Wahlkampf in Berlin: Wer lacht zuletzt?
Vier Wochen vor den Wahlen liegt die SPD in Umfragen plötzlich vorne. Ist der Ausgang trotzdem offen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Hat der Wahlkampf endlich begonnen?
Ja, und er ist sogar in die heiße Phase eingetreten. Am Freitag kam Olaf Scholz zum Auftakt des Straßenwahlkampfs der SPD auf den Berliner Bebelplatz und rief schon mal Franziska Giffey zur Regierenden Bürgermeisterin aus.
Und die anderen Parteien?
Die haben sich lange von der SPD den Takt vorgeben lassen. Am Dienstag vergangener Woche ließen die Sozialdemokraten die Verkehrswende platzen, als sie ihre Zustimmung zu den letzten Teilen des Mobilitätsgesetzes verweigerten. Das Ja der SPD zum Auto passt nicht zum geplanten Umbau von Parkplätzen und Straßenland für Fußgänger und Radwege.
Insgesamt haben Grüne und Linke zu lange gehofft, gemeinsam mit der SPD einen Lagerwahlkampf gegen CDU, FDP und auch AfD machen zu können. Dabei posaunt Spitzenkandidatin Giffey ihre Liebe zum Auto schon seit Monaten heraus. Hat sie jemand schon mal auf einem Fahrrad gesehen? Eben.
Wofür stehen die Berliner Spitzenkandidat*innen? Welche Koalitionen streben sie an? Und wie ticken sie persönlich? Die taz Berlin hat die Spitzen-kandidat*innen von Linken, CDU, SPD und Grünen im September zu Gesprächen in die taz-Kantine geladen. Den Anfang macht am Freitag, 3. September, Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Die Veranstaltung, moderiert von taz Berlin-Chefin Anna Klöpper und taz Berlin-Redakteurin Susanne Messmer, beginnt um 19 Uhr. Kommen Sie vorbei und stellen Sie Ihre Fragen! Wegen Corona sind die Karten begrenzt: Bestellungen unter buchung@taz.de. Die Veranstaltung wird zudem live gestreamt. Eine Übersicht über alle Gesprächsrunden gibt es hier
Giffey fährt damit ganz gut.
Und auf der Überholspur. Laut der neuesten Umfrage von Infratest dimap liegt die SPD bei 23 Prozent, die Grünen sind auf 17 Prozent abgerutscht. Das ist das Gegenteil von dem, was die Umfragen in den vergangenen Monaten gesagt haben. Die SPD grüßt von ganz oben, die anderen müssen jetzt zu Giffey hochschauen.
Obwohl die persönlichen Werte von Franziska Giffey gesunken sind.
Die sind in den Keller gegangen, das stimmt. Nur noch 37 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. 47 Prozent dagegen sind weniger oder gar nicht zufrieden. Gut möglich, dass ihr die Diskussionen um Plagiate, die auch ihre Masterarbeit betreffen, schaden. Ihr Vorteil aber ist ihre große Bekanntheit. Und der Genosse Bundestrend: Es ist kein Zufall, dass Giffey am Freitag auf einer Bühne stand, bei der im Hintergrund der Slogan stand: Scholz packt das an.
Wie bekannt ist die Konkurrenz?
Um Bekanntheit muss sich Giffey keine Sorgen machen. Nur 16 Prozent geben beim Berlin-Trend von Infratest dimap an, sie nicht zu kennen. Bei der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sind es 66 Prozent. Unbekannter ist nur noch Kristin Brinkner (AfD) mit 82 Prozent. Kai Wegner (CDU) kennen 57 Prozent nicht, Sebastian Czaja (FDP) 48 Prozent.
Und Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer?
Macht die Ausnahme. Als Einziger hat er in der Beliebtheit zulegen können. Und als Einziger halten sich bei ihm Zustimmung (31) und Ablehnung (33) in etwa die Waage. Am Freitag erhielt Lederer zudem noch mal deutliche Unterstützung: 100 Prominente aus dem Kulturbetrieb sprachen sich in einer Zeitungsanzeige für ihn als Regierenden aus. Die Hilfe braucht Lederer aber auch: Die Linke ist in Umfragen mit 12 bis 15 Prozent klar auf Platz vier abgerutscht. Und gewählt wird am 26. September die Partei, nicht Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat.
Welche Koalitionen wären bei diesem Wahlergebnis nach dem 26. September möglich?
Zunächst einmal eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün, nur dass es dann Rot-Grün-Rot heißen würde. Aber auch eine Koalition der SPD mit der CDU und der FDP wäre möglich. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die Berliner CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Wegner vom Bundestrend abkoppelt: Der zeigt klar nach unten.
Grüne und Linke warnen vor dieser Deutschlandkoalition. Wie wahrscheinlich ist sie?
Die Warnungen sind nicht unberechtigt. In vielen Fragen, etwa bei der Verkehrspolitik, liegen die Positionen der SPD mit denen der CDU und FDP näher beieinander als mit den Grünen. Und was die Mietenpolitik angeht, hat Giffey klar gemacht, nicht mit einer Partei verhandeln zu wollen, die für Enteignungen eintritt. Das war eine klare Ansage an die Linke. Außerdem trug Giffey beim Wahlkampfauftakt mit Olaf Scholz ein schwarzes Kleid unter dem roten Jackett.
Würde die SPD-Basis das mitmachen?
Hätte sie eine Alternative? Wenn die SPD mit Auto und innere Sicherheit die Wahl gewinnt, wird sie auch eine Politik für Auto und innere Sicherheit machen wollen. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass ein Parteitag ihrer Spitzenkandidatin die Gefolgschaft verweigert. Die Berliner SPD hat sich Franziska Giffey mit Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Welche Unsicherheiten gibt es noch vor der Wahl?
Einige. Zum einen haben Umfragen einen gewissen Fehlertoleranz von plus/minus 3 Prozent – und SPD, Grüne und CDU liegen immer noch relativ nahe beieinander. Auch lagen die Demoskopen zuletzt bei der AfD oft nicht richtig: In Berlin steht die Partei derzeit bei 10 bis 12 Prozent.
Zudem haben Grüne und Linke ihre Zurückhaltung gegenüber der SPD aufgegeben und greifen sie und Giffey nun stärker an. Monika Herrmann, grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, sprach am Wochenende wegen der Verkehrs- und Umweltpolitik gar von einer „Kriegserklärung der SPD gegen uns Berliner*innen“. Allerdings ist unklar, wie viele Wählerinnen und Wähler das noch beeinflusst: Denn Briefwahl ist bereits seit zwei Wochen möglich. Angesichts von Corona wird damit gerechnet, dass die Zahl deren, die ihre Entscheidung nicht erst am 26. September treffen, deutlich steigt.
In vier Wochen stimmen die Berlinerinnen und Berliner auch über den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen ab. Was bedeutet das für die nächste Legislaturperiode?
Hängt vom Ausgang ab. Laut einer RBB-Umfrage ist eine leichte Mehrheit für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Ein Sieg der Initiative würde zwar nicht bedeuten, dass das Gesetz kommt – abgestimmt wird nur über einen Appell. Aber der Druck auf die Politik und auch auf die SPD, Mieterinnen und Mieter wirklich zu schützen, würde steigen.
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