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Wahlsystem in HessenKeine Besserung in Sicht

Auch wenn die abgewiesen Klage von der AfD kommt – das Wahlsystem in Hessen ist reformbedürftig, die Parteien sind auf ihren Vorteil bedacht.

Plenarsaal des Hessischen Landtags in Wiesbaden im Juli 2020 Foto: Andreas Arnold/dpa

C DU und Grüne in Hessen machen es sich zu einfach, wenn sie die Klage der AfD gegen die Berechnung der Sitzverteilung im Hessischen Landtag als Klamauk und Populismus brandmarken. Immerhin hat das Verfassungsgericht des Landes einen „Fehler im Wahlverfahren“ festgestellt, weil eine eigentlich nötige alternative Berechnung unterblieben war. Dass auch diese Rechnung zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre, macht die Sache halbwegs erträglich.

Doch das eigentliche Problem bleibt ein Wahlsystem, das übermäßig viele Überhang- und Ausgleichsmandate produziert. Deren Verteilung ergibt sich aus komplizierten Rechenoperationen. Dass dabei je nach dem angewandten Berechnungssystem unterschiedliche Ergebnisse herauskommen können, stärkt nicht das Vertrauen in demokratische Institutionen. Wenn Regierungsparteien, wie zuletzt in Hessen, aus einem hauchdünnen Vorsprung bei den Wählerstimmen durch eine solche Rechnung eine solide Mehrheit bei der Sitzverteilung gewinnen können, muss das nicht jeden überzeugen.

Die Parteien im Bund und in den Ländern sollten aus dem Urteil des Hessischen Staatsgerichtshof die Lehre ziehen, dass sie die Aufblähung der Parlamente durch immer mehr Überhangs- und Ausgleichsmandate beenden und für klare gesetzliche Vorgaben bei deren Berechnung sorgen müssen. Im Bund sind alle geeigneten Vorschläge dafür erst einmal gescheitert, vor allem weil die CSU ihre Vorteile im geltenden Systems nicht aufgeben wollte. Auch in Hessen ist bislang keine Besserung in Sicht. Die schwarz-grüne Mehrheit ist nicht einmal in der Lage, die Zuschnitte der Landtagswahlkreise so neu zu ordnen, dass die Gewichtung jeder einzelnen Erststimme im ganzen Land etwa gleich ist.

Beim Wahlsystem und dem Zuschnitt der Wahlkreise schielen die Parteien stattdessen auf mögliche Vorteile und zusätzliche Mandate. Sicher: Die AfD macht Stimmung gegen demokratische Institutionen. Aber das Tricksen und Lavieren der etablierten Parteien beim Wahlrecht liefert dafür Argumente.

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Christoph Schmidt-Lunau
Autor
Von 2016 bis 2024 taz-Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Davor u.a. Moderator, Reporter und CvD bei SWF3 sowie Programmdirektor von radioffn, 15 Jahre lang Landtagskorrespondent für den Hörfunk von hr und ARD, gleichzeitig Autor für den Tagesspiegel 1980 Dipl.Soz. und Wiss. Mitarbeiter Goethe Uni Frankfurt
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1 Kommentar

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  • Diese Überhangmandate müssen endlich geregelt, sprich, abgeschafft oder gedeckelt werden.



    Also entweder reines Verhältniswahlrecht oder direkte Wahlen.

    Das letztere kommt zu dem nächsten Problem:

    "Die schwarz-grüne Mehrheit ist nicht einmal in der Lage, die Zuschnitte der Landtagswahlkreise so neu zu ordnen, dass die Gewichtung jeder einzelnen Erststimme im ganzen Land etwa gleich ist."

    Das ist auch schwierig. Wenn man dynamische Bevölkerungsentwicklungen abbilden möchte, müsste man vor jede Wahl die Bezirke neu abstimmen. Damit sind der Willkür, "gerrymandering", Tür und Tor geöffnet.

    Oder eine Art Zweikammersystem, aber in einem Parlament. 80 Sitze werden über Verhältniswahlrecht vergeben, 20 Sitze über Direktmandate (die Bezirke sind dann so groß, dass nicht kleinteilig nachgeregelt werden muss). Und Punkt. Kein Mandat mehr. Und wenn die Direktmandate dann an eine Partei gehen, dann ist das eben so.