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Was ist eine Frau?Spekulationen und Paranoia

Kommentar von Jyn Rimmele

Die aktuellen Diskussionen um Trans-Rechte dienen vor allem der Selbstvergewisserung einer Gesellschaft, die von ihren Vorurteilen nicht lassen mag.

Trans-Flagge im Gendersternchen Foto: Foto: Valeria Venezi/imago, Luisrftc/getty images

D erzeit diskutiert Deutschland mal wieder darüber, was eine Frau ist. Und darüber, ob die Selbstdeklaration nach dem Selbstbestimmungsgesetz ausreicht, um das zu beurteilen. Die Diskussion verdanken wir dem Sieg einer trans Frau vor dem Landgericht Frankfurt gegen das rechte Portal Nius, verdanken wir Nazis, die Nazi-Dinge tun, und CDU-Innenministern, die konservative Dinge tun. Um die Situation von trans Personen geht es in der Diskussion nicht.

Es geht nicht um die Lücken in der Gesundheitsversorgung. Es geht nicht um die Lücken im Gewaltschutz. Schutzhäuser sind trotz der Realität häuslicher Gewalt nicht immer zugänglich.

Es geht nicht um rassistische, trans­phobe und transmisogyne Erzählungen, wie jene gegen die Schwarze trans Frau Cleo, die im Zuge ihres Gerichtsprozesses im April dieses Jahres und ihrer Verurteilung wegen Totschlags zum Zentrum der öffentlichen Schaulust wurde. Gutachterlich wurde festgestellt, dass sie in ein Männergefängnis gepackt und ihr gesamtes Verhalten als manipulativ abgestempelt wird. Dass für sie das Selbstbestimmungsgesetz ohnehin nicht zugänglich ist, weil sie eine abgelehnte Asylbewerberin ist, spielt dabei keine Rolle.

Nein, die laufende Diskussion dient vor allem der Herstellung eines transfeindlichen und vor allem transmisogynen gesellschaftlichen Klimas. Ein Coming-out wird durch die Diskussion schwerer. Sie nährt die gesellschaftliche Paranoia. Wann ist eine trans Frau Frau genug, um nicht misgendert zu werden?

Queere Queerfeindlichkeit

Stattdessen könnte man über den Fall der inzwischen wohl nach Russland geflüchteten Marla-Svenja Liebich sagen: Liebich kann sich identifizieren, wie Liebich das möchte. Und das ist das Gute am Selbstbestimmungsgesetz. Wir können über die Absichten spekulieren, und vielleicht waren sie finster, aber es bleiben Spekulationen. Liebich war für Queerfeindlichkeit bekannt, das wäre aber unter Queers kein Alleinstellungsmerkmal. Die Diskussion über den Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes hat mit Liebich nichts zu tun, sondern ist dem Wesen des Selbstbestimmungsgesetzes geschuldet, welches überall den Verdacht eines Missbrauchs hat.

Ein anderes Beispiel ist der Fall des Amoklaufes durch eine trans Frau in den USA letzte Woche. Sofort greifen rechtsradikale Nachrichten die Transgeschlechtlichkeit der Täterin auf und sehen einen manipulativen Mann am Werk. In deutschen Medien wird die Täterin nun regelmäßig misgendert. Den unmittelbaren Schaden davon tragen trans Menschen, allen voran trans Frauen.

Auch mittel- und langfristig wird der Fall Liebich der Community schaden. Innenminister Dobrindt hat bereits ankündigt, das Selbstbestimmungsgesetz für agender, trans, inter und nonbinäre Menschen zu verschärfen. Also genau das zu tun, was die CDU im Wahlkampf ankündigte, nur jetzt mit perfekter Rechtfertigung für die Paranoia.

Und dabei sind die derzeit angestrebten Sonderregister noch nicht mal erwähnt. Für all jene, denen diese entgangen sind: Die CDU/CSU fordert Sonderregister, in welchen die Personenstandsänderungen von queeren, agender, trans, inter und nonbinären Menschen festgehalten werden sollen. Warum das jahrzehntelang unter dem alten Transsexuellengesetz kein Problem war, erklären sie nicht.

Rechter Kulturkampf

All diese Fälle werden dafür sorgen, dass trans Menschen, vor allem trans Frauen, stärker und härter von der Gesellschaft beargwöhnt werden und ihr Frausein abgesprochen bekommen. Hier findet genau das statt, was radikalere Stimmen in der Beratung über das Selbstbestimmungsgesetz vorhergesagt haben. Am Ende müssen Gerichte die Arbeit erledigen, indem trans Menschen in mühsamen, kostspieligen und langwierigen Prozessen ihr Recht erstreiten. Aber dann immer noch nicht anständig versorgt sind, während der rechte Kulturkampf weitergeht.

Es ist auch eine Frage der Intersektio­nalität: Inwiefern akzeptiert dich die Gesellschaft wirklich und was braucht es, um nicht mehr akzeptiert zu sein? Das ist nicht nur ein Kampf, den trans Menschen führen, sondern jede Minderheit, die gesellschaftlich unterdrückt wird. Und gerade mehrfach marginalisierte Menschen wie Cleo sind da am schlechtesten dran.

Alle diese Fälle zeigen trans Menschen, wie konditional die Mehrheitsgesellschaft unser Geschlecht toleriert. Sie stellt ihre eigenen Vorurteile nicht infrage, sieht in Transgeschlechtlichkeit vor allem einen Trick und glaubt, die Biografie jeder trans Frau ausleuchten zu müssen, um den Fall beurteilen zu können. Die Pflicht zu Gutachten wurde durch eine gesamtgesellschaftliche Begutachtung abgelöst.

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