Wald und Waldbrände in Brandenburg: Ein Land hängt an der Nadel
70 Prozent der Bäume in Brandenburg sind Kiefern. Welche Nachteile das hat, zeigen die jüngsten Waldbrände. Und der Umbau kommt nur langsam voran.
Ein Viertel der Strecke auf dem Weg nach oben haben die Eichen schon geschafft. Fünf, sechs Meter hoch stehen sie unter den Kiefern, die sich weit oben im blauen Spätsommerhimmel wiegen. Gelbe Nadeln rieseln von ihnen herab. Die Kiefern leiden unter der Dürre und können das Wasser nicht mehr den langen Stamm hinaufpumpen.
Eine Buche schießt durch die fast dichte Eichenlaubkrone im Mittelgeschoß dieses kleinen Waldstücks am Rande von Eberswalde. Ein paar Hainbuchen zu Füßen der Eichen drücken sich in die Breite. Sie begrünen den werdenden Wald von unten. Doch aus manchen werden nie Bäume werden. „Rehe“, sagt Michael Luthardt, streicht durch die Zweige der hüfthohen Hainbuche und zeigt einen vernarbten Biss an einem nach oben zeigenden Zweigende. „Wenn die den Haupttrieb fressen, ist es aus.“
Michael Luthardt ist Förster und Forstwissenschaftler und leitet das Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde. Eigentlich ist er nur für den Landeswald zuständig. Heute aber zeigt er im Stadtwald von Eberswalde, was Waldumbau bewirken kann. In den ehemaligen Kiefernmonokulturen haben die Stadtförster vor rund 15 Jahren Eichen, Hainbuchen, Buchen und entlang der Forststraße auch Winterlinden gepflanzt. Birken, Vogelbeeren, Ahorne sind mit dem Wind dazugekommen und bereichern den wachsenden Laubmischwald. „Eine schöne Ungleichmäßigkeit“, sagt Luthardt, „nicht mehr einschichtig, das ist so langweilig.“
Einschichtig und langweilig und – wie die Waldbrände in diesem Sommer zeigten – im Klimawandel auch noch brandgefährlich stehen dagegen Kiefern. Sie prägen seit Jahrzehnten das Landschaftsbild. 70 Prozent der Bäume in Brandenburg sind Kiefern. Sie stehen vielerorts flächendeckend, insgesamt 735.000 Hektar Monokultur.
Dabei würde die Kiefer hierzulande von Natur aus nur vereinzelt wachsen, denn Brandenburg ist Eichenland. Nördlich von Berlin endet das natürliche Verbreitungsgebiet der Rotbuche. Daran anschließend wachsen in den trockenen Ebenen die Stil- und Traubeneichen, die die Wälder dominieren würden, wenn die Menschen sie gelassen hätten.
Doch die Eichenwälder wurden im 20. Jahrhundert abgeholzt, im Krieg zerschossen, von den Sowjettruppen nach Russland transportiert, der Rest in der DDR verheizt. Einzelne knorrige Eichen am Rand der dann angepflanzten Kiefernplantagen zeugen davon, wie die Wälder vor 80 Jahren ausgesehen haben.
Bäume sind Kapital
Die Monokulturen waren immer anfällig für Insektenfraß und Stürme. Im Klimawandel wird es trockener und stürmischer, Starkregen und Dürren nehmen zu. Nur vielfältige Wälder mit unterschiedlichen Baumarten in mehreren Altersklassen bilden starke Ökosysteme. Sie schützen vor Überschwemmungen nach extremen Regenfällen. Laubmischwälder sichern auch, dass WaldbesitzerInnen weiterhin auskömmlich wirtschaften können. Denn im Wald geht es immer auch um Geld. Bäume sind Kapital. Im Laubmischwald wächst das Kapital langsamer, aber sicherer.
Deshalb fördert die Brandenburger Landesregierung schon seit Jahren den Waldumbau. Aus den Kiefernplantagen sollen wieder bunte Laubwälder werden. Der Landesforst erhält dafür jährlich 8,5 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt, private und kommunale WaldbesitzerInnen können sich 80 Prozent der Kosten für den Waldumbau erstatten lassen. Für die Brandgeschädigten stehen laut Landesumweltministerium „in der laufenden Förderperiode (2014 bis 2020) etwa 15 Millionen Euro unter anderem zur Unterstützung des Privat- und Kommunalwaldes nach Schädigung durch Waldbrand zur Verfügung.“
Doch trotz aller Vorteile und der finanziellen Förderung kommt der Waldumbau in Brandenburg nur schleppend voran. Gerade noch 13 Prozent der Brandenburger Wälder haben laut Landeswaldbericht eine „naturnahe Baumartenzusammensetzung“.
In den wenigen natürlichen Wäldern Brandenburgs wachsen zwischen Buchen und Eichen hier eine Vogelbeere, da eine Winterlinde, Ahorne, Hainbuche, auf dem Boden Sauerklee, Blaubeeren, Kräuter, Pilze in der Erde und eine reiche Schar an Würmern, Asseln und Insekten. Alle Tiere und Pflanzen stärken das Ökosystem Wald. Einer der seltenen Naturwälder ist der Buchenwald Grumsin, Unesco-Weltnaturerbe.
Je vielfältiger und artenreicher der Wald wächst, desto besser kann er mit den Folgen des Klimawandels wie einer extremen Trockenheit umgehen. Und auch ohne Dürren und andere Wetterextreme liefern naturnahe und natürliche Wälder zuverlässige Ökosystemdienstleistungen: Sie filtern die Luft von Schadstoffen, reinigen Regen und stärken das Grundwasser, binden in Boden und Holz große Mengen CO2.
Da Laubwälder mehr Wasser in Boden und Bäumen speichern, brennen sie auch nicht so leicht wie Nadelwälder. Laubmischwälder sind damit nicht nur besser an den Klimawandel angepasst – sie unterstützen auch die Anpassung des Menschen an den Klimawandel. Sie kühlen und leiten frische Luft in erhitzte Städte.
Schwaches Immunsystem
Nie haben in Brandenburg so viele Waldflächen in Flammen gestanden in den vergangenen rund 20 Jahren wie in diesem Jahr. Das Land erlebte monatelang extreme Trockenheit. In den Wäldern brannte es bereits 471 Mal, mit Stand vom Ende September waren insgesamt 1.629 Hektar Waldboden betroffen, wie das Umweltministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.
Besonders zu schaffen machten der Feuerwehr große Brände. Allein zehn Mal standen jeweils mehr als 10 Hektar Waldfläche in Flammen. Beim bislang größten Feuer Ende August in Treuenbrietzen (Landkreis Potsdam-Mittelmark) brannten rund 335 Hektar Wald. 550 Menschen mussten ihre Häuser vorübergehend verlassen, weil das Feuer drohte, auf umliegende Dörfer überzugreifen. (dpa)
Doch Brandenburgs Kiefern bringen Geld, wie der Erlös des Landeswaldes zeigt, der 62,5 Millionen Euro im Jahr erwirtschaftet. Die Sägeindustrie des Landes hat sich auf Kiefern konzentriert und macht Druck, wenn der Nachschub stockt. Ansonsten verursachen die Monokulturen nur Probleme. Ihr Immunsystem ist schwach und sie sind anfällig für Borkenkäfer und Kiefernspanner.
Im Forst Brandenburg werden daher jedes Jahr zehntausend Hektar Forst mit Pestiziden aus Hubschraubern besprüht. In dem Giftnebel sterben auch andere Insekten, Spinnen und Wirbellose, die die Grundnahrung vieler Arten von Waldtieren und Singvögeln sind. Ohne Insekten können die Vögel keine Jungen aufziehen.
Und: Die Kiefern brennen wie Zunder, wie die Menschen rund um Treuenbrietzen es in diesem Sommer erlebt haben. Kiefern trocknen den Boden zusätzlich aus – sie verdunsten mehr Wasser als Laubbäume. Die Kiefernmonokulturen produzieren zudem nährstoffarme Böden. Die Nadeln verbreiten ein saures Umfeld, in dem sich die Holz zersetzenden Mikroben, Pilze, Asseln, Springschwänze und Würmer unwohl fühlen. Deswegen liegen dicke Nadelmatten in den Kiefernforsten, in denen kaum ein Same aufgeht. Und wenn ein Eichensämling, eine kleine Buche, oder – oh Wunder – eine Wildkirsche durchkommt, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit ein Reh und frisst die zarten Blätter.
Das ist alles kein wissenschaftliches Geheimwissen, sondern Standard in der Forstwirtschaft. Jeder private Waldbesitzer, jeder Stadtförster, jeder Umweltpolitiker weiß das – oder kann es wissen. Das Land Brandenburg fordert und fördert daher den Waldumbau aus verschiedenen Töpfen des Landeshaushalts und der EU.
Ein paar Zahlen: 1,1 Millionen Hektar Wald und Forst gibt es in Brandenburg. Zwei Drittel gehören rund 100.000 privaten WaldbesitzerInnen, die Städte und Gemeinden besitzen sieben Prozent des Forsts, das Land hat 32 Prozent der Wald und Forstflächen in Brandenburg.
40 Prozent der Flächen sind „nicht standortgerechte Nadelbaum-Reinbestände“, wie das Umweltministerium im jüngsten Landeswaldbericht schreibt. Das sind die traurigen Plantagen, in denen Kiefern dicht stehen wie Maisstängel auf dem Acker. Hinzu kommen aufgemischte Kiefernforste, die sich mit den Reinbeständen zu 735.000 Hektar addieren.
Die Landesregierung will, dass 12.500 Hektar im Jahr umgebaut werden. 2013 hat der Landesforst 1.550 Hektar umgebaut. 2014 waren es 1.531 Hektar, 2015 kamen 1.427 Hektar dazu. Die privaten Waldbesitzer und Kommunen haben im Jahr 2013 Fördergelder für 1.255 Hektar abgerufen. 2014 haben sie 726 Hektar gefördert umgebaut. Im Jahr 2015 waren es nur noch 18 Hektar. Wenn es in dem Tempo weitergeht, schaffen Klimawandel und vielleicht auch wieder eine Eiszeit eher den Waldumbau als Brandenburgs FörsterInnen.
Wildverbiss nennen Luthardt und alle für diese Geschichte Befragten als Hauptgrund für den darbenden Waldumbau. Rehe fressen am liebsten die nährstoffreichen Haupttriebe von kleinen Laubbäumen. An dem Trieb zieht sich der Baum nach oben – fehlt der Trieb, wächst der Baum nicht und verbuscht.
Allen FörsterInnen und Waldbesitzerinnen ist klar, dass nur die Jagd und zwar möglichst gemeinsam und in großen Jägerscharen die Rehe in Schuss hält. Unter deutschen FörsterInnen gilt daher eigentlich die Devise „Wald vor Wild“.
Das Landesumweltministerium verweist darauf, dass „ein engagiertes jagdliches Management erforderlich ist, was auch Teil des Brandenburger Waldprogramms ist und in den landeseigenen Verwaltungsjagdbezirken umgesetzt wird“. In Brandenburgs Wäldern und Forsten stehen Hochsitze an unzähligen Lichtungen und Schneisen, doch das bedeutet zunächst mal – nichts. „Wald oder Wild – man hat sich entschieden zu Wild“, sagt Benjamin Raschke, der als Grüner Landtagsabgeordneter im Agrarausschuss für Landwirtschaft und Forsten zuständig ist. Zudem herrsche die „Jagd auf Trophäen vor“. Das bedeutet: JägerInnen schießen eben nicht engagiert, sondern wählen jahrelang aus, welchen Bock sie eines Tages wegen seines Geweihs erlegen werden.
Doch allein an den Rehen kann es nicht liegen, dass der Wald in Brandenburg nicht gedeiht, wie die Zahlen zeigen.
Die Förderanträge seien zu lang, der ganze Fördervorgang zu bürokratisch, klagt Martin Hasselbach, Geschäftsführer des Waldbesitzerverbands Brandenburg. Davon abgesehen, dass es den Waldbesitzer nicht gebe und manche ihren Forst auch eigenhändig und ohne Fördergeld mit Laubbäumen bepflanzen und Eichen säen. Die tauchen dann in der Statistik nicht auf.
Auffallend ist, dass die großen Wälder mancher privaten Waldbesitzer sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren prächtig zu Mischwäldern entwickelt haben. Hauptgrund: Die privaten WaldbesitzerInnen investieren viel Zeit und Geld, um Rehe, Wildschweine und Hirsche in ökologisch verträglichen Mengen in den Wäldern zu halten.
Gründe für den mangelhaften Waldumbau gibt es also viele. Fehlende Einsicht, Dummheit, Faulheit, Unwissenheit, Geld – und natürlich Profit. Kiefern wachsen schnell und anspruchslos und manche ForstbesitzerInnen verkaufen schon nach 30 oder 50 Jahren, was besser noch 40 Jahre länger wachsen sollte. Fegt ein Sturm die Plantage um, werden die ForstbesitzerInnen über Steuererleichterungen entschädigt. Eichen und andere Laubbäume dagegen wachsen langsam. Die Ernte fährt erst ein ferner Nachfolger 100 bis 150 Jahre später ein.
In die Statistik für den Umbau in den Landesforsten werden die sich natürlich ansiedelnden Bäume eingerechnet. Ohne diese Naturverjüngung wäre die Bilanz noch magerer. „Die Statistik ist Selbstbetrug“, sagt Martin Krüger, Förster im Forsthaus Breitefenn in Oderberg und Landesvorsitzender des Bund der Deutscher Forstleute in Brandenburg. „Niemand kontrolliert, was wirklich angewachsen ist“, sagt Krüger.
Wer sollte das auch machen: Neue FörsterInnen und WaldarbeiterInnen werden nicht eingestellt. Seit Jahren bauen die wechselnden Landesumweltminister Stellen im Landesforst ab. Noch arbeiten 1.600 Leute im Landesforst, in den 1990iger Jahren waren es 5.000.
Eigentlich wollte der derzeitige Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) 2018 weitere 580 Stellen streichen und den Landesforst umbauen und in zwei unabhängig voneinander arbeitende Einheiten gliedern. Die Förster sprechen von Forstreform, das Umweltministerium von einem „Strukturvorschlag“. Auf jeden Fall ist beides vom Tisch und der Forst darf 127 Stellen mehr behalten.
„Wir sind jetzt schon am unteren Limit“, sagt Krüger. Bei den Bränden rund um Treuenbrietzen wären Leute aus den Landesforsten im Umkreis von 100 Kilometern zusammengezogen worden, erzählt er und fragt, was wohl passiert wäre, wenn es in deren Region auch gebrannt hätte.
Zudem fehlt auch unter den Förstern die Naturverjüngung. Mit 50 Jahren sei er einer der jüngsten Förster im Landesforst, der Durchschnitt sei 55 Jahre alt. „Man züchtet ein Problem“, sagt Krüger, der sich Sorgen darüber macht, wie er eines Tages mit der übernächsten Generation FörsterInnen sprechen soll.
Doch vielleicht haben die Brände in diesem, Sommer auch etwas verändert. „Dieser Sommer ist ein richtiger Schnitt“, sagt Michael Luthardt im Stadtwald von Eberswalde. Offenbar haben viele im Forst, im Ministerium, auch der WaldbesitzerInnen erst jetzt begriffen, was Klimawandel bedeutet. „Wir müssen eine Antwort finden auf den Klimawandel“, sagt auch Luthardt, der wie die meisten Förster in Brandenburg im Studium und im Forstsystem der DDR auf Ertrag gedrillt wurde.
Der Forst musste die Rohstoffknappheit der DDR ausgleichen. Da die Eichen in Krieg, russischer Besatzung und sozialistischer Naturverachtung draufgegangen waren, sollte die Kiefer den Mangel ausgleichen. „Es wurde in Reihe gepflanzt, zack, zack“, sagt Luthardt. Laubbäume störten. „Die Birke muss weg – so habe ich das gelernt.“
Rund um Treuenbrietzen brannten die Kiefernforste lichterloh. „Wieviel Totalschaden ist, sehen wir erst im Frühjahr“, sagt Bürgermeister Michael Knape (parteilos). Rund 150 des insgesamt 2.000 Hektar großen Kommunalwalds sei betroffen. Vor 20 Jahren hätten sie hier mit dem Waldumbau begonnen. „Auf den Umbauflächen hat der Brand nicht den gleichen Erfolg gehabt“, sagt Knape, der die Flächen ganz genau kennt, denn er lässt sie gerade zum zweiten Mal begutachten.
Treuenbrietzen will Wald und Forst verkaufen, der Brand hat das erste Gutachten für die kommenden Verkaufsverhandlungen zunichte gemacht. „Muss verkaufen“, betont Knape, die Stadt sei pleite, dürfe keine Kredite aufnehmen und will mit dem Erlös Kitas und Grundschule ausbauen.
„Wir müssen es anders machen“, betont Michael Luthardt, der die WaldbesitzerInnen rund um Treuenbrietzen berät, wie sie ihre Flächen neu bepflanzen. Manche müssten wohl wieder ganz vorne beginnen, mit Birke, die auch auf der komplett verbrannten Erde wachse. Im Februar plant er eine Tagung in Eberswald, „Waldumbau – neu denken“. Helfen können auf jeden Fall auch alte Ideen. „Man kann die Eichen in Inseln pflanzen und den Rest der Natur überlassen“, sagt Luthardt. „Dahinten ein paar und dort“, sagt er und deutet mit langgestrecktem Arm in die Tiefe eines Kiefernforstes, in dem ein paar Faulbäume, Birken und knöchelhohe Eichen wachsen.
Das gab es schon mal. Seit 1860 pflanzten preußische Förster nach dem System von Oberförster Justus Mortztfeldt in kreisrunden Flächen Eichen und andere Laubbäume, die von dort die Gegend besamen sollten. 2.761 Mortzfeldtsche Lochbestände gibt es noch in Nordostdeutschland – mitten in den Kiefernplantagen.
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