Wahlen in den Niederlanden: Am Klima scheiden sich die Geister
Am Mittwoch wählen die Niederlande ein neues Parlament. Nachhaltigkeit ist dabei wichtig – auch wegen Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans.
Unmittelbar vor den Wahlen an diesem Mittwoch sieht das vorläufige Fazit nuancierter aus: Timmermans´ Kandidatur hat zwar dafür gesorgt, dass die rot-grüne Listenverbindung stärker dasteht als die Summe ihrer zuvor eher darbenden Teile. Mit laut Umfragen 23 der 150 Parlamentssitzen liegt sie nur knapp hinter der rechts-liberalen Regierungspartei VVD und dem sozialkonservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC). Klima und Klimagerechtigkeit waren ein essentieller Teil ihrer Kampagne und sind für viele Wähler*innen ein Grund, ihr Kreuz bei „PvdA-GL“ zu machen.
Andererseits zeigt just dieses Thema die starke Polarisierung der niederländischen Gesellschaft. Schon die Rückkehr des auch als „Klima-Papst“ verspotteten Timmermans´ war von hetzerischen Tönen in rechten Talkshows und sozialen Medien begleitet. Sie vereinten das Feindbild EU mit jenem der Klimapolitik und ihren Reduktionszielen. Inhaltliche Schnittmenge: beide werden als realitätsferne und sozial ungerechte Gängelung einfacher Bürger*innen dargestellt.
Andere Parteien, die grüne Politik oben auf ihrer Agenda haben, spielen keine wesentliche Rolle. Die Partij voor de dieren, klimapolitisch die ambitionierteste Akteurin, stagniert laut Umfragen bei ihren derzeitigen fünf Parlamentssitzen, der progressiven VOLT werden drei vorausgesagt, die linksliberalen D66 steuern nach ihrer jüngsten Regierungsteilnahme auf eine Wahlklatsche zu. Die Mehrheit der niederländischen Stimmen geht an Parteien rechts der Mitte. Dort spielen Klima, Ökologie und Natur eine untergeordnete Rolle.
Rechtsliberale wollen mehr Atomkraftwerke bauen
So setzen die VVD und die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid auf Migrationsbeschränkung und Sicherheit, der sozialkonservative NSC auf bezahlbare Wohnungen, Nahrungsmittel und Energie. Die VVD will zwar an Klimazielen festhalten, dafür freilich „mehr Atomkraftwerke bauen“- einen Kurs, den schon die im Juli gestürzte Koalition fuhr und der von Timmermans im Wahlkampf scharf angegriffen wurde.
Kompromissbereiter zeigte er sich beim Dauerthema Stickstoffreduzierung: gegen Ende des Wahlkampfs gab Timmermans an, nicht unbedingt am Zieljahr 2030 für eine Halbierung der Emissionen festzuhalten, um Bäuer*innen entgegenzukommen. Die „Stickstoff-Krise“ ist im Land des prozentual größten Emissärs der EU Dauerthema und führte im Sommer 2022 zu wochenlangen Demonstrationen.
Also: Grüne Aspekte haben im Wahlkampf durchaus eine große Rolle gespielt, aber nur sehr milieuspezifisch. Es steht daher weniger zu erwarten, dass Parteien mit nachhaltiger Agenda am Mittwoch in großem Stil abgestraft werden, wie das zuletzt in der Schweiz, Luxemburg oder bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen geschah. Wohl spiegelt sich auch hier jene Art von Klima-Müdigkeit wider, die Emmanuel Macron und Belgiens Premier Alexander De Croo schon im Mai thematisierten, als sie eine „Pause“ bei Klimaschutz-Gesetzen anregten.
Von der Ambivalenz des niederländischen Diskurses zeugt auch, dass einerseits die aktivistische Klimabewegung eine der stärksten des Kontinents ist. Dank der von Extinction Rebellion angeführten Autobahn-Blockaden etwa berät das Parlament über einen Abbau fossiler Subventionen. Hinzu kommt, dass die niederländische Justiz eine Vorreiterrolle auf dem Feld der Klima-Rechtsprechung einnimmt und mehrfach den Staat oder multinationale Großkonzerne zu Klimaschutzmaßnahmen oder Entschädigungen verurteilte. Dagegen steht das in konservativen Kreisen populäre Schlagwort des „Klima-Optimismus“, dem zufolge die großen industriellen Akteure der Gegenwart wie Shell oder der Stahlproduzent Tata Steel durch Innovation auch Schlüsselrollen im postfossilen Zeitalter einnehmen.
In dieser Konstellation ist auch die Amsterdamer Klimademo zu sehen, die Mitte November mit etwa 85.000 Teilnehmenden zur größten Kundgebung ihrer Art in der Landesgeschichte wurde. Gerade die inhaltliche Kopplung der Veranstaltung an „Gerechtigkeit“ führte zu den bekannten Kontroversen rund um Greta Thunberg und ihren Thesen zum Nahost-Krieg. Das zeigt aber auch, dass das Thema für einen großen Teil der WählerInnen fest mit sozialer Gerechtigkeit und Verteilungsfragen verbunden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen