Wahlrechtsreform im Bundestag: Frauen bleiben außen vor
Im Bundestag sollten künftig weniger Abgeordnete sitzen – und eigentlich mehr Frauen. Doch die werden im Streit um eine Reform zur Nebensache.
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Parteiübergreifend herrscht unter PolitikerInnen zu diesem Zeitpunkt Einigkeit: Neben Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will auch die damalige Justizministerin Katarina Barley eine Erhöhung des Frauenanteils im Bundestag und den Länderparlamenten. Der Zeitpunkt ist günstig: Der Schwung der Wahlrechtsreform, die ohnehin ansteht, soll genutzt werden, um auch die Parität gesetzlich zu verankern. Siegesgewiss, so ist die Stimmung.
Freitag, 3. Juli 2020. Im Bundestag diskutieren die Abgeordneten über ebendiese Wahlrechtsreform. Es geht um die Verkleinerung des Parlaments. Wenigstens darum, dass nach der Wahl im nächsten Jahr nicht noch mehr Abgeordnete im Bundestag sitzen sollten. Um das Thema Parität dreht sich die Debatte schon lange nicht mehr. Im von Grünen, Linken und FDP gemeinsam vorgelegten Gesetzentwurf taucht das Wort Parität kein einziges Mal auf, nicht einmal das Wort Frauen.
Es ist wie immer, wenn es um Posten geht: Die Frauenfrage gerinnt zum Nebenthema, das in eine ferne Zukunft verwiesen wird. Von dem 2018er Schwung, als ein neues Wahlrecht auch die Parität regeln sollte, ist nichts mehr zu spüren. Wie konnte das passieren?
Aktuell sitzen 709 Abgeordnete im Parlament – schon das sind zu viele, die Regelgröße beträgt 598. Aber weil die großen Parteien mehr Direktmandate holen, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen, wurde der Bundestag vergrößert. Wird das Wahlrecht jetzt nicht geändert, könnte sich das Parlament nach der Bundestagswahl 2021 auf mehr als 800 Sitze aufblähen. Die fatale Botschaft: Während das Land coronabedingt in eine tiefgreifende Krise steuert, genehmigen sich die VolksvertreterInnen noch ein paar Dutzend Mandate obendrauf.
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Die Fraktionen sind beim Thema Wahlrechtsreform zerstritten. Die Koalitionsparteien CDU und SPD können sich auf keinen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen. Als läge das Thema nicht schon seit drei Jahren auf dem Tisch, machte die Union erst am Dienstagabend einen Minimalvorschlag, den nicht einmal ihre eigenen VertreterInnen richtig erklären konnten.
Der Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken sieht vor, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 zu reduzieren. Die Größe des Parlaments soll im Gegenzug von derzeit 598 Sitzen leicht auf 630 erhöht, eine weitere Steigerung jedoch unterbunden werden. Der Entwurf wurde vom Bundestag in erster Lesung beraten, im Innenausschuss gab es eine Anhörung von Fachleuten, der Entwurf wurde als fair und verfassungskonform eingestuft.
Union und SPD blockierten den Entwurf aber am vergangenen Mittwoch im Innenausschuss und erklärten plötzlich, es gebe noch „Beratungsbedarf“. Im politischen Berlin wird gemunkelt, die Fraktionsführungen hätten befürchtet, dass einige ihrer eigenen Abgeordneten für den Gesetzentwurf der Opposition stimmen könnten. So satt haben manche das unwürdige Schauspiel.
In der einstündigen Debatte geht es am Freitagnachmittag dann hoch her. Die Opposition ergreift ihre Möglichkeit, der Regierungskoalition deren Selbstblockade vorzuführen. Tatsächlich muss Carsten Schneider, immerhin Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, einräumen, dass seiner Fraktion der Vorschlag der Union bis zu dieser Minute nicht schriftlich vorliegt. Höhnisches Gelächter von den Oppositionsbänken, der Vorgang lässt tief blicken.
Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sagt hörbar genervt, die Uneinigkeit von SPD und Union sei hier eindrucksvoll gezeigt worden. „Damit ist die Sache tot.“ Das Thema Wahlrechtsreform müsse endlich abgeräumt werden; Kuhle beantragt deshalb, den Vorschlag der Opposition erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Dazu kommt es nicht: Nach der Geschäftsordnung wäre für eine Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten erforderlich gewesen.
Der Linke-Politiker Friedrich Straetmanns wirft der Union taktische Spielchen vor. „Wenn wir nichts unternommen hätten, hätten Sie gar nichts unternommen“, sagt Straetmann. Das Verhalten von Union und SPD sei der Bedeutung des Themas nicht angemessen. Auch Britta Haßelmann von den Grünen geißelt die Verzögerungstaktik der Großen Koalition: „Wir haben einen Vorschlag gemacht – Sie finden nicht die Kraft, gemeinsam einen zu machen.“ Der CSU-Abgeordnete Michael Frieser, Mitglied im Geschäftsordnungs-Ausschuss, kanzelt die Grüne im Bescheidwisserton ab: „Machen Sie einen guten Vorschlag, dann brauchen Sie auch nicht an Wahlkreise rangehen.“ Bei der letzten Bundestagswahl hatte Friesers CSU alle Wahlkreise direkt gewonnen.
Angela Merkel
Für das Thema Parität interessiert sich von den RednerInnen kaum jemand. Einzig die SPD-Abgeordnete Leny Breymaier betont den Anspruch ihrer Fraktion auf „paritätische Listen im Reißverschlusssystem“. Die Lebenserfahrung von Frauen gehöre in dieses Parlament. „Ein Parlament mit dreißig Prozent Frauen ist falsch!“
Vor eineinhalb Jahren wirkte es noch so, als könne und werde es keine Wahlrechtsreform ohne Parität geben. Eine interfraktionelle Gruppe von Frauen machte sich daran, einen gemeinsamen Antrag für eine Kommission einzubringen, die sich mit dem Thema „Mehr Frauen in den Bundestag“ beschäftigen sollte.
Doch schnell bröckelte die Übereinstimmung, wie Parität erreicht werden kann – und was sie genau bedeutet. Zunächst konnten die FDPlerinnen in ihrer Fraktion den Antrag auf die Kommission nicht durchsetzen. Dann zogen die Unionsfrauen sich zurück. Und um des Koalitionsfriedens willen wollten sich schließlich auch die Sozialdemokratinnen nicht mehr am Antrag beteiligen. Sie setzten darauf, Parität innerhalb der Wahlrechtsreform durchzubringen.
„Das Patriarchat steht“
Übrig blieb ein Antrag von Linken und Grünen, eine Kommission zu bilden – und schließlich Stillstand. Die SPD-Abgeordnete Josephine Ortleb verweist im Gespräch mit der taz auf die Haltung der Unionsfrauen. Sie hoffe, sagt das Mitglied im Familienausschuss, „dass bei allem, was jetzt beim Thema Wahlrechtsreform noch kommen mag, sich auch die Unionsfrauen dafür einsetzen. Ohne sie geht es nicht.“ Für die SPD sei die Parität ein genauso wichtiges Thema wie die Größe des Parlaments. Eine Bitte der taz um Stellungnahme an die Frauen-Union blieb unbeantwortet.
Was die Frauen und ihre Repräsentanz betrifft, sind die mutigen und siegesgewissen Forderungen also der Frustration gewichen. „Das Patriarchat steht“, formuliert es die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring. Sie kündigt an: „Ich stimme für keinen Antrag, in dem Parität nicht vorkommt.“ Der Deutsche Frauenrat findet das richtig: „Unser Appell an die Abgeordneten des Bundestags lautet nach wie vor: Stimmen Sie keiner abschließenden Wahlrechtsreform zu, die Parität außen vor lässt“, heißt es. Verweigerung ist, was derzeit möglich scheint.
Mit der Debatte vom Freitag ist eine Reform des Wahlrechts vorerst vom Tisch, eine Lösung vor der nächsten Wahl ist unwahrscheinlich. Und auch für die Frauen sieht es düster aus. „Für diese Legislatur ist das Thema Parität tot“, konstatiert Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag.
Doch sie bleibt hartnäckig: Nach der Sommerpause, kündigt sie an, werde sie wieder fordern, die Kommission einzusetzen, die Vorschläge zur Frage erarbeiten soll, wie gleichberechtigte Teilhabe umgesetzt werden kann. Wenn der Weg, den die SPD-Frauen verfolgt hatten – Parität im Rahmen der Wahlrechtsreform umzusetzen –, nicht funktioniere, so Schauws, „dann müssen sie jetzt Farbe bekennen und Parität mit uns jenseits der Wahlrechtsreform angehen“. Die Reform sei eines – und Parität dann eben ein anderes.
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