Warme Seen im Norden: Vom Eis befreit und voller Blüten
In nördlichen Breiten werden die Binnengewässer immer wärmer. Das ist kein Grund zur Freude, sondern ein Indiz für den Klimawandel.
Damit steigt nach Einschätzung der WissenschaftlerInnen die Wahrscheinlichkeit von Algenblüten, Fischsterben und vermehrten Methanemissionen weltweit. Und das wiederum habe Folgen für Land- und Fischereiwirtschaft, Industrie und Tourismus. Bei sinkenden Wasserspiegeln drohe zudem Trinkwasserknappheit.
Mehr als 70 WissenschaftlerInnen aus 20 Ländern haben für die Studie zusammengearbeitet. Dieser globale Kontext habe sich erst durch die Zusammenarbeit mit Freunden bei der Nasa ergeben, sagt der Gewässerkundler John Lenters von der Beratungsgesellschaft LimnoTech in Michigan. Er erforscht die Great Lakes im Mittleren Westen der USA und gilt als Initiator der internationalen Kooperation.
Satelliten erlauben den Überblick, erfassen aber nur Oberflächen größerer Seen, Messungen vor Ort liefern Temperaturprofile für jede Art See“ – beides kombiniert ergebe „das Beste zweier Welten“. Institutionen aus aller Welt und immer mehr ForscherInnen hätten sich angeschlossen. Aus einer Grassroots-Initiative wurde die Global Lake Temperature Collaboration.
Abkühlung durch Gletscherwasser
Den Daten zufolge gab es zwischen 1985 und 2009 im Sommer einen mittleren Anstieg von fast einem Grad. Das ist deutlich mehr als in der Atmosphäre und den Ozeanen. Zum Vergleich: Die Luft hat sich seit etwa 1850 um 1 Grad Celsius erwärmt. Die Aufheizung der Seen fällt regional unterschiedlich und in nördlichen Breiten extremer aus als in Äquatornähe.
Allerdings habe die Variationsvielfalt auch innerhalb geschlossener Regionen die beteiligten ForscherInnen überrascht, sagt Lenters. Die Zusammenhänge seien nicht immer eindeutig: Schrumpfende Wolkendecken führten zu mehr Sonneneinstrahlung. Der Einfluss von Wasserfläche und -tiefe, Gelände- und Windverhältnissen variiere aber. So habe sich der flache Eriesee seit 1985 kaum, der tiefe Lake Superior jedoch um fast 3 Grad erwärmt. Einzelne Seen hätten sich gar abgekühlt. Das könne an wachsenden Zuflüssen von schmelzenden Gletschern liegen – beispielsweise in Tibet.
Ein bis zwei Grad mehr in deutschen Seen
Die Seen in Deutschland haben sich in den letzten 25 Jahren im Durchschnitt um 1 bis etwas über 2 Grad erwärmt. Aber auch hier gibt es Unterschiede. So sei die Sommertemperatur am Stechlinsee in Brandenburg heute wieder auf dem Vorwendestand, sagt Mark Gessner, Hydrobiologe am Leibnizinstitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB Berlin) am Stechlinsee. „Wir beobachten hier eine stärkere Durchmischung des Wassers und erhöhte Sauerstoffzufuhr. Das kann die Artenzusammensetzung völlig verändern.“
Der Berliner Müggelsee dagegen wird weniger durchmischt, ihm fehlt es an Sauerstoff. Aus dem Bodensediment würden Nährstoffe frei, die den See „düngen“, sagt Rita Adrian, Leiterin der Abteilung Ökosystemforschung am IGB. Das fördere Algenblüten und der Erholungswert für Badende vermindere sich.
Cyanobakterien (früher als Blaualgen bezeichnet) sind in den letzten 30 Jahren durch den Ausbau von Kläranlagen, verringerten Düngereinsatz und phosphatfreie Waschmittel zurückgegangen, sagt ein Artikel des Instituts von 2008. Für Menschen und Wasserorganismen bestehe nur bei ihrem massenhaften Auftreten ein Gesundheitsrisiko, aber im Zuge des Klimawandels könnten sie sich im Müggelsee wieder zunehmend heimisch fühlen.
Der Bodensee ist ein halbes Grad pro Jahrzehnt wärmer geworden, heißt es in der Studie. Der Durchschnittswert verstecke aber, dass sich das Wasser anfangs kaum und erst in letzter Zeit stark erwärmt habe, erklärt Dietmar Straile, Evolutionsbiologe an der Uni Konstanz. Der See werde bloß noch alle paar Jahre durchmischt; er sei nur deshalb noch nicht gekippt, weil die Nährstoffmenge aus anderen Gründen abnahm.
Der Klimawandel sei eine schleichende Seuche, die mit anderen Umweltbelastungen ungute Allianzen einginge, schreiben Forscher am Baikalsee in Sibirien. Wegen der enormen Artenvielfalt ist der tiefste und älteste See der Welt seit 1996 Unesco-Welterbe. Doch die Verlängerung der eisfreien Periode dezimiere Plankton- und Fischarten und bedrohe die Baikalrobbe. Die legendären Unterwasserwälder sterben.
„Sorgen macht mir der Klimawandel nicht“, sagt John Lenters. “Aber er beschäftigt mich.“ Und viele andere WissenschaftlerInnen: Parallel zu der AGU-Studie haben schwedische und US-amerikanische ForscherInnen in der Fachzeitschrift Nature Geoscience ebenfalls Untersuchungsergebnisse veröffentlicht, nach denen Seen in nördlichen Breitengraden als Methanquelle allgemein unterschätzt werden. Die steigenden Oberflächentemperaturen könnten gemeinsam mit dem Schmelzen der Permafrostböden dazu führen, dass die Emissionen des Treibhausgases bis 2100 um 20 bis 50 Prozent steigen, prognostizieren sie. Das könnte den Klimawandel beschleunigen. (mit climatenewsnetwork)
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