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Wahlkampfauftritt Fischer/KretschmannGrüner Herrenabend

Joschka Fischer und ein im Umfragehoch schwebender Winfried Kretschmann erklären einen Abend lang die Welt. Ein Thema sparen sie aus.

Noch zehn Tage bis zur Wahl und die Umfragen könnten für den ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik, Winfried Kretschmann, kaum besser sein. Foto: dpa

Karlsruhe taz | Wenn man sie da so sitzen sieht in der hellen Ledersitzgruppe vor der Laubwald-Fototapete, da kommt einem dieser schreckliche deutsche Schlager in den Sinn: „Ich hab Ehrfurcht vor Schneeweißen Haaren“. Joschka Fischer und Winfried Kretschmann erklären einen Abend lang vor etwa tausend Zuhörern in der Karlsruher Stadthalle die Welt. In der ersten Reihe sitzt dann noch gut sichtbar Rezzo Schlauch, ebenfalls grünes Urgestein. Heute ist er Wirtschaftsanwalt und Berater in Stuttgart, dazu Autor der kleinen Parteien-Geschichte der Südwest-Grünen mit dem passenden Titel: „Keine Angst vor der Macht“.

Das ist aber kein grüner Veteranen-Treff, nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem sich die Grünen vor 36 Jahren gründeten. Es ist eines der letzten Gefechten der ersten grünen Generation: Denn der gesetzte Herr neben dem noch immer jugendlich grinsenden Ex-Außenminister steht ja mitten im Wahlkampf. Noch zehn Tage bis zur Wahl und die Umfragen könnten für den ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik, Winfried Kretschmann, kaum besser sein. Gerade stehen die Grünen in Baden-Württemberg bei 32 Prozent und damit vier Prozent vor der CDU. Da kann man sich schon mal einen Abend lang zurücklehnen und mit einem alten Weggefährten darüber diskutieren, wohin die Welt treibt.

Joschka Fischer sagt: Nein, solche Wahlergebnisse für die Grünen habe er sich auch in Baden-Württemberg nie vorstellen können. Er erklärt es zum guten Teil mit der „Arroganz der Macht der Union“ und sagt: „Das sollte uns allen eine Lehre sein.“ Damit ist wohl nicht Winfried Kretschmann gemeint, der ziemlich still daneben sitzt und an diesem Abend froh zu sein scheint, dass mal ein anderer redet.

1984, als sich Realo Winfried Kretschmann mit den Grünen mal wieder überworfen hatte und türenknallend den Landtag verließ, holte ihn Joschka Fischer zu sich nach Wiesbaden ins Umweltministerium. Diese 16 Monate unter dem Minister Fischer seien zwar nicht „frei von Spannungen gewesen“, berichtet Kretschmann an diesem Abend, aber er habe viel über das Regierungsgeschäft gelernt. Diese 16 Monate hätten ihm sehr geholfen, später eine Regierung zu führen.

Der letzte „Live Rock’n‘ Roller“

Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein. Der immer etwas steife Kretschmann und Fischer, der letzte „Live Rock’n‘ Roller“ der Politik, als der er sich gerne bezeichnet. Realos waren sie beide schon immer und haben so mache parteiinterne Niederlage gemeinsam zu verkraften gehabt. „Aber am Ende haben wir gewonnen“, betonen sie.

Dann geht es um die großen Zusammenhänge. Schließlich heißt der Abend: „Auf dem richtigen Weg für Europa“. Auch Fischer steht zur Kanzlerin. Da müsse man über seinen parteipolitischen Schatten springen, sagt er. Merkel habe die Flüchtlinge nicht eingeladen, erinnert Fischer: „Die standen schon in Budapest“. Aber er betont deutlicher als Kretschmann die Fehler die Kanzlerin lange davor. Dass sie der Türkei die Tür zur EU gewiesen habe, dass sie auf dem Dublin-Abkommen bestanden habe als Griechenland und Italien den Umgang mit den Flüchtlingen schon lange nicht mehr bewältigen konnten. Fischer sagt: „Es gibt keinen Weg zurück zu Dublin.“ Da bleibt Kretschmann nur zu nicken.

Einer wird an diesem Abend weder auf der Bühne noch am Rande erwähnt: Volker Beck. Kretschmann hatte seinem Parteikollegen, der am Abend vorher in Berlin offenbar mit einer geringen Menge harter Drogen erwischt worden war, im Morgenmagazin recht mitleidslos „ein schweres Fehlverhalten“ vorgeworfen. An einem Wahlkampfabend der beiden Welterklärer im Umfragehoch sind solche Abgründe natürlich kein Thema. Wäre auch schlecht für die Stimmung.

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15 Kommentare

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  • Wie ist die aktuelle Schwemme von Artukeln, die sich mit den Grünen beschäftigen, so kurz vor der Wahl in Baden-Württemberg zu verstehen? Warum werden zwei Grüne, Beck und Kretschmann, im Artikel gegeneinander ausgespielt?

    • @Rudolf Fissner:

      Dabei sein ist alles.

  • Gegen wen hat Joschka Fischer denn einst Steine geschmissen? Man könnte ironisch sein, und meinen gegen die von ihm mitgeprägten neoliberalen Grünen...

    Und wäre da nicht die unsozialste Reform seit der Geburt der Bundesrepublik Deutschland, die sogenannte 'Agenda 2010', - so könnte man Fischer als kleine Anekdote der Weltgeschichte schlicht vergessen...

  • Sie haben also lang und breit über die Sozialisierung des Reichtums und die Umgestaltung der Gesellschaft erörtert und daraus gefolgert, dass die Erfindung "sicherer Herkunftsstaaten" blanker unmenschlicher Unfug ist.

  • "Realos waren sie beide schon immer..."

     

    Von der Steinewerferperiode abgesehen....

  • Ich finde diese Menschen, naja, mir fällt da nichts ein was nicht zensiert gehört!

  • Was die Herren ebenfalls vergessen haben: gegen eine Politik wie Kretschmann sie jetzt macht haben sie vor Jahrzehnten noch Steine geworfen!

    Fast lautlos sind sie rechts an die Seite der CDU geglitten. Bei jedem Auslandseinsatz der BW ist die Zustimmung der Grünen die höchste. Bei einer Partei, die die BW abschaffen wollte! So sind sie eben : außen grün und innen tiefschwarz!

  • Mmeine Güte, Herr Stieber, was kennen Sie denn für seltsame Schlager? Waren Sie denn 1961 überhaupt schon geboren?

     

    Doch, doch, die beiden Herren dieses grauen(vollen) Abends könnten durchaus noch ein wenig unterschiedlicher sein als sie sind. Und zwar, wenn Kretschmann zwar "immer etwas steif[]", aber eine Frau wäre, während Fischer, "der letzte 'Live Rock’n‘ Roller' der Politik", ein Mann wäre – oder umgekehrt. So, nämlich, sind sich beide schrecklich einig: "Aber am Ende haben wir gewonnen", ätsch! Zwei ganze Kerle unter sich.

     

    Ja, es sollte ihnen wirklich "eine Lehre sein", dass die Union (wie vorher schon ganz viele andere) gerade an der "Arroganz der [eigenen] Macht" scheitert in Baden-Würtemberg. Wird es aber nicht. Wer siegt, ist schließlich nicht arrogant, sondern bloß richtig, richtig gut.

     

    Übrigens: Dass ich "Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren" hätte, kann ich nicht behaupten. Es kommt schon darauf an, auf wessen Kopf die Haare wachsen. Aber Camillo Felgen hat ja auch nicht Kretschmann oder Fischer besungen, sondern seine "Mutter", einen "lieben alten Menschen", den "das Leben nie verwöhnt" hat.

     

    Keiner der Herren auf dem Podium hat jemals "lieb" sein wollen, schätze ich. Und wie man sich verwöhnen lässt vom Leben, wissen sie genau. Bleibt eigentlich nur zweierlei: "Treue und Pflicht". Und da sind sich nun wieder alle einig: Der Einzige, der da grad gar nicht passt dazu, ist Volker Beck. Wie kann der Kerl sich nur erwischen lassen!

    • @mowgli:

      Was wollen Sie uns sagen, Kollegin MOWGLI? Was sagen S. Freud und C.G. Jung zum Phänomen der Grünen in Baden-Württemberg?

  • Booey -

    Gut daß dieser Kelch -

    An mir vorübergegangen ist!

     

    Melatenblond-grün beim

    Lauf in sich selbst!

    Wer - bitte - möchte - hanoi -

    Sich das & anderen - öh Gönnen. &

     

    Kreischeisen-Rezzo in der ersten Reihe - &

    Alle - bis zur Kenntlichkeit entstellt!

    kurz - Daß sich solches Fehlverhalten -

    Nur nicht überträgt! Gell!

    Ja wie de Kölsch säht -

    Man muß Jünne künne;()

    • @Lowandorder:

      "bis zur Kenntlichkeit entstellt"

       

      Respekt! Manchmal hauen Sie richtig gute Dinger raus.

      • @Rainer B.:

        ;) gängiger Wortschatz -

        copyright liegt aber leider woanders

        • @Lowandorder:

          Tucholsky?

          • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

            Aufgeschnappt - wo auch immer -

            Tucho - eher nich - aber

             

            [1] „"Weisse Bescheid", würde Schlämmer sagen. Fragt sich nur, wer da eigentlich wen zur Kenntlichkeitentstellt, die Show die Politik – oder umgekehrt.“[1] https://de.m.wiktionary.org/wiki/Kenntlichkeit

            & klar - er nu wieder ;))

             

            "2008 wurde Max Goldt auf Empfehlung von Daniel Kehlmann mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Jury hieß es, Goldt habe den deutschen Alltag „bis zur Kenntlichkeit entstellt“.[2] Bemerkenswert an dieser Formulierung ist, dass Goldt sie wie viele andere Phrasen („mit spitzer Feder“) 1990 persifliert hatte.[3] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Max_Goldt

             

            & klar Elfriede Jellinek - darf nicht fehlen;)()

            "Stemann entzieht jedem Deutungsanflug postwendend wieder mit einem inszenatorischen Bruch den Boden und schreckt dabei – genau wie Jelinek – auch vorm geschmacksfreiesten Kalauer nicht zurück. Die Texte wären damit – wie es sich die Autorin im erwähnten Tip-Interview wünscht – tatsächlich "zur Kenntlichkeit entstellt". Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger." http://m.spiegel.de/kultur/gesellschaft/a-483938.html ( feines Teil;)

        • @Lowandorder:

          Kannte ich trotzdem noch nicht.