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Wahlkampf in Berlin IPiraten nehmen Kurs aufs Parlament

Laut Umfragen hat die Piratenpartei Chancen ins Parlament zu kommen. Der Höhenflug erklärt sich aus dem erweiterten Themenspektrum und der Schwäche der FDP.

Unter orangener Flagge den Gelben was abgenommen: Die Piraten. Bild: dpa

BERLIN taz | Gut vier Wochen vor der Wahl sehen manche Wahlforscher die Piratenpartei nur noch knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Laut Umfragen liegt die Partei derzeit zwischen 3 und 4,5 Prozent. Landesvorsitzender Gerhard Anger hat nun endgültig der Ehrgeiz gepackt: "Mit diesem Umfrageergebnis sind wir noch nicht im Abgeordenetenhaus. Aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin." Ein bisschen gefeiert wurde auch schon mal: Beim Wahlkampfauftakt der Piraten am Donnerstagabend im Club "Chez Jacki" an der Schillingbrücke war die Stimmung ausgezeichnet.

Laut Infratest dimap erreicht die Partei derzeit einen Wähleranteil von 3 Prozent. Seit 11. August heben die Wahlforscher die Piratenpartei deshalb eigenständig hervor, anstatt sie unter "Sonstige" einzusortieren. Dem Meinungsforschungsinstituts Info zufolge erreichen die Piraten sogar 4,5 Prozent. Bei der letzten Bundestagswahl kam die Partei in Berlin auf 3,4 Prozent.

Ein Grund für den derzeitigen Höhenflug der Piraten liegt nach Einschätzung von Carsten Koschmieder, Diplom-Politologe am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, in der inhaltlichen Ausweitung ihres Programms. Neben den ursprünglichen Themen wie digitaler Vernetzung und Internet habe man inzwischen auch etwas zu klassischen FDP-Themen wie Datenschutz und Linke-Themen wie Mindestlohn zu sagen. Das könnte, so Koschmieder, einige Wähler dieser Parteien zu den Piraten herübergezogen haben.

Bei der Party am Spreeufer konnte man allerdings keinen "typischen" FDP-Wähler ausmachen. Anhänger der Piratenpartei gaben sich entweder offensiv durch Piratenkostüme oder dezent durch Buttons mit dem Parteilogo, einer kleinen schwarzen Fahne, an der Jacke zu erkennen.

Einen zweiten möglichen Grund für den Erfolg sieht Koschmieder in der derzeitigen Schwäche der FDP. Da es bei den Liberalen nicht abzusehen sei, ob diese die 5-Prozent-Hürde schaffen, sei es möglich, dass Wähler ihre Stimme nicht "verschenken" wollen und sie deshalb lieber der Piratenpartei geben. Ob die Situation für die Piratenpartei so günstig bleibt, könne man nur schwer vorhersehen. Dies hänge von zahlreichen "Wenns und danns" ab.

Auch der Spitzenkandidat der Partei Andreas Baum erklärt sich den Beliebtheitsanstieg seiner Partei mit dem thematisch erweiterten Wahlprogramm: "Wir vertreten viele Positionen - an einigen Stellen sehr stark akzentuiert." Laut Parteiprogramm setzt sich die Partei unter anderem für ein Vorkaufsrecht von Mietergemeinschaften für Immobilien, einen gesetzlichen Mindestlohn, Grundeinkommen, die Abschaffung von Hartz-IV sowie kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr und Internet ein.

Generell werde die Partei in letzter Zeit "stärker wahrgenommen", meint Baum: Die Ressonanz auf die Wahlplakate sei überall sehr positiv - weil diese sich von Plakaten anderer Parteien besonders "abheben" würden. Es gebe zudem vermehrt Anrufe sowie Anfragen für Wahlprogramme und Informationen zur Partei.

Für die nächsten vier Wochen haben sich die Piraten verschiedene Aktionen vorgenommen, um die Umfragewerte in tatsächliche Wählerstimmen umzumünzen, sagt Baum. Auf ihrer Webseite ruft die Partei ihre Wähler dazu auf, ihr privates W-LAN-Netzwerk in "Am 18.9. Piraten waehlen!" umzubenennen. Laut Baum sind zudem "einige Überraschungen" geplant, um noch "möglichst viele Berliner zu erreichen: Wichtig ist, dass die Leute uns kennenlernen und sich über uns informieren können."

Auch bei der Party zum Wahlkampfauftakt war den Piraten klar, dass noch viel zu tun ist - die Party hieß "Niemand (26) hat gesagt, dass es einfach wird".

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16 Kommentare

 / 
  • AN
    Arno Nühm

    @EnzoAduro @Grünspecht

     

    Piratenpartei gegen Kauf von Steuer-CDs? Blödsinn.

     

    Ihr verlinkt einen _Antrag_. In einem Tool zur Meinungsbildung. Oben drüber ist ne fette Box, in der steht:

     

    [...] Diese Organe sind durch die Satzung gehalten, in LiquidFeedback positiv beschiedene Anträge vorrangig zu behandeln. Solange kein Organ dem Antrag zugestimmt hat stellt er keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland oder der Piratenpartei Deutschland Berlin dar. [...]

     

    Ihr habt da keinen Beschluss gefunden, sondern eine Art Petition 2.0, die nicht sehr viele Mitglieder unterstützt haben – schließlich hat die Piratenpartei insgesamt über 10.000 Mitglieder.

     

    Offener Diskurs halt. Da gibt es schonmal unterschiedliche Positionen. Und so sollte das auch sein.

  • U
    Ulf

    Was ist denn mit den ganzen Kommentaren geschehen, die gestern noch hier standen, insbesondere dem Link zu den Ergebnissen eines der erwähnten Umfrageinstitute?

  • G
    Grünspecht

    @EnzoAduro

     

    vielen Dank für Deinen Hinweis

    https://lqpp.de/be/initiative/show/276.html

     

    Furchtbar, man kann die Piraten also auch nicht wählen.

     

    Denn es ist idiotisch gegen den Ankauf von CDs durch den Staat zu stimmen, die die Daten von großen Steuerhinterziehern enthalten! - So wie es die Piraten beschlossen haben.

     

    Dann gehen dem Staat doch viele Milliarden Euro Schwarzgeld verloren.

  • G
    Grünspecht

    Das Wahlprogramm der Piraten macht nicht wirklich einen fundierten Eindruck. Außerdem sind Frauen bei den Piraten so gut wie gar nicht vertreten, was sie für Wählerinnen unsympathisch macht.

     

    Da aber SPD, Linke und Grüne inzwischen leider (!) extrem unglaubwürdig geworden sind durch ihre reale Politik (sobald sie mitregiert haben, egal auf welcher politischen Ebene, hatten sie nix mehr mit sozial und ökologisch am Hut), werden wohl viele aus reiner Verzweiflung die Piraten wählen. - Damit man wenigstens ein paar neue Gesichter in die Parlamente kriegt, Leute, die noch Elan haben und die noch nicht bis zur Unkenntlichkeit mit den Lobbys verstrickt sind.

     

    Die anderen kleinen "Sonstiges"- Parteien sind überhaupt nicht ernst zu nehmen. Entweder sie sind extrem rechts oder extrem links oder Satire (z.B. DIE PARTEI) von Ex-Titanic-Chef Sonneborn. Und was soll man von den "Grauen" halten?

     

    Sehr schade! Ich würde sehr gern eine glaubwürdige sozial-ökologische Partei wählen u.a. im September in Berlin, aber die gibt es leider weit und breit nicht.

  • E
    EnzoAduro

    Wer irgendwie Links ist sollte wissen das die Piratenpartei der beste freund derjenigen ist die Ihr Geld in der Schweiz bunkern. Das heißst höhere Steuern und geringere Leustungen und mehr Verschuldung für alle anderen!

    https://lqpp.de/be/initiative/show/276.html

  • G
    großermarsch

    @ Kerpen

     

    Also da sind meine Erfahrungen andere. Ich bin zwar bei der LINKEN, aber man spricht ja durchaus mit der politischen Konkurrenz, die neben einem auf der Straße steht.

     

    Mitglieder der Piratenpartei kennen sich in ihren Themen wirklich gut aus. Natürlich nicht jeder bei jedem Thema, aber bei jedem Thema jemand. Ich hab es noch nicht erlebt, dass die Leute am Stand nur Phrasen nachplappern. Die wissen was sie fordern und warum.

  • A
    anamor

    @Charlotte

     

    Unter den sonstigen Parteien werden die NPD und die Freiheit vermutlich so um die 1% liegen und die anderen Splitterparteien unter 1% (meine Einschätzung). Pro Deutschland und die Piraten sind die großen Unbekannten darin. Sei dir darüber im klaren, dass Wahlumfragen auch ein Mittel sind, um Wahlen manipulieren zu können, denn Wähler, die vielleicht eine dieser kleinen Parteien wählen möchten, werden dadurch entmutigt, indem ihnen die Botschaft vermittelt werden soll, eine Stimme für diese Parteien lohne sich eh nicht, weil diese angeblich sowieso unter 5% liegen. So wird im Vorfeld bereits Politik gemacht. Prinzipiell finde ich, dass die kleinen Parteien viel zu wenig beachtet werden und auch mal eine Chance verdienen. Meine Prognose für die Wahl 2011 ist: Es wird eine Überraschung geben!

  • K
    Kerpen

    Ich habe mir die Piraten mal auf ihren VEranstaltungen angeschaut und war recht enttäuscht. Im Grunde keine Ahnung von anderen Themen, als Freiheit im Internet. Klar im Programm stehen andere Themen, aber die kannte man nicht oder hatte konträre Positionen. War echt verschwendete Zeit.

  • DE
    Dr. Ebert

    Man muss dazusagen, die Grünen haben sich in Berlin auch selbst ins Knie geschossen mit ihrer Festlegung auf die CDU.

     

    Ein großer Teil der ggw. grünen Wählerschaft sind Verlegenheitswähler, für die die Grünen noch das kleinste Übel sind. Die wissen jetzt genau, wer Grün wählt, wählt Schwarz. Und das ist das letzte was sie wollten. Auch davon werden die Piraten bestimmt noch profitieren.

  • GA
    Gereon Asmuth

    @Charlotte

    Wenn die Sonstigen laut Umfragen bei 8 bis 11 Prozent liegen, bedeutet das keinesfalls, dass sie ingesamt im Aufwind sind. Im Gegenteil: Bei der letzten Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2006 kamen die sonstigen Parteien auf insgesamt sogar 13,7 Prozent, waren also noch deutlich stärker.

     

    Umfassend möchte ich Sie zudem darauf hinweisen, dass Prognosen schon bei großen Parteien grundsätzlich sehr ungenau sind. Abweichungen von bis zu drei Prozentpunkten gelten als normal. Schon das macht klar, dass Prognosen für Kleinstparteien sehr schwierig sind.

     

    Der Stand für rechtspopulistische Parteien wie "Pro Deutschland" und "Die Freiheit" lässt sich nur sehr schwer beziffern. Als einziges der vier Institute, das Prognosen für die Berlin-Wahl veröffentlicht, nennt hier die Info GmbH einen ungefähren Wert. Demnach kommen alle "rechten" Parteien derzeit auf gerade mal ein Prozent. Das müssten sich Pro und Die Freiheit aber noch mit der NPD teilen.

     

    Wenn Sie sich selbst den Verlauf der Umfragen anschauen möchten, klicken Sie doch hier: http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm

     

    Mit freundlichen Grüßen aus der taz,

    Gereon Asmuth

  • P
    propagandaminister

    gute propaganda, wobei Piraten, Bü90/die Lü... direkte konkurrenz machen.

    naja im prinzip egal,

    Denn wer hat und wird uns verraten? Sozialdemokraten!

    Wer war/ist dabei ? die (grüne)-(piraten) partei.

    Die Grünen werden als FDP-ersatz noch gebraucht, sind aber schon lange keine "linke partei U+2122 mehr".

    Hartz4, Minijobs, weltweite Kriegsbeteiligungen.

    Wohin die Richtung der Piraten gehen wird ist unklar, eine Partei mit revolutionären Potenzial sind Piraten noch nicht, wenn ich mir die überlaufenden Versager aus anderen Parteien anschaue, wird daraus auch nix werden.

     

    Ungültig stimmen scheint aus meiner Sicht die klügere Wahl zu sein.

  • C
    Charlotte

    Letzten Umfragen zufolge liegen "Sonstige" bei 8 bis 11%. Wer also sind die anderen Parteien, die im Aufwind sind? Vielleicht könnte die taz mal darstellen, wie derzeit der Zuspruch der WählerInnen für "Die Freiheit" und "Pro Berlin" aussieht.

    Das wünscht sich eine Leserin, die UMFASSEND informiert werden möchte.

    Charlotte

  • H
    hopfen

    2klassischen FDP-Themen wie Datenschutz"...war schon immer ein Piraten Kernthema. ansonsten schöner Beitrag...wer wirklich liberale Politik in Berlin will sollte Piraten wählen.

  • EG
    Ein Gast

    Liebe Berliner, tut euch was Gutes und wählt die Piraten! :)

  • K
    konkurrenz

    "Einen zweiten möglichen Grund für den Erfolg sieht Koschmieder in der derzeitigen Schwäche der FDP. Da es bei den Liberalen nicht abzusehen sei, ob diese die 5-Prozent-Hürde schaffen, sei es möglich, dass Wähler ihre Stimme nicht "verschenken" wollen und sie deshalb lieber der Piratenpartei geben."

     

    So siehts aus, sogar Herr Westerwelle hat erkannt, dass eine Stimme für die FDP "für den Gulli" ist:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=xkNin7XwOBA

     

    ;-)

  • A
    Aposke

    Jaja, diese FPD, wirklich traurig, wird dauernd mit der schwächelnden FDP verwechselt, nur weil sich ihre Prozentpunkte in den Umfragen momentan um nur 4% unterscheiden. Schon traurig sowas.