Waldschäden im Harz: Totes Holz ist Leben
Niedersachsens grüner Umweltminister Christian Meyer plädiert für mehr Wildnis im Nationalpark Harz. Vor Ort hört das nicht jeder gern.
Meyer weiß: Nicht alle hier im Harz hören das gern. Er ist in einem Park zu Gast, in dem es 2022 zu 16 Bränden kam. Seither fordern hier Hardliner, die Wildnis zu zähmen, unter ihnen der Landrat des Landkreises Harz, Thomas Balcerowski (CDU), und die Ortsbürgermeisterin von Schierke, Christiane Hopstock (CDU).
Besonders das Totholz ist ihnen ein Dorn im Auge, sie sehen es als Brandbeschleuniger. Sie sähen es am liebsten weggeräumt, zumindest in Ortsnähe. Sven Schulze (CDU) denkt ähnlich, der Forstminister von Sachsen-Anhalt. Als es Anfang September mehrere Tage lang südlich des Brockens brannte, stellte er den knapp 25.000 Hektar großen Park, den sich sein Bundesland mit Niedersachsen teilt, sogar generell in Frage.
160 Hektar groß sei der Brand, hatten Feuerwehr und Landkreis Harz zeitweilig behauptet – Öl aufs Feuer der Anti-Wildnis-Aktionisten. Am Ende stellte sich heraus: Es waren weniger als 12.
Totholz ist ein Lebensraum
Schulze war es auch, der danach, unter Beteiligung des Landkreises Harz und der Stadt Wernigerode, einen Plan zur Waldbrandprävention im Nationalpark anschob, die „Wernigeröder Erklärung“. Einer der strittigsten Beschlüsse, neben der Anlage von Brandschutzschneisen: das Fällen und Räumen von Totholz.
Das rief den Nabu Sachsen-Anhalt auf den Plan. In einem Eilverfahren beantragte er beim Verwaltungsgericht Magdeburg, der Nationalparkverwaltung zu untersagen, Totholz zu entfernen. Europäisches Naturschutzrecht werde gebrochen. Das Gericht ordnete den vorläufigen Räumstopp an.
Inzwischen ist ein Vergleich geschlossen, ein, so der Nabu, am Naturschutz orientierter Kompromiss: Die besonders exzessiven Totholz-Räumplanungen bei Schierke sind Geschichte. Maßnahmen im Nationalpark sind künftig auf ihre Naturschutzverträglichkeit zu prüfen.
„Das großflächige Entfernen von Totholz widerspricht den Kriterien eines Nationalparks“, sagt Frederik Eggers der taz, Naturschutzreferent des Nabu Landesverbands Niedersachsen. „Totholz ist zudem kein Brandbeschleuniger, sondern ein wichtiger Bestandteil im Ökosystem Wald.“ Totes Holz stärke die Abwehrkräfte des Waldes: „Es bindet viel Feuchtigkeit und wirkt auf diese Weise sogar als natürlicher Schutz vor Waldbränden.“ Eine erhöhte Brandgefahr gegenüber lebenden Beständen bestehe nicht.
Harzbrände haben viele Ursachen
„Totholz bildet eine wertvolle Humusschicht und bietet somit unzähligen Organismen wie Pilzen und Insekten einen Lebensraum“, sagt Eggers. Durch liegendes Totholz werde „ein nicht unbeachtlicher Anteil an Kohlenstoff in den Boden eingetragen, was der Klimakrise entgegenwirkt.“ Auch seien für eine Räumung schwere Forstmaschinen nötig. Dabei sei „mit irreversiblen Schäden an den Böden“ zu rechnen.
Niedersachsens Umweltminister Meyer sieht das ähnlich. „Grundsatzprinzip eines Nationalparks ist es, Natur Natur sein zu lassen“, sagt er der taz. „Totholz hat daher grundsätzlich im Nationalpark zu verbleiben.“ Ausnahmen seien möglich, etwa für Verkehrssicherheit und Gefahrenabwehr, aber Forderungen, „den Wald aufzuräumen“, seien „kontraproduktiv für den Nationalparkgedanken“.
Die Harzbrände haben viele Ursachen: Lagerfeuer. Kranke Fichtenkulturen. Die Klimakrise durch ihre Dürren. Ein Hauptgrund aber ist ein Touristenmagnet: die Steinkohle-Dampfloks der Harzer Schmalspurbahnen, die zum Brocken hochfahren. Dabei kommt es zu Funkenflug.
Sachsen-Anhalt sei mit den Harzer Schmalspurbahnen im Gespräch „zur Zukunft der Antriebstechnologien“, antwortet Forstminister Schulze im Herbst 2022 auf die Kleine Anfrage „Brandgeschehen im Harz“ von Cornelia Lüddemann, Landtagsabgeordnete der Grünen. Es gebe „noch keine abschließende Meinungsbildung“ der Landesregierung. Die Karte, die Schulzes Antwort beiliegt, spricht eine klare Sprache. Eng entlang der Bahn-Trasse reihen sich rund 100 rote Punkte; jeder steht für einen Brand.
„Wenn es für die ganz überwiegende Mehrzahl der Brände im Nationalpark einen einzigen, dingfest gemachten Verursacher gibt, dann muss diese Brandursache primär abgestellt werden“, sagt Martin Schulze, Vizevorsitzender des Nabu Sachsen-Anhalt. „Dann ist es aber sinnlos, gleichzeitig breite Schneisen in den geschützten Naturwald zu schlagen.“
Neben Säge und Schredder setzt der Landkreis Harz im Übrigen zukünftig satellitengestützte Frühwarn-Sensorik ein. Ob die neue Technik auch erkennt, ob da lebendes Holz brennt oder totes?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels