Die isolierte Wagenburg

Wo bleibt der Kontakt zu Passanten, Punks und Proleten? Mit ihrer „Rollenden Road Show“ gastiert die Volksbühne auf dem Alexanderplatz. Doch die Kollision von Kunst und Leben findet nicht statt

VON ESTHER SLEVOGT

Im Sommer, wenn die großen Theater Ferien machen, packt die Volksbühne nun schon im sechsten Jahr ein paar Lieblingsdiskurse und -inhalte in drei große, BSR-orangene Containerwagen und macht sich damit in der „Rollenden Road Show“ auf den Weg in die Bezirke, um mit ihrer Kunst auch zu jenen Bevölkerungsschichten vorzudringen, die eher selten den Weg ins Theater finden. „Raus in die Pampa!“, lautet die Devise, mit der die Karawane vom Rosa-Luxemburg-Platz zuerst im Jahr 2000 aufbrach, um zwischen Hochhäusern im Märkischen Viertel, auf Lidl-Parkplätzen in Lichtenberg oder Trümmergrundstücken in Neukölln den Kontakt zu den proletarischen Wurzeln ihrer Ästhetik zu suchen. Die Proletarier selbst reagierten reserviert auf die Kunstprojekte. Sie blieben fern, die Künstler unter sich.

Mit der Zeit haben sich die Volksbühnenaktivisten offensichtlich mit der geringen Resonanz abgefunden. Denn Sommer für Sommer geht die „Rollende Road Show“ wacker und ohne Kurskorrektur in Sachen Publikumswirksamkeit auf Tour. Am ehesten wurde die orangene Wagenburg der Volksbühne von türkischen Jungs frequentiert, die instinktiv begriffen hatten, dass die „Rollende Road Show“ ein Abenteuerspielplatz ist: Die Kunst sucht das Abenteuer Wirklichkeit. Doch auch diese Neugier scheint verkümmert.

Dieses Jahr war aus gegebenem Anlass der Alexanderplatz dran. Am Schlossplatz in der Ruine des Palastes der Republik zeigt Frank Castorf zurzeit seine Fassung von Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“. Nahe liegend also, mit dem mobilen Theater jetzt die Gegenwart zu besetzen. Hier hängen – in einer gespenstischen Kulisse aus heruntergekommener sozialistischer Utopie und primitivem Billigkaufland – die Gestrandeten von heute herum. Aber leider findet keine Begegnung mit der Gegenwart statt.

Schon die erste Amtshandlung, ein Arbeiter- und Bauernfrühstück morgens um neun, greift nicht. Die Volksbühnenaktivisten bleiben mit ihren Brötchen und Diskursen zum Thema allein. Nicht nur, weil um diese Zeit keine Arbeiter und Bauern in Lohn und Brot öffentliche Plätze bevölkern. Vielleicht hätten wenigstens ein paar Punks oder Penner die Gelegenheit eines kostenlosen Frühstücks gern wahrgenommen. Wenn sie davon erfahren hätten. Doch Sandwichjungs und -mädchen vom Jugendtheaterclub P14 haben erst am Nachmittag für die „Rollende Road Show“ Werbung gemacht.

Nur einmal kommt es zu einer kurzen Kollision von Kunst und Leben. Die P14-Jugend singt in ihren überlebensgroßen Pommes-frites-, Hot-Dog- und Eiskostümen den Nirvana-Klassiker „Smells like Teen-Spirit“. Damit schreckt sie eine Gruppe von Teenie-Mädchen auf, die sich gerade auf den Treppen zur U-Bahn betrinken. Aber ehe hier die Wirklichkeit die Chance hat, auf die Kunst zu reagieren, ist die Kulturjugend schon weitergezogen. Die echte Jugend wendet sich wieder dem Alkohol zu.

Diese missglückte Begegnung ist symptomatisch für die Hilflosigkeit des Projektes, mit der Umgebung in Kontakt zu treten. Da verteilte die Künstlergruppe Plan b iPods, auf denen kleine Geschichten über den Alexanderplatz gespeichert sind. Während man zwischen Weltzeituhr, Brunnen der Völkerfreundschaft und Fernsehturm unterwegs ist, kann man erfundene Geschichten über erfundene Menschen hören, die Unwahrscheinliches auf dem Alexanderplatz erlebt haben. Ein Soundtrack legt dabei einen fiktiven Film über den Platz, statt seine Realität kenntlich zu machen.

Wie eine Wagenburg stehen die Container da. Wer kommt, wird mit der Frage nach einer Eintrittskarte verschreckt, ohne dass vermittelt werden kann, wofür Eintritt gezahlt werden soll. Für die Musik, die hier drin modisch wummert? Weil man auf Zeit Mitglied in einem exklusiven Club werden kann? Oder darf man hier für fünf Euro einfach mal ein bisschen heiße Luft einatmen? Das Marketing jedenfalls bleibt unklar, der Kassenmann guckt gelangweilt aus seiner Sperrholzbude. Selbst interessierte Passanten ziehen bald desillusioniert von dannen.

„Freude am Schauen und Begeisterung ist die schönste Gabe der Natur!“, gibt ein Einstein-Zitat über einer Häuserzeile kund. Schön wär’s – eigentlich genau das, was man von der Volksbühne erwarten würde.