Wahl in Hamburg: Tschentscher verteidigt Erbhof
Seine Partei hat knapp 35 Prozent geholt und rund 5 Prozentpunkte verloren. Warum der SPD-Bürgermeister trotzdem eine starke Verhandlungsposition hat.

Zwar muss seine SPD laut 19-Uhr-Trend mit rund 34 Prozent Verluste von circa 5 Prozentpunkten hinnehmen. Aber da sein erklärter Wunsch-Koalitionspartner, die Grünen, ebenfalls verloren hat und auf das Niveau der CDU gesunken ist, wird er aus einer starken Position heraus agieren können. Die Grünen könnte das einen Senatorenposten kosten.
Tschentscher war 2018 als Nachfolger von Olaf Scholz (SPD) Bürgermeister geworden, nachdem dieser als Finanzminister in die Bundesregierung eingetreten war. Dass der damalige Finanzsenator das Amt übernahm, überraschte die meisten Beobachter. Ob sich Tschentscher zum Bürgermeister eignen würde, schien nicht ausgemacht.
Schon 2020 hatte die SPD eingebüßt
Bei der Wahl 2020 hatte die SPD mehr als sechs Prozentpunkte eingebüßt. Mit 39,2 Prozent hatte Tschentscher jedoch ein achtbares Ergebnis geholt – bei einem Rekordergebnis der Grünen mit 24,2 Prozent. Dabei war kurz vor der Bürgerschaftswahl ein Skandal hochgekocht, der Tschentscher über die ganze Legislaturperiode hinweg begleitete: Der Cum-Ex-Skandal über zu Unrecht erstattete Steuern und die Frage, inwiefern die Hamburger Senatsspitze – sprich der damalige Finanzsenator Tschentscher und der damalige Bürgermeister Olaf Scholz dabei der Warburg-Bank geholfen hatten. Der Ausschuss ging mit der Legislaturperiode mit Indizien für eine Einflussnahme ohne klares Ergebnis zu Ende.
Tschentscher, ein habilitierter Labormediziner mit trockener Art, gewann an Statur während der Coronapandemie, als er häufig in Talkshows zu Gast war, wo er Autorität als Arzt zur Geltung brachte. Wie sein ehemaliger Chef Scholz gilt er als akribischer Arbeiter, der Vorlagen nicht einfach durchwinkt, sondern lieber noch einmal selbst eingehend prüft.
Vor der Wahl hatte er deutlich zu verstehen gegeben, dass er eine Fortsetzung des Bündnisses mit den Grünen wünscht – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Schwarz-Grün drohe, sollten die Grünen zu stark werden. Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank hatte ihren Anspruch auf das Spitzenamt angemeldet, als die Aussichten für die Grünen noch rosig waren.
Tschentscher versucht die von ihm als notwendig begriffene Klimaschutzpolitik mit den Vorstellungen einer in Teilen konservativen Bevölkerung und den nachdrücklich vorgetragenen Ansprüchen der Wirtschaft zu versöhnen – der Anspruch einer Volkspartei, den die SPD in Hamburg erheben muss und kann. Schließlich hat sie hier die allerlängste Zeit nach dem Krieg die Bürgermeister gestellt.
Eine umstrittene Entscheidung
Das hieß für die Grünen, dass sie sich mit einer weiteren Elbvertiefung und dem Weiterbau der A26 durch das Hamburger Stadtgebiet abfinden mussten. Zugleich treibt der Senat aber die Wärmewende voran und den Ausbau der alternativen Verkehrsträger. Von seinem Vorgänger übernahm er das Ziel, 10.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. Die Zahl wurde in den Jahren 2018 bis 2020 erreicht. Danach brachen sie im Gefolge der Coronakrise und des Ukrainekriegs ein.
Zu den umstrittenen Entscheidungen von Tschentschers Amtszeit als Bürgermeister gehört die Beteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einem Hamburger Hafenterminal, die von vielen als sicherheitskritisch eingestuft wurde. Weitreichender noch ist der Teilverkauf des städtischen Hafenbetreibers HHLA an die weltgrößte Containerreederei MSC. Kritiker warnten vor der Marktmacht der Reederei und dass die Stadt von dem enorm finanzstarken Unternehmen an die Wand gedrückt werden könnte.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Krieg im Nahen Osten
Definitionsmacht eines Genozids
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza