Wahl des Baschkans von Gagausien: Wahlkampf mit deutscher Hilfe
In Moldaus Süden wird Sonntag der Regierungschef gewählt. Prorussicher Kandidat wird von deutscher NGO unterstützt.
In Gagausien leben vor allem Angehörige der Minderheit der Gagaus*innen, einem Turkvolk. Gagausien untersteht moldauischer Gesetzgebung, verfügt jedoch über weitgehende Selbstbestimmungsrechte und ein eigenes Parlament. Amtssprachen sind Gagausisch, Russisch und „Moldawisch“, de facto läuft die Alltagskommunikation aber auf Russisch ab.
Anfang März veröffentlichte Petrov ein Video gemeinsam mit der von ihm selbst ins Leben gerufenen Hilfsorganisation Nationaler Antikrisenstab (Nasch), in dem er einem Krankenhaus in der Stadt Vulcanesti Hilfsgüter übergibt. Man sieht, dass die Kisten auf Deutsch beschriftet sind. Die Aktion habe nämlich, so Petrov in seinem Facebook-Post, in Zusammenarbeit mit Helping Hands e. V. stattgefunden.
Dabei handelt es sich um einen Verein aus der niedersächsischen Kleinstadt Lathen. Ein Blick in Petrovs Profil und Telegram-Kanal verrät, dass es sich hierbei keineswegs um einen Einzelfall handelt: Immer wieder taucht Helping Hands e. V. in Petrovs Posts und seiner Hilfsorganisation Nasch auf. Kurz nach der Video-Aktion im Krankenhaus gab Petrov offiziell bekannt, dass er zur Wahl des „Baschkans“ antreten werde.
Freiwillige Helfer verteilen Lebensmittel und Hygieneartikel
Petrov erlangte erst durch die Gründung der Hilfsorganisation vor drei Jahren während der Coronapandemie Bekanntheit in Gagausien – davor war er laut eigenen Angaben im Tourismussektor tätig. Nasch kooperiert regelmäßig mit der russischen Botschaft und verschiedenen russischen Organisationen in Moldau. Freiwillige Helfer von Nasch verteilen regelmäßig Lebensmittel und Hygieneartikel an bedürftige Menschen, auch ein kostenloser Minibus-Service wurde für Alte und Kranke eingerichtet.
Bei den gagausischen Parlamentswahlen 2021 bekam Petrov einen Sitz als Abgeordneter des gagausischen Parlaments in Comrat. Im Juli 2022 gründete er eine eigene Bewegung, die sogenannte Volksunion von Gagausien (Gagauz Halk Birlii). „Die Entwicklung guter Beziehungen zu den historischen Freunden des gagausischen Volkes – Russland und anderen Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion“, so lautet eine der Leitlinien der Bewegung.
In seinem Wahlkampf ist er darum bemüht, mit einer prorussischen Rhetorik Stimmen zu gewinnen. Traditionell stimmt man in Gagausien für Kandidat*innen, die von Russland unterstützt werden. So reiste Petrov am 14. März demonstrativ nach Russland, um Rustam Minnichanow, den Präsidenten der zu Russland gehörenden Republik Tatarstan, zu treffen. Tatar*innen und Gagaus*innen verbindet ihre Identität als Turkvolk – die symbolische Botschaft des Treffens: Wir postsowjetischen Turkvölker kooperieren miteinander und bleiben dabei vor allem Russland treu. In den letzten Wochen bereiste Petrov vor allem gagausische Dörfer.
Prorusssische Medienoffensive
Ein prorussischer Kurs wird auch durch bestimmte Medien in Moldau bekräftigt. So hat sich Nasch nicht nur der wohltätigen Arbeit verschrieben, sondern agiert ebenfalls im Medienbereich. Die Domain der Website gagauznews.md ist auf Nasch registriert – und auch unmittelbar mit Petrov verbunden. Vor allem im aktuellen Wahlkampf mehren sich vermeintliche „Nachrichtenmeldungen“, die Petrov als idealen Kandidaten für das Amt des Baschkans anpreisen.
Am dritten Tag nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 sperrte der moldauische Informations- und Sicherheitsdienst (ISS) die Seite gagauznews.md wegen Hass-Informationen im Rahmen des Ausnahmezustands im Land. Trotz Sperrung arbeitet GagauzNews weiterhin unter einer anderen Domain, gagauznews.com – und ist auch in sozialen Netzwerken zu finden. Der russische Präsident Wladimir Putin wird von GagauzNews als „der beste Leader unserer Zeit“ (7. Oktober. 2022) bezeichnet.
Beim GagauzNews-Redakteur Nikolai Kostyrkin fand im Juni 2022 eine Hausdurchsuchung statt. Er wurde verdächtigt, regelmäßig Propagandamaterial zu verbreiten, welches die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine rechtfertigt. Kostyrkin unterhält auch einen eigenen Telegram-Kanal: „Nikolai Kostyrkin – Z – Bessarabischer Russe“.
„Ist es denn schlimm?“
Eine an Helping Hands e. V. schriftlich gerichtete Anfrage blieb unbeantwortet, doch das Vorstandsmitglied Svetlana Keller konnte telefonisch erreicht werden. Auf die Frage hin, ob ihr bekannt sei, dass Helping Hands e. V. mit ihrer Hilfe einen prorussischen moldauischen Politiker beim Wahlkampf unterstütze, erwiderte Keller: „Ist es denn schlimm, dass er ein prorussischer Politiker ist?“
Man helfe „beiden Seiten“, auch in die Ukraine würden Hilfsgüter geliefert. Man wisse bei Helping Hands e. V. durchaus, wer Petrov sei und wofür er stehe. Die Kooperation mit Nasch wurde jedoch für die Zeit des Wahlkampfs pausiert, so Keller. Die Idee für eine Kooperation stamme von ihr persönlich: Victor Petrov habe sie in einem sozialen Netzwerk gefunden und ihn privat kontaktiert.
Die beschriebene Kooperationspause im Wahlkampf entspricht allerdings bei genauerem Hinschauen nicht der Wahrheit: Die am 20. Februar gelieferten 10 Tonnen Hilfsgüter scheinen nämlich nach wie vor in „wohltätigen Aktionen“ von Nasch im Rahmen von Petrovs Wahlkampf verteilt zu werden, so auch jüngst am 21. März Schulmöbel. Nasch versucht dies aber allem Anschein nach zu verschleiern: Im Post zur Aktion auf Victor Petrovs Telegram-Kanal heißt es im Wortlaut, die Schulmöbel seien von Nasch „käuflich erworben“ worden.
Ohnehin schon angespannte Gesamtlage
Am 17. April kündigte GagauzNews kurzfristig – noch für denselben Tag – eine außergewöhnliche Veranstaltung in Comrat an: „den ersten internationalen Kongress der Völkerdiplomatie, ‚Völkerfreundschaft 2023‘“, der prorussische Politiker, russische Diplomaten und russische Organisationen zusammenbrachte. Im Mittelpunkt stand einmal mehr Petrov. Nicht teilnehmen durfte der tatarische Regierungschef Minnichanow, den Petrov noch in Russland besucht hatte. Von den moldauischen Behörden wurde ihm die Einreise ins Land untersagt. Daraus machte GagauzNews einen Skandal.
Die Wahlen in Gagausien stellen eine Zuspitzung einer ohnehin schon angespannten Gesamtlage Moldaus dar. Zwischen Moldau und der Ukraine befindet sich der unter russischem Einfluss stehende De-facto-Staat Transnistrien, in dem nach wie vor russische Truppen stationiert sind. Immer wieder wurden Befürchtungen geäußert, Moldau könne das nächste Opfer des russischen Imperialismus werden und bei erfolgreichem Vordringen der russischen Offensive bis nach Transnistrien der Krieg auf Moldau überschwappen.
Das kleine osteuropäische Land leidet wirtschaftlich sehr unter dem russischen Angriffskrieg, die Inflation erreichte letzten Sommer ein Maximum von 34 Prozent. Prorussische Politiker*innen nutzen diese Lage aus, um Wut in der Bevölkerung auf die proeuropäische Politik der Präsidentin Maia Sandus zu schüren – und zugleich politisch kremlnahe Ziele zu verfolgen.
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