Wahlsieg für die Tories: Johnson macht's wie Blair
Der Konservative Boris Johnson übernimmt nach seinem Wahlerfolg die Rhetorik seines Labour-Vorgängers Blair. Die Parallelen sind frappierend.
D er neue britische Premierminister hatte eben einen Erdrutschsieg erzielt, schon warnte er den eigenen Laden vor Selbstzufriedenheit. „Unser Sieg war ein Sieg des Volkes, kein Sieg der Politiker. Was das Volk gibt, kann das Volk wieder nehmen. Wir sind die Diener, sie sind jetzt die Herren.“ Dies waren die Worte von Tony Blair nach seinem Wahlerfolg 1997, als Labour mit 43,2 Prozent der Stimmen der Tory-Herrschaft, die eine Generation lang währte, ein Ende machte.
Blair war damals Abgeordneter für die Labour-Hochburg Sedgefield. 2019 fiel Sedgefield an die Konservativen, und Boris Johnson kann nun mit 43,6 Prozent der Stimmen eine neue Ära konservativer Hegemonie einläuten. Für seinen ersten öffentlichen Auftritt nach dem Sieg flog Johnson nach Sedgefield und hielt fast dieselbe Rede wie Blair 22 Jahre vorher: „Wenn wir nach Westminster gehen und mit der Arbeit beginnen, erinnern wir uns daran, dass wir nicht die Herren sind. Wir sind jetzt die Diener. Unser Job ist, den Menschen dieses Landes zu dienen.“
Schon in der Wahlnacht sprach Johnson an einem Redepult mit der Aufschrift „The People’s Government“ (Die Regierung des Volkes) von einer „neuen Morgenröte“ – beides wortgetreu Blair 1997, ebenso wie Johnsons Standardfloskel von Großbritannien als „bestes Land der Welt“. Für seine Sprache wird Johnson von manchen als Populist und Nationalist kritisiert. Blair hingegen wurde als der Prophet eines „Dritten Weges“ für die Linke bejubelt.
Das eine stimmt so wenig wie das andere. Die Parallelen zwischen den zwei Politikern sind allerdings frappierend. Beide siegten, indem sie jenseits des eigenen Lagers überzeugten. Und sie wissen, dass sie sich nur halten können, wenn sie das weiterhin tun. Deswegen ist Johnsons Wahlsieg eine große Chance für Großbritannien, genau wie einst der von Blair. Blair wird heute als Scharlatan, Opportunist und Lügner beschimpft. Johnson auch.
Doch Blairs Verdienste um die Modernisierung Großbritanniens, bevor er sich mit dem Irakkrieg auf Abwege begab, sind nicht zu bestreiten, und sie haben das Land dauerhaft verändert. Wenn Johnson nun das verbale Erbe Blairs antritt, zeigt er, dass das der Standard ist, an dem er dereinst gemessen werden will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich