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Waffenruhe im LibanonDie Hoffnung auf Frieden

Die Menschen im Libanon atmen auf. Ob die aus Nordisrael Evakuierten zurückkehren können, wird sich zeigen. Doch die Ruhe könnte trügen.

Nach der Waffenruhe: Straßenszene am 27. November in der libanesischen Stadt Tyre Foto: Adnan Abidi/reuters

Berlin taz | Am 27. September starb Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah in einer Bunkeranlage im Herzen der südlichen Vorstädte Beiruts. Damit begann der Krieg in der libanesischen Hauptstadt – nach einem Jahr des limitierten gegenseitigen Beschusses von Hisbollah und Israel – mit voller Wucht. Genau zwei Monate später, am 27. November, trat um 4 Uhr morgens ein Waffenstillstand zwischen den beiden Kriegsparteien in Kraft, ausgehandelt von den Vereinigten Staaten.

Bis kurz vor dessen Beginn hielten die gegenseitigen Angriffe jedoch an und betrafen in Beirut auch Viertel, die zuvor nicht getroffen worden waren. In der Nacht erhielt ich Nachrichten von Kontakten, die nun betroffen waren. Die letzte Evakuierungsaufforderung, die das israelische Militär veröffentlichte, betraf unter anderem ein Gebäude in unmittelbarer Nähe. „Genau 500 Meter von uns entfernt“, lautete die Nachricht.

Das Militär warnte die Bevölkerung, sich mindestens in diesem Radius um die betroffenen Gebäude zu entfernen. Meine Kontakte blieben und warteten. Um 3.28 Uhr libanesischer Zeit – 32 Minuten bevor die Waffenruhe in Kraft trat – bekam ich die letzte Nachricht der Nacht: „Noch eine Explosion.“ Danach ist es vorbei, der Krieg zu Ende – zumindest vorerst. Zwischen September und November 2024 ist viel passiert: Israels Bodenoffensive in den Südlibanon begann. Die Hisbollah feuerte immer mehr Raketen immer tiefer in israelisches Gebiet hinein; begonnen hatte ihr Raketenbeschuss bereits am 8. Oktober 2023. Donald Trump wurde zum Präsidenten der USA gewählt. Der Internationale Strafgerichtshof stellte Haftbefehle gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Joav Galant aus. Die Offensive – man könnte auch sagen Belagerung – des israelischen Militärs in Nordgaza begann. All diese Entwicklungen könnten maßgeblich dazu beigetragen haben, dass jetzt die Waffen ruhen.

Denn beide Parteien haben ihre jeweiligen Ziele nicht erreicht. Trotz täglichen Beschusses der Hisbollah auf Israel, die immer wieder betonte, ihre Offensive diene der Unterstützung der Hamas im Gazastreifen und dem Erreichen eines Waffenstillstandes dort, gibt es weiterhin kein solches Abkommen für Gaza. Im Gegenteil, viele Medien berichten nach Analyse von Satellitenbildern, dass das israelische Militär seine Infrastruktur dort ausbaue, möglicherweise dauerhaft. Israel kontrolliert weiterhin den Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten. Nordgaza gleicht – auch das zeigen Analysen – immer mehr einem Trümmerfeld. Dass wochenlang keine Hilfsgüter Nordgaza erreichten, die verbliebenen Bewohner des gesamten Gebietes zur Flucht in den Süden aufgerufen wurden, erregte international scharfe Kritik. Israel hat sich von der Hisbollah nicht erpressen lassen.

Weiter Furcht um Nordisrael

Während Israel die Führungsriege der Hisbollah dezimiert hat und der neue Anführer Naim Kassem vorsichtshalber wohl gleich ins iranische Teheran ausgewandert ist, kann aber auch die israelische Regierung kaum von Erfolg sprechen. Zwar hat Israel die Waffen- und Munitionsvorräte der Hisbollah reduziert und deren Infrastruktur in Südbeirut und dem Südlibanon massiv beschädigt. Doch das Kriegsziel, dass die aus Nordisrael evakuierten circa 60.000 Menschen in ihre Heimat zurückkehren können, scheint nicht erreicht. Auch am letzten Tag vor der Waffenruhe fliegen die Hisbollah-Raketen gen Süden. Dass die Sicherheitsverantwortlichen in Nordisrael weiter um die Region fürchten, machten sie Benjamin Netanjahu noch vor Eintreten der Waffenruhe unmissverständlich klar.

Die Rechnung der Hisbollah, dass Israel nicht zugleich in Gaza und an der Grenze zum Libanon mit voller Stärke kämpfen kann und deswegen irgendwann eine der beiden Fronten befrieden muss, könnte zumindest temporär aufgegangen sein. Dazu kommt, dass Israel mit seinem harten Vorgehen international zunehmend unter Druck gerät, selbst vonseiten der USA. Diese halten, so berichten die israelischen Ynet News, etwa gepanzerte Bulldozer zurück, die Israel zur Zerstörung von Gebäuden in Gaza nutzt.

Man müsse „die Vorräte“ auffüllen, erklärte Netanjahu in seiner Rede unmittelbar nach der Zustimmung zum Waffenruheabkommen. Es sei kein Geheimnis, dass es Verzögerungen bei der Lieferung von Waffen und Munition gebe. Doch man werde bald Lieferungen moderner Waffen erhalten, die „uns mehr Schlagkraft geben, unsere Mission zu vollenden“.

Beide Parteien machen mit der Zustimmung zum Abkommen Konzessionen. Sechzig Tage lang sollen die Waffen schweigen, Israel seine Stellungen im Libanon verlassen, die Hisbollah sich hinter den Litani-Fluss zurückziehen, der quer durch den Südlibanon 10 bis 30 Kilometer von der Grenze entfernt verläuft.

Ein schwammiges Abkommen

Das emiratische Medium The National hat den Text des Abkommens veröffentlicht. Es liest sich wie eine kommentierte Neuauflage der UN-Sicherheitsresolution 1701 aus dem Jahr 2006, auf die sich das Abkommen auch bezieht. Die Resolution beendete damals den Krieg zwischen der Hisbollah und Israel: Rückzug der Hisbollah hinter den Litani, Entwaffnung aller bewaffneter Gruppen außer der staatlichen libanesischen Sicherheitskräfte. Umgesetzt wurde sie nie.

Die wohl größte Neuerung des heutigen Abkommens ist ein Komitee von nun fünf Parteien, darunter Frankreich und die USA, das seine Einhaltung beobachtet. Daneben bleiben jedoch Fragen offen. So soll etwa die libanesische Regierung ihre Armee instruieren, alle „un­autorisierten“ Stellungen südlich des Litani zu zerstören und „unautorisierte Waffen“ zu konfiszieren. Die Hisbollah ist aber mit zwei Ministern und vielen Verbündeten Teil der Regierung.

Auch was passieren soll, wenn eine der Parteien das Abkommen verletzt, bleibt schwammig. Das Fünf-Parteien-Komitee soll dann – so steht es in schönster Beamtensprache geschrieben – „geeignete Verfahren für Konsultationen, Inspektionen, der Sammlung von Informationen und der Unterstützung bei der Durchsetzung dieser Verpflichtungen entwickeln“. Bis dahin könnte der Krieg längst wieder ausgebrochen sein.

Dass man beim kleinsten Verstoß gegen das Abkommen – etwa, wenn der Libanon die Lieferung von Waffen an die Hisbollah nicht unterbindet – angreifen werde, betonte Netanjahu mehrfach. Schüsse sollen laut Berichten in den sozialen Medien bereits am Tag des Inkrafttretens gefallen sein, als sich eine Gruppe in den Südlibanon Zurückkehrender den dort noch stationierten israelischen Truppen näherte. Tags darauf berichten libanesische Medien von einem israelischen Drohnenangriff im Südlibanon. Umgekehrt hat das israelische Militär mehrere Zwischenfälle von libanesischer Seite gemeldet.

Zur Halbzeit kommt Trump ins Amt

Offiziell hält die Waffenruhe trotzdem. Nicht, weil das Abkommen so präzise und stark ist, nicht, weil beide Seiten ein ernsthaftes Interesse an einem Frieden haben, und auch nicht, weil irgendwer erreicht hat, was er wollte. Sondern, weil alle auf den Faktor Zeit setzen. Wie hätte der Krieg an diesem Punkt auch weitergehen sollen? Teils schoss die Hisbollah an einem Tag 300 Raketen auf Israel, dessen Abwehrsysteme überwältigte sie damit dennoch nicht in einem spürbaren Maß. Israel rückte im Südlibanon zwar langsam voran, verlor dabei jedoch mehr und mehr Soldaten und internationale Unterstützung.

Etwa zur Halbzeit der sechzig­tägigen Waffenruhe wird Donald Trump sein Amt als Präsident antreten. Er verlegte einst die US-amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und gilt als ein Unterstützer Israels, der noch weniger Bedingungen stellt, als es die Regierung unter Joe Biden tat. Nicht unter Trump, sondern unter Biden zu verhandeln könnte ein Motivationsfaktor für die Hisbollah gewesen sein. Manche Libanesinnen und Libanesen befürchten: Wenn Trump ins Amt kommt und die Waffenlager aufgefüllt sind, könnte Israel sein Kriegsziel erneut aufgreifen, ohne dabei weiter auf ein wackliges Abkommen vertrauen zu müssen.

Der Iran wiederum könnte sich auf die Anreicherung seines Urans, die Sicherung seiner Atomanlagen und anderer Infrastruktur gegen mögliche Aktio­nen Israels konzentrieren wollen – denn als wichtigen Grund für das Abkommen erklärte Netanjahu, dass man sich auf den Iran als Bedrohung fokussieren wolle. Mit dem Umzug ihres Anführers Kassem nach Teheran dürften die Interessen von Hisbollah und Iran noch stärker verschmolzen sein.

Am Morgen des 27. November, nach einer durchwachten Nacht, können die Menschen in Beirut endlich schlafen gehen. Viele freuen sich, viele können es nicht. Auch in Israel herrscht vor allem Ernüchterung. Wird die Waffenruhe halten? Vielleicht. Ist der Krieg beendet? Nein, nur vertagt.

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