Wahlkampf und Klima: In der Freiheitsfalle
Es waren Minister von FDP und Union, die mit Verboten erfolgreiche Umweltpolitik anstießen. Daran sollten die Parteien heute wieder anknüpfen.
D as wird die entscheidende und giftigste politische Auseinandersetzung der nächsten Jahre: Wie weit darf und muss der Staat für die ökologisch notwendige „große Transformation“ in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen? Wird es reichen, wenn der Gesetzgeber in grüne Infrastruktur investiert, Bürokratie um ihre Errichtung abbaut und Forschung fördert? SPD, Union und FDP sehen das so, Linke und Grüne nicht. Sie wollen auch zum Mittel des Ordnungsrechts greifen – also zu Verboten.
Die Aufregung, die die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit ihrer Feststellung im Triell auslöste, jedes Verbot sei auch ein Innovationstreiber, zeigt, wie oberflächlich die Debatte geführt zu werden droht, in Texten à la „Warum Verbote ein Irrweg sind“ (Welt) oder Twitter-Botschaften wie „#Freiheit ist der #Innovationstreiber“ von FDP-Chef Christian Lindner. Dabei ist Baerbock natürlich nicht in eine „Verbotsfalle“ getappt.
Sie hat nur ein wichtiges Instrument aufgezählt, ohne das Klima- und Artenschutz nicht zu machen ist. Erinnern wir uns: Was tat Hans-Dietrich Genscher, Innenminister der sozialliberalen Koalition, als Fabriken in den 70er Jahren Menschen und Umwelt krank machten? Ließ er die Unternehmen „einfach mal machen“, damit sie weniger Schadstoffe emittieren? Entfesselte er ihre Innovationskraft durch Steuererleichterungen oder siedelte er am Waldrand innovative Firmen an?
Nein. Er hat den Unternehmen verboten, weiter Schwefel durch ihre Schlote zu pusten. Genscher brachte das Bundes-Immissionsschutzgesetz auf den Weg, als BImSchG heute noch lebendig. Vor 50 Jahren wurde der Liberale für sein Gesetz ordentlich verprügelt, von der Umweltbewegung, die es für zu lasch hielt, vor allem aber von der Industrie. Sie ist dann aber nicht wie angekündigt untergegangen, sie hat Filter in ihre Schornsteine eingebaut – das entscheidende Mittel gegen das Waldsterben der 80er.
Filter und Recylingverfahren
Und die deutsche Anlagentechnik ist auch infolge des BImSchG heute ein Exportschlager. In den 90er Jahren sah sich Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) einer Müllkrise gegenüber. Auf Gift und Gestank in Böden und Gewässern reagierte er: mit einem Verbot. Mit seiner „Technischen Anweisung“ legte er die Grundlage für das spätere deutsche und dann auch europäische Deponieverbot. Die Unternehmen der Abfallbeseitigung konnten ihren Müll nicht mehr einfach ins nächste freie Tal kippen.
Die Branche reagierte mit innovativen Techniken und Dienstleistungen. Heute bieten Sammel-, Sortier- und Verbrennungsanlagen im Inland Arbeit und sind Exportschlager. Dass der Sektor heute nicht mehr funktioniert, weil er nicht klug politisch gesteuert wurde, steht auf einem anderen Blatt. Die Recyclingbranche ist auch Beweis dafür, dass Freiheit, Erfindergeist und der Markt allein Innovationen eben nicht durchsetzen.
Das zeigt etwa der Umgang mit kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden oder Indium: Als die Europäer vor einigen Jahren merkten, dass die günstige und sichere Versorgung mit diesen Rohstoffen für Zukunftstechnologien nicht gewährleistet ist, starteten zahlreiche politische Initiativen; in Forschungsprojekten wurden Recyclingverfahren entwickelt und Konzepte für geschlossene Lithium-Ionen-Batteriekreisläufe, Rohstoffpartnerschaften abgeschlossen etc. Geblieben ist davon wenig.
Primäre Rohstoffe aus China oder Afrika einkaufen, sie verwenden und anschließend wegschmeißen ist besser für die Unternehmensbilanz als nachhaltige Konzepte. Weil es der Großen Koalition an Mut fehlte, den Umgang mit Rohstoffen klar zu regeln, ist das Problem „kritische Rohstoffe“ heute so groß wie ehedem. Erfolgreiche Umweltpolitik – und erst recht die notwendige große Transformation – braucht „Push- und Pull-Faktoren“, Anreize und Verbote. Für die Verkehrspolitik etwa heißt das:
Verbote und Anreize
Die Bürger:innen brauchen gute neue Angebote, damit sie mit privaten, öffentlichen und geteilten Verkehrsmitteln schnell und bequem ihr Ziel erreichen. Das ist der Push-Faktor. Und Verbrennungsmotoren müssen verboten werden – mit langen Übergangszeiten. Schon ein fernes Verbot weist den Unternehmen den Weg. Das ist der Pull-Faktor.
So könnten wir daran teilhaben, wie neue Dienstleistungsangebote, Technologien und Konzepte entstehen, und wie die Autoindustrie auf ein für den Standort gesundes Maß zurückschrumpft und klimaneutrale Fahrzeuge herstellt. Nur eines von beiden – nur Anreize oder nur Verbote – reicht nicht. Wieweit die SPD bereit ist, für den notwendigen Klimaschutz auch Verbote einzusetzen, ist schwer abzusehen, weil der Ich-tu-niemandem-weh-Kurs von Olaf Scholz außerhalb des Wahlkampfs in der Partei nicht unbedingt mehrheitsfähig ist.
Mit Christian Lindner, der in den Hochzeiten des Dieselskandals ein „Moratorium zur Aussetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinie“ forderte – Motto: Hält die Industrie die Gesetze nicht ein, schaffen wir halt die Gesetze ab –, ist kaum ein Staat der Zukunft zu machen, genauso wenig wie mit einer CDU, deren starker wirtschaftsliberaler Flügel „Klimakrise“ für Geschwätz hält. Aber jeder kann dazulernen.
Union und FDP müssten sich nicht einmal neu erfinden, sondern sich nur an die eigenen umweltpolitischen Vorbilder Genscher und Töpfer erinnern und an deren Erfahrung, dass Umweltkrisen das Ordnungsrecht erfordern. Die Erzählung von der „grünen Verbotspartei“ behindert diesen Erkenntnisprozess. Solange es SPD, Konservativen und Liberalen gelingt, Verbote als „grüne Zumutung“ darzustellen und damit die Konkurrenz einzustampfen, versperren sie sich die Sicht auf ihre eigene Geschichte.
Das ökologisch interessierte Publikum sollte ihnen das nicht durchgehen lassen. An eigene umweltpolitische Erfolge gilt es für SPD, Union und FDP anzuknüpfen, wenn sie wirksame Klimapolitik machen wollen. Und das, so war den Fernsehdebatten zu entnehmen, wollen sie doch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen