Wagner-Festspiele in Bayreuth: Hacke-Richard
Wagner ist kompliziert, Wagner ist lang. In Zeiten von Spotify und YouTube vielleicht sogar zu lang. Wie geht das in unserer schnelllebigen Zeit?
Deutsche Oper Berlin, Parsifal hat gerade den Speer zurückgebracht, die Oper ist vorbei. Das Publikum rauscht zur Garderobe, die U-Bahn wird gleich überfüllt sein. Ein junges Pärchen jedoch bleibt in diesem Tumult stehen. „Das war dann doch ein bisschen viel“, gibt sie zu. Mit Anfang zwanzig war es ihre erste Wagneroper. Ihr Freund ist angetaner: „Das war ja schon total sakral, hatte zwischendurch Gänsehaut.“
Beide wollen sie die „besten Teile“ von Parsifal unbedingt noch mal hören. Mit einem digitalen Streamingdienst für Musik. Wagner zerstückeln – ja dürfen die denn das?
Wagner, das ist Gesamtkunstwerk. Text, Musik, Bühne, Schauspiel, Leitmotivik, Bayreuth, irgendwie elitär. Dazu tritt dann auch noch die problematische Person Wagner. Der propagandistische Einsatz der Musik zur NS-Zeit. Wagner ist überladen. Kann so was überhaupt in eine MP3-Playlist passen?
Direkt neben der Wohnung von Wagnerhörerin Angela Merkel liegt das Musikwissenschaftliche Institut der Humboldt Universität. Dritter Stock. Christian Schaper ist Dozent für Historische Musikwissenschaft und forscht viel zu Wagner. Also nun, dürfen die das eigentlich, Wagner so zerstückeln?
Seine „Hits“ sind konkurrenzfähig
„Wagner hat sich noch nie gut für Medien geeignet“, meint er. Schon die ersten Aufnahmen, auf Schellack gepresst, seien ein Hodgepodge aus verschiedenen Aufnahmen gewesen. Und dann mussten die Hörer auch noch nach vier Minuten die Seite wechseln. „Wagner trackweise zu hören ist möglich. Seine „Hits“ sind eindeutig konkurrenzfähig. Das sieht man ja auch an den Aufrufzahlen dieser Onlinedienste.“
Die Wagner-Festspiele 2017 beginnen am Dienstag, dem 25. Juli im Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuth. Sie dauern bis zum 28. August. Den Spielplan gibt's hier.
Übrigens habe Wagner selbst damals schon seine Werke zerstückelt. Um Werbung zu machen, habe er einzelne Teile seiner Opern vorab in Konzerten aufs Programm gesetzt. Singleauskoppelungen funktionieren kaum anders.
Waltraud Meier – weltbekannte Wagnersängerin – sitzt an einem langen Tisch vor einem langen Tag voller Proben für ihre letzte Interpretation der Kundry im „Parsifal“ in der Staatsoper Berlin.
„Ich habe mich noch nie in meinem Leben mit Kopfhörern zu Hause hingesetzt und eine Wagneroper von Anfang bis Ende angehört“, sagt sie. Vielmehr habe sie schon zu Beginn ihrer Karriere gerne Wagner einem Remix unterzogen. In den 80er Jahren, als sie noch fest in Dortmund engagiert war, saß sie oft für viele Stunden im Auto. Also einfach eine Oper komplett durchhören? „Nein. Ich hatte damals Kassetten voll mit Vorspielen, Nachspielen und Umbaumusiken von Wagner.“ Also orchestrale Musik ohne Gesang, für sechs Stunden im Auto.
Der Wurm in den Eingeweiden
„Wagner geht, wie die Amerikaner so schön sagen ,in the guts'.“ Ob sie Wagnerohrwürmer kennt? „Furchtbar, habe ich andauernd“, bricht es aus ihr heraus.
Wie sie Neulingen Wagner näherbringen würde? „Ich müsste erst mal sehen, was für einen Menschen ich da vor mir habe.“ Sie könne sich vorstellen, jemanden das Vorspiel von „Tristan und Isolde“ anhören zu lassen. „Dann würde ich sagen, dass sich diese Musik doch anfühlt wie ein Schiff. Du hörst einfach diese Wellen. Dann steigert sich das bis zu einem Höhepunkt – der aber doch noch gar keiner ist. Es liegt also etwas sehr Erotisches in dieser Musik.“ Für Waltraud Meier kommt es immer auf den einzelnen Menschen an. Wichtig sei es nur, Wagneranfänger bei ihrem Hören zu begleiten.
Waltraud Maier, Wagnersängerin
Das kann auch der Musikwissenschaftler Christian Schaper bestätigen. „Es herrscht medialer Overkill! Alles ist jederzeit online verfügbar – auch Wagner.“ Da sei es wichtig, dass die geneigten Hörer eingeführt würden. Etwa durch diese Ohrwürmer. „Damit rechnet man bei Wagner erst mal nicht. Wagner ist bekannt für die unendliche Melodie, es gibt keine Grenzen.“ Doch denke man etwa an die Radeberger-Werbung, die den „Einzug der Gäste“ aus dem „Tannhäuser“ benutzte, würde schnell deutlich, dass sich Wagner dafür doch eignet.
Und dann ist da noch die Leitmotivik. „Es ging Wagner darum, Wiedererkennbares zu gestalten.“ Die Leitmotive tauchen immer wieder auf. Es sind Melodien, die sich verändern, transformieren, ineinander verschränken. Das kann ein wunderbarer Zugang sein. Wie etwa der „Liebestod“, das Ende von „Tristan und Isolde“. In diesen sieben Minuten Musik stecken viele der Melodien, die auch schon in den 240 Minuten vorher oft auftauchten. Hört man das Ende zuerst, kann dies den Hörern das komplette Werk aufschlüsseln. Den Liebestod gibt es derweil in zig Inszenierungen auf YouTube, man muss nur eine Internetleitung haben und draufklicken.
Mit dem Liebestod fängt alles an
Nikolai Schukoff, bekannt etwa durch Interpretationen des Parsifal oder des Siegmund aus „Die Walküre“, sitzt in einem Haus im Südwesten Frankreichs. „Mein Steinhaufen“ nennt er es. Internet gibt es hier keines. „Wenn ich Wagner singe, stellt sich direkt so was wie ein Gottesdienstgefühl ein. Es ist ein Zelebrieren für mich.“ Dieses Zelebrieren ist aber selten bequem – ganz wie ein Gottesdienst eben. „Meine erste Erfahrung mit Wagner war in der Oper, das war Siegfried.“ Doch nicht gemütlich im Sessel saß er, als er mit um die 20 Jahre zum ersten Mal Wagner hörte. „Ich hatte einen Stehplatz. Und trotzdem war ich gepackt.“ Er ist sich nicht sicher, ob die Länge von Wagner wirklich ein Problem für heutige Zeiten ist. Eher im Gegenteil: „Filme, Videospiele, all diese Medien werden immer länger und umfangreicher. Warum sollte da dann eine lange Oper nicht gehen?“
Apropos Videospiele. Nicht nur arbeiten viele Spielesoundtracks mit Leitmotivik. Ein Rollenspiel wie Fallout 4 bietet den Spielern sogar an, ein Radio einzuschalten. Der „Walkürenritt“ ertönt. In die apokalyptische Welt des Spiels passt das ausgezeichnet.
In YouTube-Kommentaren schreiben einige Spieler dann, dass sie dieses Spiel hierhergebracht habe. Gleich darauf spielt YouTube automatisch weitere Stücke von Wagner ab. Ein computergesteuerter Remix.
Wenzel U. Vöcks, Musiktheaterpädagoge, bereitet in Workshops Besucher auf die Oper vor. Rentnergruppen genauso wie Schulklassen. „Zwischen Wagner und anderen Komponisten mache ich keinen Unterschied.“ Zwar würden sich auch schon mal Wagnerexperten in diese Workshops schleichen. Doch meist habe er es mit breitem Publikum zu tun. „Wir improvisieren viel. Die Teilnehmer sollen sich in die Charaktere der Opern einfühlen. Kostüme zurechtlegen, Biografien schreiben, dann Kernszenen darstellend präsentieren.“
Wagner geht auch to go
Ein sehr lebendiger Zugriff auf Wagner also. „Das funktioniert aber. Die Teilnehmer verstehen die Opern danach oft besser. Und sie gefallen ihnen auch.“ Selbst Schülern aus der zehnten Klasse habe er so schon Wagner näherbringen können. Er selbst habe sein erstes Wagnererlebnis als Zehnjähriger im Chor gehabt, in „Meistersinger“. „Ein Schlüsselerlebnis, dadurch habe ich so richtig den Zugang zur Oper gefunden.“ Das war vor zwanzig Jahren.
Wagnergala an der Staatsoper Berlin. Waltraud Meier, Nikolai Schukoff und andere Sänger und Sängerinnen singen an diesem Abend bekannte Ausschnitte aus Wagners Werken. Ein Best-of, kann man sagen. Auch an diesem Abend funktioniert Wagner: in Stücken.
In allen diesen Formen scheint Wagner vermittelbar. Es geht also darum, den eigenen Weg zu finden. Ob eine Woche in Bayreuth, um den kompletten „Ring des Nibelungen“ zu sehen, oder in der U-Bahn, mit Kopfhörern, Siegfrieds Trauermarsch zu hören. Solang ein Gefühl da ist, ist es gut. „Da traf mich sein Blick“, heißt es in Parsifal. Bei denen, die sich an Wagner herantrauen, heißt es irgendwann: „Da traf mich seine Musik.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen