Wahl in Berlin unter Coronabedingungen: Notfalls nur per Brief
Die Pandemie behindert die Vorbereitungen der Parteien auf die Wahl. Rot-Rot-Grün will das Wahlgesetz ändern und Hürden für kleine Parteien senken.
Die Möglichkeit der Briefwahl an sich ist ja nichts Neues. Die Zahl derer, die sie nutzen, steigt von Wahl zu Wahl, was allerdings nicht nur in den USA Debatten über die Folgen für das Ergebnis auslöst. Wer etwa zwei Wochen früher abstimmt, bekommt die heiße Phase des Wahlkampfs nicht mit und entscheidet eventuell auf Grundlage anderer Fakten anders.
Und da Wahlen das Herz der Demokratie sind, gilt: Möglichst alles sollte klar geregelt sein. „Das Verfahren muss rechtlich sauber und über jeden Verdacht erhaben sein“, erklärt SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier, der am Entwurf mitgearbeitet hat. „Wir müssen verhindern, dass Wahlen desavouiert werden.“ Michael Efler, demokratiepolitischer Sprecher der Linken, ergänzt: „Wir wollen das Wahlrecht pandemiefest machen.“
Die Auswirkungen der Pandemie beeinflussen das Wahlprozedere schon Monate vorher. Denn die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien müssen ihre Bezirks- oder Landeslisten aufstellen, während die nicht vertretenen Parteien Unterstützungsunterschriften sammeln müssen, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden.
Sven Kohlmeier (SPD)
Abstand halten, aber Stimmen sammeln
Letzteres ist schwierig in Zeiten, in denen man Abstand halten muss und Straßensammlungen schon mangels Masse kaum Ertrag bringen. Die FDP etwa hat die Sammlung für ihr erneutes Tempelhof-Volksbegehren daher unterbrochen. Parteitage finden aktuell, wenn überhaupt, nicht in der üblichen Form statt. Auch für diese Herausforderungen soll das überarbeitete Wahlgesetz Lösungen bieten.
„Die Lage ist für die kleinen Parteien besonders prekär“, sagt Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion. „Wir werden deshalb die Zahl der benötigten Unterstützerunterschriften senken.“ Angepeilt ist die Halbierung der derzeit vorgeschriebenen 2.200 Unterschriften für eine Landesliste und 185 Unterschriften für eine Bezirksliste.
ÖDP klagt gegen das Parlament
Das Parlament steht dabei unter Druck auch von außen. Der Landesverband der Ökologisch-Demokratischen Partei Deutschlands (ÖDP) hat vor wenigen Tagen beim Berliner Verfassungsgericht Klage gegen das Abgeordnetenhaus eingereicht. Dieses habe es unterlassen, „das Wahlrecht an die Coronalage anzupassen und die Hürden für eine Wahlteilnahme zu senken“, begründet dies die Partei.
Schließlich seien die BürgerInnen wegen der Pandemie aufgefordert, Kontakte dramatisch zu reduzieren und die Wohnung nur aus „triftigen Gründen“ zu verlassen. Die von der ÖDP geforderte Absenkung der Unterschriftenquoren sei jedoch nicht nur aus Gründen eines konsequenten Infektionsschutzes erforderlich, sondern auch unter dem Aspekt der Chancengleichheit der Parteien. In Baden-Württemberg hatte eine ähnliche Klage Erfolg.
Die geplante Änderung des Wahlgesetzes legt auch fest, dass die Parteien bei der KandidatInnenwahl für die Listen hybride Formate nutzen können, etwa eine Versammlung auf einem digitalen Kanal mit anschließender Briefwahl. Bisher sind Präsenzveranstaltungen vorgeschrieben. Die wären theoretisch sogar möglich, weil die Coronaverordnung Ausnahmen für Parteien vorsieht. Aber politisch und angesichts der Notwendigkeit großer Räume auch finanziell sind solche Treffen derzeit nahezu ausgeschlossen.
Das duale System aus virtuellen Treffen und realen Wahlgängen hatten SPD und Linke bereits praktiziert, die Grünen haben ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sogar rein digital gewählt. Aber das waren parteiinterne Entscheidungen. „Da wird vorher viel dafür getan, dass solche Entscheidungen parteiintern akzeptiert werden“, sagt SPD-Mann Kohlmeier. Wesener formuliert es so: „Als Partei kannst du alles Mögliche machen, das unterliegt nicht dem deutschen Wahlgesetz.“
Rein digital geht nicht, sagen die Grünen
Eine rein digitale Kür von KandidatInnen sieht der Gesetzentwurf hingegen nicht vor. „Wahlen müssen geheim, aber auch überprüfbar sein“, erläutert Daniel Wesener seine Bedenken. In Urnen geworfene Zettel könne man nachzählen. Müssten das im digitalen Zweifelsfall Computerfachmenschen, also etwa Systemadministratoren, übernehmen, wäre der Grundsatz der geheimen Wahl nicht mehr gegeben. Nach Einschätzung von Kohlmeier wäre in dieser Hinsicht rechtlich mehr möglich gewesen.
Bei Volksbegehren tut sich was
Immerhin in einem Bereich soll digitales Neuland betreten werden: Die für den ersten Schritt eines Volksbegehrens nötigen 20.000 Unterschriften könnten laut dem Entwurf künftig online gesammelt werden, wenn die Senatsinnenverwaltung dem zustimmt. Allerdings braucht es dafür eine entsprechende Plattform, die die (Datenschutz-)rechtlichen Anforderungen erfüllt.
Die Innenverwaltung von SPD-Senator Andreas Geisel hat dafür vom Abgeordnetenhaus Gelder bekommen. Und Sebastian Schlüsselburg, der den Entwurf federführend für die Linke betreut hat, sagt: „Ich gehe schon davon aus, dass eine solche Sammlung dieses Jahr möglich sein wird.“ Denn das Gesetz soll – erst einmal – auf dieses Jahr befristet sein.
In der Innenverwaltung bremst man so viel Euphorie. Zwar sei eine Voruntersuchung zur technischen und rechtlichen Machbarkeit von elektronischen Unterstützungsunterschriften bei Volksbegehren und -initiativen durchgeführt, sagt Sprecher Martin Pallgen. Doch: „Deren Ergebnisse müssen noch abschließend bewertet werden.“ Die rechtlichen Anforderungen daran seien hoch, „sodass jedenfalls eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode ausgeschlossen ist“.
Einige Details des Entwurfs waren vor allem zwischen Grünen und SPD heftig umstritten; nach taz-Informationen hat sich die Koalition aber inzwischen geeinigt. Am Wochenende sollen sich nun auch FDP und CDU dazu äußern. „Angesichts der Bedeutung des Wahlrechts ist ein breitestmöglicher Konsens unter demokratischen Parteien sinnvoll“, sagt Wesener. Kommende Woche soll er im Plenum des Abgeordnetenhauses eingebracht und, so hofft Wesener, bis Ende Februar verabschiedet werden.
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