Wahlen in Angola: Tief gefallene Befreiungsbewegung
Angolas MPLA hat die Wahlen nur noch knapp gewonnen. Ihr Absturz ist ebenso verdient wie vorhersehbar. Jahrzehnte der Dominanz sind stets gefährlich.

F rüher oder später erwischt es sie alle. Jede siegreiche bewaffnete Befreiungsbewegung auf der Welt, die nicht zu einer immer brutaleren Diktatur verkommen will, muss sich irgendwann entweder von ihrer glorreichen Geschichte verabschieden oder sich vom Volk in die Geschichtsbücher verabschieden lassen. Jetzt trifft es Angolas MPLA (Angolanische Volksbefreiungsbewegung), die nach fast einem halben Jahrhundert totaler Dominanz sämtlicher staatlicher Institutionen mit nur noch 51 Prozent wiedergewählt wird.
Der Hauptgrund: Angolas spektakulärer wirtschaftlicher Zusammenbruch. Das Bruttoinlandsprodukt sackte zwischen 2014 und 2020 von über 137 auf unter 54 Milliarden US-Dollar ab. Nicht nur sinkende Ölpreise sind für dieses Drama verantwortlich. Die einst fetten Wachstumszahlen waren auch ein Ergebnis von Korruption und Spekulation einer winzigen Elite, die sich auf die erweiterte Familie des damaligen Präsidenten José Eduardo dos Santos und deren Bekanntenkreis beschränkte.
In wenigen Ländern der Welt hat der Revoltespruch der Armen, „Wir sind die 99 Prozent“, die Realität so gut getroffen. Viele dieser Gelder wurden seitdem veruntreut, gestohlen, ins Ausland geschafft oder sind schlicht versandet. Es bleibt unter dem seit 2017 amtierenden neuen Präsidenten João Lourenço eine kriselnde Realwirtschaft, in der das Pro-Kopf-Einkommen jedes Jahr weiter sinkt, wirtschaftliche Perspektiven schwinden und die harte Hand eines autoritären Staates sozialistischer Tradition Eigeninitiative zum Überleben erschwert.
Ähnlich wie zuvor in Südafrika und Simbabwe hat nun auch in Angola die städtische Jugend die Reißlinie gezogen. Ihre massive Wählerwanderung Richtung Opposition hat die MPLA an den Rand einer Niederlage gebracht. Nun regiert also eine Partei, die sich als Staatspartei versteht, aber deren Vormachtstellung vom Volk nicht mehr akzeptiert wird. Meistens geht das nicht gut aus. Die Konfrontation MPLA/Unita hat in Angola schon zwei der blutigsten Kriege Afrikas beschert. Ein drittes Mal darf es nicht geben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Extremismus bei Alemannia Aachen
Der rechte Flügel