Wahl in der Türkei: Griechenlands Angst vorm Nachbarn
Die Bewohner griechischer Inseln vor der türkischen Küste fürchten neue Spannungen. Die türkische Minderheit setzt auf Erdoğans Herausforderer İnce.
İnces Besuch in Komotini, einem der Dörfer im Norden Griechenlands, in dem hauptsächlich Angehörige der rund 150.000 Mitglieder zählenden türkischen Minderheit leben, war ein erster Versuch, die zuletzt wieder stark gestiegenen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland etwas abzubauen.
Trotz massiver Proteste der konservativen Opposition hatte die Regierung von Alexis Tsipras dem Kurzbesuch İnces zugestimmt, und der gab sich Mühe, den Erwartungen zu entsprechen. Auf Fragen von griechischen Journalisten, warum er gekommen sei, sagte er, er wolle Freunde und Verwandte besuchen. Angesprochen auf die aktuellen Probleme zwischen den beiden Ländern, gab er sich zurückhaltend. Sein Credo: miteinander reden statt streiten, davon würden beide Seiten profitieren.
In der griechischen Öffentlichkeit schwankt derzeit die Stimmung gegenüber dem großen Nachbarn im Osten zwischen Empörung und der Angst vor neuen Zwischenfällen. Seit Anfang März häufen sich wieder die Zusammenstöße.
Als Geiseln gehalten
Es begann damit, dass zwei griechische Grenzsoldaten Anfang März, nachdem sie versehentlich auf die türkische Seite der Grenze geraten waren, festgenommen wurden und seitdem im Hochsicherheitsgefängnis in Edirne sitzen. Sie werden als Geiseln gehalten, für deren Freilassung die türkische Regierung die Auslieferung von acht türkischen Offizieren erzwingen will, die nach dem Putschversuch im Juli 2016 nach Griechenland geflohen waren und dort Asyl erhalten haben.
In der Folge häuften sich Zwischenfälle auf dem Wasser und in der Luft, wobei ein griechischer Kampfpilot zu Tode kam, als er nach einem simulierten Luftkampf mit türkischen Kampfflugzeugen auf dem Rückweg abstürzte.
In Griechenland ist die Angst vor dem großen Nachbarn zurück. Das gilt insbesondere auf den Inseln, die nahe vor der türkischen Küste liegen. Auf Symi, einer kleinen Insel in der Süd- Ägäis, unweit von Rhodos, sind die Leute alarmiert. Sie haben Angst, dass der Tourismus nach den Flüchtlingsdramen in der Ägäis 2015 jetzt erneut einbrechen könnte. „Erdoğan verunsichert doch die Touristen“, sagt eine Wirtin. „Die kommen aus Angst vor weiteren türkischen Provokationen nicht mehr.“
Ähnliche Einschätzungen sind in jedem Café zu hören. Nun liegt Symi nur einen Katzensprung vom türkischen Festland entfernt, doch die Angst vor dem großen Nachbarn ist auf allen Inseln entlang der türkischen Küste Gesprächsthema.
Völlig verrückt
„Erdoğan ist völlig verrückt geworden“, meint Dimitri, ein Hotelbesitzer auf Rhodos. Auch er hat Angst, dass die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei die ganze Saison versauen könnten. In den letzten Wochen war der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im griechischen Fernsehen fast so häufig zu sehen wie in der Türkei.
Was er sagte, versetzte die meisten Griechen in Schrecken. Einmal stellte er den Friedensvertrag von Lausanne infrage und macht indirekt Ansprüche auf diverse küstennahe Inseln geltend. Dann schickte er Kriegsschiffe, um in den Gewässern um Zypern Bohrungen nach neuen Erdgasfeldern zu verhindern.
Als Erdoğan verkündete, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf den 24. Juni vorzuziehen, gab es in den griechischen Medien die Befürchtung, dass der türkische Präsident den Konflikt mit Griechenland eskalieren würde, um nationalistische Wähler zu mobilisieren.
Damit rückt automatisch die türkische Minderheit in den Blick. Die rund 150.000 ethnischen Türken in Griechenland sind fast ausnahmslos griechische Staatsbürger. Das zeigte sich bei der Abstimmung über die Verfassungsänderung im April, als nur rund 800 Türken in Griechenland abstimmten.
Bitterer Konflikt
Für die türkische Minderheit ist der Konflikt besonders bitter. Lange hatten sie unter der gegenseitigen Abneigung der beiden Länder gelitten, erst in den letzten Jahren konnten sie von der 1999 begonnenen Entspannung profitieren. „Erdoğan macht jetzt alles wieder kaputt“, klagt eine junge Frau in Rhodos. „Vielleicht können wir bald nicht mehr hin- und herfahren und die Griechen könnten zu uns wieder auf Distanz gehen.“
Viele von ihnen hoffen jetzt auf Muharrem İnce. Als der in Komotini gefragt wurde, was er für die gefangenen griechischen Soldaten tun würde, sagte er: „Wenn ich Präsident werde, wird die Justiz wieder unabhängig entscheiden können.“
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