Wagenknecht will Sammlungsbewegung: Die Linke hat keine Lust
Fraktionschefin Sahra Wagenknecht denkt über „etwas Neues“ nach: jenseits ihrer Partei. Linken-Kollegen watschen die Idee kräftig ab.
Immerhin: Zu den Gräbern von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg schafften sie es noch gemeinsam. Doch viele Worte wechselten Sahra Wagenknecht und Katja Kipping auf ihrem Gang zur Berliner Gedenkstätte der Sozialisten nicht. Was nicht allein daran lag, dass es ein stilles Gedenken an die vor 99 Jahren ermordeten Ikonen der Arbeiterbewegung sein sollte, zu dem sich die Linkspartei wie üblich am zweiten Januarsonntag zusammengefunden hatte. Unmittelbar nach der obligatorischen Kränzeniederlegung trennten sich schnell wieder ihre Wege.
Das Verhältnis der Fraktionsvorsitzenden und der Parteichefin ist schon länger angeschlagen. Nun ist es einer neuen heftigen Belastungsprobe ausgesetzt. Denn via Spiegel hat Wagenknecht für „etwas Neues“ plädiert, das an die Stelle der Linkspartei treten könne: „eine starke linke Volkspartei“. Damit greift sie eine Idee ihres Mannes Oskar Lafontaine auf, der schon seit Wochen, zum Unmut der Parteispitze, für eine „linke Sammlungsbewegung“ trommelt, aus Linken, Grünen und SPDlern. Als Vorbild bezeichnete er die „Bewegung“ La France insoumise des französischen Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon.
Kipping hält das für eine Schnapsidee. „Erfolgreiche Neugründungen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen“, kommentierte Kipping beim politischen Jahresauftakt der Partei am Samstag in Berlin den Vorstoß Wagenknechts.
Auch von ihrem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger kommt eine schroffe Absage: Wer auf eine „irgendwie geartete Sammlungsbewegung“ setze, laufe „Gefahr, dass die Linke geschwächt wird“. Zudem sei die Linkspartei doch bereits „eine durchaus erfolgreiche Sammlungsbewegung, die Potenzial hat, weiter zu wachsen und stärker zu werden“. Sein Fazit: „Statt zu sammeln, was derzeit nicht gesammelt werden will, sollten wir doch gemeinsam daran arbeiten, die Linke zu stärken.“
Wagenknecht hörte nicht die Signale
Wagenknecht hörte die Worte der beiden nicht. Sie konzentrierte sich lieber auf den erstmalig ohne Beteiligung der Parteispitze organisierten Jahresauftakt der Bundestagsfraktion am Sonntagnachmittag – zu dem zwar Mélenchon eingeladen war, aber nicht Kipping und Riexinger.
Gregor Gysi
Kein Wunder, dass der Andrang zu dem Event im ehemaligen Berliner Kino „Kosmos“ groß war. Etliche Interessierte fanden keinen Platz mehr. Unter denen, die es hineinschafften, war auch Egon Krenz, der frühere SED-Generalsekretär. Was er von der Idee einer neuen „linken Sammlungsbewegung“ hält? „Davon habe ich noch gar nichts mitbekommen“, sagte der 80-Jährige der taz. Aber von Wagenknecht kämen „ja immer ganz kluge Ideen“.
Das sehen viele in der Linkspartei anders. Mit ihren Positionen zur Flüchtlingspolitik und zu Europa hat die Politdiva sowohl auf dem rechten als auch auf dem linken Parteiflügel für Irritationen gesorgt. Nun also auch noch eine Spaltung der Linkspartei zugunsten einer „Liste Wagenknecht“?
So weit ist es noch nicht. Befürchtungen, das Event am Sonntag könne von Wagenknecht und Lafontaine zum Startschuss für ihre „Sammlungsbewegung“ genutzt werden, erfüllten sich nicht. „Die Linke darf sich nicht weiter zersplittern“, gab sich Lafontaine versöhnlich. Dass er überraschend gemeinsam mit Gregor Gysi auftrat, kann ebenfalls als Zeichen gewertet werden, nicht weiter eskalieren zu wollen.
Partei stärken statt spalten
Das dürfte auch der Stimmung an der Parteibasis geschuldet sein, die gerade im Osten überhaupt nicht positiv auf die Ideen von Lafontaine und seiner Frau reagierte. Wie die Stimmung ist, demonstrierte das Publikum im „Kosmos“. Mit großem Beifall bedachte es Dietmar Bartsch, der ungewohnt deutlich Position bezog. „Wir brauchen im Moment keine unrealistischen Konstellationsdebatten“, rief er geradezu kämpferisch zur Eröffnung in den Saal. „Wir brauchen keine neuen Parteien.“ Nicht minder laut fiel der Applaus aus, als Gregor Gysi ins Auditorium rief: „Die Linke braucht vieles, aber keine neue Partei.“
Und Wagenknecht? Die sprach als Letzte am späten Nachmittag im „Kosmos“, als sich bereits die Reihen gelichtet hatten. Der Vorwurf, sie wolle spalten, bezeichnete sie als „ grotesk“ und „abenteuerlich“. Es gehe ihr vielmehr nur darum, die Linkspartei „zu stärken“ und „größer zu werden“. Aber was das genau heißt, blieb nebulös. Der Streit in der Linkspartei wird weitergehen.
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