aber auch menschliche Bedürfnisse wie Zusammenkunft, Teilen und Genießen erfüllt.
Auch Ghoshs Arbeit, die mehrere der ehemaligen Bärenkäfige umfasst, lädt zur Teilnahme ein: BesucherInnen können prägende Erfahrungen mit gemeinschaftlichem Essen aufschreiben und einem kleinen Archiv hinzufügen, sie dürfen auch leere Gläser mitnehmen und gefüllt wiederbringen. Im Januar und Februar soll es Näh-, Koch- und Lese-Sessions im Zwinger geben. Bisweilen stehen die Leute auch völlig ahnungslos in der Tür: „Manche suchen immer noch nach den Bären oder halten uns für ein Café“, sagt der Künstler und grinst. „Daraus ergeben sich meistens sehr gute Gespräche.“
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