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Was für ein beschissenes JahrAm besten, Sie ertränken den Dry January in trockenem Sekt

Jeder Fünfte will eine rechtsextreme Partei wählen, der mächtigste Mann der Welt macht Jagd auf Minderheiten. Wie soll man diesen Horror verkraften?

Trocken, Halbtrocken oder Lieblich? Alles egal so lange es nicht braun ist Foto: Peter Endig/dpa

W enn ich Leser dieser Kolumne wäre und nicht Autor, würde ich an dieser Stelle aufhören. Legen Sie mich weg, schauen Sie aus dem Fenster, schauen Sie Ihre Liebsten an, vielleicht sitzen die gerade neben Ihnen. Ich schreibe hier weiter, bis die Spalte voll ist, so wie alle nun schon drei Wochen lang einfach immer weitermachen in diesem beschissenen Jahr, jeden Tag.

Meine letzte Kolumne wagte einen optimistischen Jahresausblick, und eine Kollegin sagte, ich solle doch wieder was Lustiges schreiben, aber lustig ist gerade aus, wird hoffentlich bald wieder geliefert. In Deutschland will laut Umfragen jeder Fünfte eine rechtsextreme Partei wählen. Der mächtigste Mann der Welt macht Jagd auf Minderheiten und begnadigt Menschen, die den demokratischen Staat kaputt machen wollen, dem er vorsteht. In Deutschland ersticht ein psychisch kranker Geflüchteter ein Kind im Park.

Wie soll man diesen Horror verkraften? In der Redaktion sprechen KollegInnen darüber, weniger Nachrichten konsumieren zu wollen – außer natürlich tolle Texte in der taz. Guter Journalismus ist immer noch die beste Medizin und macht die Welt etwas erträglicher. Was noch? Mut hilft. Wie die Bischöfin von Washington ihn gezeigt hat, die Trump in ihrem Gottesdienst ins Gewissen redete. Und Zusammentun hilft. In ganz Deutschland wird wieder für eine offene Gesellschaft demonstriert. An diesem Wochenende finden überall Demos statt, auf taz.de steht, wo und wann.

Ansonsten kann ich empfehlen, alle guten Vorsätze über Bord zu werfen, den Dry January in trockenem Sekt zu ertränken, mit Freunden zu tanzen und Schokolade zu essen. In der Redaktion ist keine Tafel vor mir sicher.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Linksliberalen sind traurig und hilflos

Das Einzige, was sich wirklich zu fasten lohnt, ist das Internet. Seit auch Mark Zuckerberg offiziell zu den Bösen gehört, kann man sich dabei sogar moralisch überlegen fühlen. Mir reicht die Weltlage, ich muss mir nicht auch noch schöne Fotos von erfolgreichen KollegInnen anschauen, wenn ich schlechte Laune haben will.

Da ich das Internet weitgehend faste, besteht die einzige Politik, die ich ungefiltert in kleinen Happen zu mir nehmen muss, aus den Wahlplakaten am Straßenrand auf meinem Weg zur Arbeit. Hier ist Augenverschließen vor der Wirklichkeit keine Option, sonst Fahrradunfall.

Kein Plakat dieses Wahlkampfs fasst dabei die Traurigkeit und strategische Hilflosigkeit der Linksliberalen so gut zusammen wie das von Bundeskanzler Olaf Scholz, der vor einer wehenden Deutschlandfahne steht und uns stumm zuruft: „Mehr für dich. Besser für Deutschland.“ Präziser kann man den nationalen Egoismus, der die Sozialdemokratie nach drei Jahren Ampel und Zeitenwende ersetzt hat, nicht zusammenfassen.

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Im letzten Wahlkampf, so schien es, hatte Olaf Scholz noch seine Kritische Theorie der Anerkennung gelesen. „Respekt“ war das Stichwort, das ihn ins Kanzleramt trug. Heute bekommen wir von der SPD nur eine billige, patriotische Kopie des liberalen Mantras: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Man fragt sich, ob Lars Klingbeil, der ja als Mastermind des SPD-Wahlsiegs von 2021 gilt, eine extraschlechte Kampagne in Auftrag gegeben hat, um Olaf Scholz endlich los zu sein.

Auch Robert Habeck guckt gequält

Das andere Plakat, das in diesem dunklen Januar noch eine Weile hängen bleibt, wenn man längst daran vorbeigefahren ist, kommt von den Grünen. „Zuversicht“ steht darauf. Dazu schaut einen Robert Habeck an. Er guckt nicht besonders zuversichtlich. Und dieses leicht Gequälte in seinem Blick, das trifft mich irgendwie durch die dicke Winterjacke. Mit Habecks Pathos kann ich nichts anfangen, aber mit jemandem, der gequält lächeln muss, wenn alles beschissen ist, schon.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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9 Kommentare

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  • Nüchtern betrachtet ist der Vorschlag, bewußt Alk einzusetzen gegen Weltschmerz, irrsinnig. Genau so wird man Süchtig, und wer jemals im persönlichen Umfeld die Leidensgeschichte eines Alkoholkranken und seiner Familie und Freunde mitbekommen hat, schreibt nicht solche Zeilen. Das ist nicht lustig, das ist absurd.

    Drogen bewußt einzusetzen gegen Lebensprobleme ist genau das, vor dem Fachleute warnen. Denn so gerät man in den Strudel.

    Probleme können schwimmen! So lautet ein alter Spruch aus dem Bereich der Suchtbekämpfung. Und die politischen Probleme überdauern mit absoluter Sicherheit einen einzelnen Rausch, also muss man weitersaufen.

    Das ist eine gefährliche Überschrift, und eine destruktive Idee!

    Niemand wird die Kraft haben etwas gegen das hier kritisierte zu tun, wenn er sich besäuft!

  • Sie brauchen Urlaub, mal ganz raus aus dem Mist, einen schönen starken Kaffee und jemanden, der lieb zu Ihnen ist.



    Und zwar jetzt sofort.

    Damit sind keine Probleme weg, aber die werden warten bis Sie mit neuer Kraft wieder da sind.

    Und unbedingt tanzen.

    • @Ninotschki:

      Urlaub, Tanzen. Danke, das klingt gut. Denn das gibt Kraft.

  • Lieber Kersten Augustin, wenn sie meine Krankenakte sehen würden, kämen ihnen die Tränen. Aber Leute wie mich, gibt es haufenweise, ein Schicksal schlimmer als das andere; aber alle machen weiter. Wir sehn uns in den Wartezimmern der Uni-Kliniken oder anderen Arztpraxen. Man kennt sich schon lange und redet über die Welt. Es sind alles anteilnehmende Menschen, die wissen was ein schweres Schiksal ist und Trump ist für sie der nackte Horror, aber alle haben eine Gewissheit: eines Tages erwischt es ihn auch noch, mit Krankheit, Alter, Hinfälligkeit und Tod.

  • es gibt hoffnung: der anstieg der stimmen für die LINKE über 5%.



    auf daß es damit weitergeht!

    und auf jeden fall tanzen ... wie bei einer party, die die linke-eimsbüttel dieser tage organisierte - mit tischtennis (taz berichete).



    diese party war lt. insiderin total überfüllt + die jugendlichen ab 16 glücklich über 0-eintritt + freigetränke.

    endlich ist die bsw-truppe raus aus der linken.



    auf



    - daß diese der linken nicht die nötigen stimmen klaut, um in den bundestag bzw. in die hamburgische bürgerschaft zu kommen.

    - daß die bürgerlichen medien den social media star sw nicht weiter pampern - das schadet nämlich der linken + nützt den rechten + rechts-außen.

  • Wenn es schlimmer kommt Dry Martini, gerührt und nicht geschüttelt.

    • @starsheep:

      Wenn man nicht so gut tanzen kann wie Scheuer, Merz, Trump und Musk, traut man sich vielleicht nicht...

  • Persönlich empfehle ich Bio-Sekt oder Bio-Secco. Geht in der alkoholfreien Variante schon vor dem 1. Februar.

    Ein bisschen mehr Zuversicht als Habeck macht die Entwicklung in Nahost. Es ist nicht alles blau - braun.