Wähler in Mecklenburg-Vorpommern: Ist die AfD die neue Arbeiterpartei?
Wähler aus allen Schichten haben für die AfD gestimmt. Allerdings: Keine andere Partei hat so viele Stimmen von Arbeitern bekommen wie sie.
Auf Usedom mag es im Sommer viele Urlauber geben, doch Ausländer, Asylbewerber gar, sind wie fast überall in Mecklenburg-Vorpommern selten. Wieso, fragten sich Politiker, hat das Flüchtlingsthema die Wahlen so stark dominiert – wo es doch im Nordosten kaum Geflüchtete gibt? Aber Ausländerfeindlichkeit funktioniert auch ohne Ausländer, erklären Experten wie der Mainzer Politikprofessor Jürgen Falter: „Diese Wähler benötigen gar keine Konfrontation mit ihrem Feindbild. Sie müssen nur unterstellen, dass es zu einer Konfrontation kommen könnte.“
Falter, kennt dieses Phänomen gut. Er hat schon über die Wähler der NSDAP in der Weimarer Republik gearbeitet. Damals erzielte die Nazi-Partei gerade dort besondere Erfolge, wo Juden, ihr Feindbild, kaum vertreten waren. Dazu gehörte etwa Ostfriesland.
Ein direkter Vergleich von NSDAP und AfD wäre freilich unangemessen und ahistorisch. Dennoch lassen sich erstaunliche Parallelen finden: Als Feindbild fungiert bei den Wählern der Rechtspopulisten nicht „der Jude“, sondern „der Islam“. 75 Prozent der AfD-Anhänger sehen im Islam eine Gefahr für Deutschland, so das Ergebnis der Analyse von infratest-dimap über das Wahlergebnis. 86 Prozent stimmen der Aussage zu, dass „die Zahl der Flüchtlinge mir Angst macht“. Glatte 100 Prozent sind der Meinung, die Zahl der Flüchtlinge müsse begrenzt werden. Das Flüchtlingsthema war für 54 Prozent der AfD-Wähler entscheidend, gefolgt von sozialer Gerechtigkeit mit 48 Prozent.
Empfohlener externer Inhalt
Neid auf die angeblich so reichen Juden gilt in der Wissenschaft als eines der prägenden Motive für den Antisemitismus. Dieses Feindbild haben viele AfD-Wähler offenbar umstandslos auf Flüchtlinge übertragen. Die Behauptung, für Flüchtlinge werde „mehr getan als für Einheimische“ ist zwar barer Unsinn, aber 83 Prozent der AfD-Wähler stimmen ihr zu.
Mehr Arbeiter als bei allen anderen
Zu den wichtigsten Ergebnissen von Falters Forschungen zählt die Tatsache, dass die NSDAP seinerzeit von viel mehr Arbeitern gewählt worden war als bis dahin angenommen. Im Fall der AfD heißt es oft, sie werde vor allem von Modernisierungsverlierern und Arbeitslosen bevorzugt. Nach den Analysen von infratest-dimap trifft das zwar zu, ist aber nur die halbe Wahrheit: Der Arbeiteranteil unter den AfD-Wählern ist demnach mit 33 Prozent so hoch wie bei keiner anderen Partei, und bei den Arbeitslosen beträgt er satte 29 Prozent.
Der Stimmenanteil von Arbeitern bei der Linken beträgt dagegen nur zehn Prozent.
Rechte Idyllen in Meck-Pomm
Ein geringes Bildungsniveau haben 28 Prozent der AfD-Wähler. Aus dieser Bildungsschicht stimmten 31 Prozent für die SPD. Schließlich fällt der hohe Anteil der Männer unter den Wählern auf. Nur 16 Prozent der Frauen machten bei der AfD ihr Kreuzchen, aber 25 Prozent aller Männer.
Entwickelt sich die AfD also zur neuen Arbeiterpartei in der Bundesrepublik? Sicherlich ist der Anteil der Wähler aus dem Prekariat bei den Rechtspopulisten höher als bei anderen Parteien – ein Phänomen, das früher auch schon bei den Republikanern zu beobachten war, so Jürgen Falter. Doch auch in der Mittelschicht gibt es viele AfD-Anhänger. „Die Partei wird quer durch alle sozialen Schichten gewählt“, sagt Falter.
Wo standen die AfD-Wähler Mecklenburg-Vorpommerns bisher? 55.000 hatten laut infratest-dimap zuvor gar nicht gewählt, 22.000 für die CDU und 15.000 für die SPD gestimmt. Auffällig ist der mit 16.000 Stimmen hohe Anteil ehemaliger Linkspartei-Wähler. Die Linke hat ihre Funktion als Protestpartei verloren und gilt als etabliert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“