Warnstreiks in Kitas: „Wickeln schreckt ab“

Windeln wechseln, Gespräche führen und auf die Kinder aufpassen: Eine Erzieherin, ein Erzieher und eine Leiterin haben ihren Kita-Alltag protokolliert.

Diese Babys sind zwar süß, machen aber auch viel Arbeit. Bild: dpa

„Einen Bildungsplan für die Kita gab es auch in der DDR schon. Der wurde sehr stringent umgesetzt. War Mathematik dran – wir haben Mengenlehre gesagt –, haben alle Kinder der Gruppe das Gleiche geübt. Der Kindergarten war nötig, weil alle arbeiten gingen, aber in erster Linie war er auch eine Bildungseinrichtung.

Nach der Wende hat sich die Gesellschaft verändert, und auch an der Kita wurde vieles umstrukturiert. Der DDR-Bildungsplan galt nicht mehr. Die Betreuung stand, wie in der Bundesrepublik üblich, im Vordergrund.

Mit der Einführung des Sächsischen Bildungsplans im Jahr 2006 hat sich die gesellschaftliche Sicht auf den Beruf und auf das Kind erneut stark verändert.

ist 58 Jahre, Erzieherin und Mitglied der AG der sozialpädagogischen Berufe, der GEW Dresden. Ihr Gehalt: 3.300 Euro brutto. Berufserfahrung: 40 Jahre.

Wir gehen heute viel individueller vor, wir beobachten das Kind, was es für Bedürfnisse, für Interessen und Themen hat.

Heute muss ich im gesamten Tageslauf viel mehr beobachten und dokumentieren. Ich mache mir immer Stichpunkte und formuliere diese später im Portfolio – so nennen wir die Mappen der Kinder – aus und schreibe Lerngeschichten dazu. In der Kinderkrippe fotografieren wir viel und machen oft Videobeobachtungen gerade in Vorbereitung auf die Elterngespräche.

Entwicklungsgespräche gab es früher auch, aber nicht so detailliert. Heute fordern unsere Eltern das richtig ein. Wir haben sehr gut ausgebildete Eltern. Das fordert uns auch. Ich muss mich auf die Gespräche gut vorbereiten, um auf Augenhöhe kommunizieren zu können.

An den Öffnungszeiten hat sich wenig verändert, wir haben von halb sieben bis halb sechs geöffnet. Wir lang gedienten Mitarbeiter haben uns hier in Dresden erkämpft, dass wir unsere alten Arbeitsverträge mit 40 Stunden behalten. Unsere neuen Mitarbeiter – und Dresden stellt massiv ein – werden nur mit Teilzeitverträgen eingestellt. Die gehen im Monat mit etwa 1.000 Euro nach Hause, und das nach einer fünfjährigen Ausbildung. Die freien Träger haben zum Teil eigene Tarifverträge, da bekommen die Kollegen noch bedeutend weniger.“

**

Lärm ist eine der größten Belastungen

„In unserer Kita hatte immer etwa die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund, aber heute hat sich die Klientel und deren Anforderungen geändert. Den türkischen Eltern war es früher wichtig, dass das Kind Deutsch lernt und gut isst, platt gesagt. Heute geht es nicht mehr nur um Sprache – die ist nach wie vor sehr wichtig –, sondern auch um Umgangsformen, um Bewegung, kognitive Inhalte – Bildung als Gesamtpaket also.

Momentan ist das sehr belastend – auf der einen Seite die gestiegenen Anforderungen, auf der anderen der Personalmangel. In einer Gruppe von 20 Kindern von 2 bis 6 Jahren sind zwei Fachkräfte und eine halbe Kraft – ohne Puffer für Fortbildungen, Urlaub oder Krankheit.

Massiv geändert hat sich die Gruppenzusammensetzung. Wir hatten früher 120 Kinder in der Kita, und davon waren sieben unter drei Jahren. Heute sind von 100 Kindern 40 jünger als drei.

Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Jeden Tag müssen Räume zum Schlafen hergerichtet werden, das heißt: Matratzen hinlegen, Bettchen machen und danach wieder alles abbauen. Dann fehlen diese Räume, alles knubbelt sich und es wird lauter in den Gruppenräumen. Lärm ist eine der größten Belastungen in diesem Beruf.

ist 40 Jahre, arbeitete von 2000 bis 2013 als Erzieher bei KölnKitas und ist derzeit freigestellt als Betriebsrat. Sein Gehalt: 3.100 Euro brutto. Berufserfahrung: 13 Jahre.

Bei uns gab es immer drei bis vier männliche Erzieher. Ein Mitarbeiter der KölnKitas hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, mehr Männer in die Kitas zu holen. Aber allein vom Reden passiert nichts. Die Entlohnung und das Ansehen der Tätigkeit müssen sich ändern.

Ich kann mir zudem vorstellen, dass viele Männer durch die Vorstellung, dass tägliches Wickeln und andere pflegerische Aufgaben einen nicht unwesentlichen Teil der Tätigkeit ausmachen, abgeschreckt werden. Viele Männer, und ich gehöre dazu, die haben kein Problem, ihren eigenen Sohn zu wickeln. Wenn aber Wickeln zum täglichen Arbeitsablauf gehört, fühle ich mich damit nicht mehr so wohl. Das mag eine klassische Sicht sein, aber ich glaube, den meisten Männern geht es auch so.“

**

Der Markt ist leer

„Seit 36 Jahren leite ich diese Kita. Als ich anfing, kamen die Kinder erst mit vier Jahren zu uns. Sie gingen mittags nach Hause, und einige kamen noch mal von halb zwei bis vier wieder.

Heute sieht das vollkommen anders aus. Wir haben zurzeit 107 Kinder von 0 bis 6 Jahren. Ich skizziere mal meinen gestrigen Arbeitstag: Ich fing um sieben Uhr morgens an und nahm die ersten Kinder in Empfang. Um acht Uhr wurde besprochen, wer am Mittagstisch dabei ist, wer das Schlafen betreut und wer wann in die Pause geht. Um neun Uhr kam eine Mutter zum Aufnahmegespräch. Um halb zehn habe ich mit der Küche den Einkauf abgeklärt. Um zehn haben wir mit den Erzieherinnen besprochen, wer die Exkursion der Kinder ins Theater begleitet. Um Viertel elf musste ich einen Bericht verfassen für die Versicherung. Kinder hatten Steine über den Zaun geworfen und ein Auto getroffen. Um elf habe ich eine Familie durch die Kita geführt.

Zwischen zwölf und zwei bin ich damit beschäftigt, die Erzieherinnen zu unterstützen, um die Mittagszeit abzudecken. Die ist naturgemäß dünn besetzt. Es fehlt an Personal. Um drei haben wir das Gespräch mit dem Bürgermeister der Gemeinde, die unser Träger ist, vorbereitet. Eine Stunde später stand ein Bewerbungsgespräch mit einer zusätzlichen Küchenkraft an. Dazwischen kamen Praktikanten mit Fragen, ein Handwerker, eine Firma mit einem Kostenvoranschlag bezüglich eines Lagerraums und eine externe Spielplatzkontrolle. Um sieben ging es in den Elternausschuss. Um halb zehn hatte ich Feierabend.

Diese Dichte und Schnelligkeit sind bezeichnend geworden für die letzten Jahre. Es gibt mehr Kitaplätze, aber nicht genügend qualifiziertes Personal. Ich habe zurzeit drei offene Stellen und eine Langzeiterkrankung, aber der Markt ist leer. Das aufzufangen ist eine Herausforderung.

Es geht nicht darum, irgendjemanden einzustellen, nach dem Motto „Hauptsache, zwei Hände mehr“. Wenn wir nur betreuen sollen, wäre das etwas anderes. Aber wir verstehen uns als Bildungseinrichtung.“

ist 59 Jahre und Leiterin der städtischen Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg. Ihr Gehalt: 4.036 Euro brutto. Berufserfahrung: 39 Jahre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.