Wahl in Zentralafrika: In diesem Land ist nichts normal
Längst hat der Staat aufgehört zu existieren. Dennoch werden in Zentralafrika bald ein Präsident und ein Parlament gewählt.
Die Wahlen sind nötig, weil nur eine gewählte Regierung auf Dauer ausländische Hilfe bekommt. Das Land versank vor drei Jahren im Bürgerkrieg, als die muslimische Rebellenallianz Seleka in den Kampf gegen den korrupten PräsidentenFrançoisBozizé zog. Seleka ergriff im März 2013 die Macht, antimuslimische Milizen nahmen ihrerseits den Kampf auf. Anfang 2014 gab Seleka die Macht an die Bürgermeisterin von Bangui ab, Catherine Samba-Panza, die seitdem als Übergangspräsidentin nicht viel mehr zu sagen hat als davor als Bürgermeisterin. Sie verhinderte nicht, dass die antimuslimischen Milizen, kollektiv Anti-Balaka genannt, fast alle Muslime des Landes verjagten oder töteten.
Für prekäre Ruhe sorgte nicht so sehr die UN-Blauhelmstationierung ab September 2014, sondern die Aussicht darauf, dass die Übergangszeit bald zu Ende geht. Eine neue Verfassung wurde per Referendum am 13. Dezember beschlossen, die Wahlen schließen nun die politische Normalisierung ab.
Aber nichts ist normal in der Zentralafrikanischen Republik. Von den 4,9 Millionen Einwohnern leben 450.000 als Flüchtlinge in Nachbarländern, weitere 450.000 als Binnenvertriebene im eigenen Land. Seleka und Anti-Balaka existieren als organisierte Verbände nicht mehr, stattdessen hat sich in dem riesigen, größtenteils menschenleeren Land ein Flickenteppich von Milizen und lokalen Autoritäten herausgebildet. Das muslimische Kernland im Nordosten hat sich unter Ex-Seleka-Warlord Noureddine Adam als „Republik Logone“ unabhängig erklärt.
Außerhalb dieser Region leben die 36.000 verbliebenen Muslime in fünf belagerten Enklaven – die größte davon mit 26.000 Menschen ist der Stadtteil PK5 mitten in Bangui, den neulich sogar der Papst besuchte, aber dessen Bewohner ihr Viertel nur unter Lebensgefahr verlassen können. „Jeder noch so kleine Vorfall kann eine Spirale der Gewalt hervorrufen“, heißt es im jüngsten Lagebericht der UNO.
Fast alle Wahlberechtigten sind registriert
Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Zentralafrikanischen Republik sind um drei Tage vom 27. Dezember auf den 30. Dezember verschoben worden. Die Wahlmaterialien seien noch nicht überall in dem riesigen Land angekommen, sagte Interimspremierminister Mahamat Kamoun zur Begründung. Die Wahlzettel wurden im Ausland gedruckt und kamen erst kurz vor Weihnachten in der Hauptstadt Bangui an; jetzt müssen sie noch an 2.600 Wahllokale verteilt werden, viele davon in nur sehr schwer zugänglichen oder unsicheren Gebieten. In Internet-Medien regte sich Kritik: Das hätte man vorher wissen können, und für eine ordentliche Vorbereitung der Wahlen würden drei Tage auch nicht mehr ausreichen, hieß es. Die Übergangsregierung der Zentralafrikanischen Republik hat sich verpflichtet, noch im Jahr 2015 Wahlen abzuhalten. (dj)
Die Sehnsucht nach Normalität ist groß. 1.954.433 Menschen haben sich für die Wahlen registrieren lassen, 95 Prozent der volljährigen Bevölkerung. Beim Verfassungsreferendum vom 14. Dezember lag die Beteiligung nur bei 38 Prozent. Hauptgrund: die Sicherheitslage.
Nun gibt es 30 Präsidentschaftskandidaten, aber kaum einer von ihnen traut sich, auch nur eine Nacht außerhalb der Hauptstadt zu verbringen. Kein Angehöriger der Übergangsregierung und kein Angehöriger oder Freund einer bewaffneten Gruppe darf kandidieren. So treten nur Politiker an, die nichts zu sagen haben, als Wunschtableau ziviler Politik in einer gewaltbestimmten Realität.
Als aussichtsreich gelten drei Expremierminister – zwei aus der Zeit des letzten freigewählten Staatschefs, Ange-Félix Patassé, der 2003 von seinem Armeechef Bozizé gestürzt wurde, und einer aus der Ära Bozizé. Der eine, Martin Ziguélé, verfügt über den Apparat der alten Patassé-Partei und gilt daher als potenzieller Durchgreifer, was ihn für die alte Kolonialmacht Frankreich attraktiv macht. Der andere, Anicet-Georges Dologuélé, erweckt als ehemaliger Zentralbankchef den Eindruck, er könne mit Geld umgehen. Der ehemalige Bozizé-Premier Karim Meckassoua gilt als Vertrauter des Präsidenten Denis Sassosu-Nguesso in Kongo-Brazzaville, Chefvermittler im zentralafrikanischen Friedensprozess und Geldgeber der Übergangsregierung.
Meckassouas ist ein Muslim aus PK5. Sollte ausgerechnet er in eine mögliche Stichwahl im Januar einziehen, wäre dies eine Revanche für die Pogrome von 2014. Entscheidend aber wird sein, wie die Milizen reagieren.
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