Wahlen in Madrid: Soziale Katastrophe in Spanien
Isabel Díaz Ayuso stellt sich gegen Einschränkungen wegen der Pandemie. Damit nimmt sie hohe Fallzahlen in Kauf und gewinnt an Popularität.
W erden wir aus der Covid-19-Krise als bessere, solidarischere Gesellschaft hervorgehen, lautete eines der beliebten Themen zu Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr, nicht nur in Spanien. Die Menschen klatschten Beifall für das völlig überlastete Gesundheitspersonal, verlangten bessere Finanzierung für den öffentlichen Dienst. So mancher kümmerte sich um seine älteren Nachbarn, die besser nicht vor die Haustür gingen. Lebensmittelspenden wurden gesammelt.
Alles deutete darauf hin, dass die Gesellschaft tatsächlich reagierte, sich organisierte und ihr freundlichstes, solidarisches Gesicht zeigte. Zumindest in Madrid ist seit den Wahlen am Dienstag klar, dass dies nicht von Dauer war. Der deutliche Sieg der konservativen Isabel Díaz Ayuso ist mehr als ein politischer Erdrutsch, er ist eine soziale Katastrophe. Es gewann „das Bierchen nach Feierabend“ über die damit in Kauf genommene hohen Ansteckungsraten.
Es gewann: Warum sollen junge und gesunde Menschen nicht nachts ausgehen dürfen?“ über überfüllte Intensivstationen. Es gewann das, was Ayuso als „Leben auf Madrider Art“ beschreibt, über die Toten in Krankenhäusern und Altersheimen. Zusammengefasst: Es gewann Ayusos „Freiheit“ über Eigenverantwortung und Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Anderen, dem Schwächeren. Die Wahlen in Madrid zeigen: Nicht die Negationisten sind die große Gefahr.
Die Gefahr droht vielmehr von denen, die eine Verrohung der Gesellschaft vorantreiben, weil sie ihnen gelegen kommt. Viele der Covid-19-Opfer wären nicht notwendig gewesen, hätten die Konservativen in 26 Jahren an der Macht das Gesundheitssystem in der reichsten Region Spaniens nicht so kaputtgespart und privatisiert wie sonst nirgends im Lande. Ayuso verstand es geschickt, dies mit ihrem Ruf nach „Freiheit“ zu überdecken.
Doch „Freiheit“ ist nicht einfach, zu tun und zu lassen, was man will, egal mit welchen Folgen. „Freiheit“ in Gesellschaft und in Demokratie ist – erinnern wir uns an die alten Franzosen – ohne Gleichheit und Brüderlichkeit nicht denkbar.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott