Wahl in Hongkong verschoben: Erst 2021 an die Urne
Die für den 6. September angesetzte Abstimmung wird um ein Jahr verschoben. Zur Begründung bemüht die Regierung steigende Coronazahlen.
Am Freitagnachmittag trat Regierungschefin Carrie Lam vor die örtliche Presse, um die Maßnahme zu begründen: Nach zehn Tagen mit Infektionszahlen im dreistelligen Bereich sei das Risiko zu groß, dass sich der Virusausbruch durch die Wahl weiter verschärfen würde.
Zudem steckten noch immer viele der 4,4 Millionen Wahlberechtigten hinter der geschlossenen Grenze zu Festlandchina oder im Ausland fest. Ihre Teilnahme an der Wahl könne nicht gesichert werden. Und dann sagte Lam während der Pressekonferenz noch einen entscheidenden Satz: Ihre Entscheidung werde von Peking „unterstützt“.
Für die China-kritische Opposition zeigt sich ein anderes Bild: Die Pekinger Staatsführung setzt erneut ihren totalitären Machtanspruch gegen die Sonderverwaltungszone durch. Die Parlamentswahl ist die wichtigste – und möglicherweise letzte – Möglichkeit des pro-demokratischen Lagers, Opposition auf legalem Wege auszudrücken. Sollte die Protestbewegung eine Mehrheit der Sitze gewinnen, könnte sie beispielsweise Regierungsprogramme blockieren.
Ein Erdrutschsieg
Das Wahlsystem Hongkongs, das einen Teil der Sitze traditionell pekingfreundlichen Berufsverbänden zuweist, bevorzugt zwar das Establishment. Dennoch scheint eine Mehrheit für die Opposition durchaus möglich, schließlich hatte sie noch im vergangenen November bei den politisch unbedeutenden Kommunalwahlen einen Erdrutschsieg erzielt.
Deutschland setzt angesichts der Entwicklungen in Hongkong das Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus. Bundesaußenminister Heiko Maas verwies am Freitag auf die Verschiebung der Parlamentswahl, den Ausschluss von Oppositionskandidaten von der Abstimmung und die Festnahme von Aktivisten auf der Grundlage des neuen Sicherheitsgesetzes. „Wir haben wiederholt unsere Erwartung klar gestellt, dass China seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält“, erklärte Maas auf der Website des Ministeriums. Dazu gehöre die Gewährleistung der garantierten Freiheiten und Rechte wie das auf freie und faire Wahlen. „Dieses steht den Menschen in Hongkong zu.“ (rtr)
Für die Zivilgesellschaft ist die Wahlverschiebung ein weiterer Schlag: Am 1. Juli hat Peking der Finanzmetropole ein drakonisches Sicherheitsgesetz aufgezwungen, welches nicht nur Angst und Schrecken innerhalb der Zivilgesellschaft ausgelöst hat, sondern auch für eine erste Verhaftungswelle sorgte.
Gleichzeitig wurde ein führender Kopf der Demokratiebewegung von seiner Universität relegiert, wurden Lehrer an Schulen eingeschüchtert und mindestens ein Dutzend Kandidaten für die Parlamentswahlen disqualifiziert.
Die schärfste Kritik aufgrund der Wahlverschiebung dürfte vor allem aus dem englischsprachigen Raum kommen. Sowohl die Regierungen der Vereinigten Staaten als auch Australiens und Großbritanniens haben in der Vergangenheit wiederholt angekündigt, den Verlauf der Wahlen in Hongkong mit Argusaugen zu verfolgen.
Dritte Welle
Tatsächlich befindet sich Hongkong derzeit in seiner dritten – und bislang schwersten – Corona-Welle. Aus europäischer Sicht sind die Daten nur mäßig alarmierend: Hongkongs tägliche Infektionszahlen sind in etwa vergleichbar mit denen von Österreich. Beide Länder haben zudem ungefähr 1.500 aktive Fälle.
Allerdings leben die siebeneinhalb Millionen Hongkonger auf einem Achtzigstel der Fläche, verglichen mit den 8,8 Millionen Österreichern. Zudem kann sich das Virus in der Finanzmetropole aufgrund beengter Behausungen und voller U-Bahnen ungleich rascher ausbreiten.
Aus epidemiologischer Sicht ist die Verschiebung der Parlamentswahlen dennoch unbegründet. Sowohl in Südkorea als auch in der Mongolei und in Singapur wurden jüngst trotz Corona erfolgreich Wahlen abgehalten. Abstandsregeln, aufgeteilte Wahlzeiten für verschiedene Bevölkerungsgruppen und Desinfektionssprays haben sich als risikomindernde Maßnahmen in der Praxis bewährt.
Auch das prodemokratische Lager Hongkongs hatte erst vor kurzem demonstriert, dass Urnengänge auch ohne Gesundheitsrisiko möglich sind: Über 600.000 Hongkonger haben unter strengen Auflagen über die populärsten Kandidaten abgestimmt, der Großteil votierte online. Peking war jedoch auch diese inoffizielle Vorwahl ein Dorn im Auge. Die chinesische Staatsführung hat sie für unrechtmäßig erklärt und Vergeltung angedroht.
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