WM-Kucken im türkischen Männercafé: Der Kampf um die besten Plätze
In unserem türkischen Männercafé gibt es eine klar Sitzordnung: Vorne sitzen die Experten, hinten sitzt der Pöbel. Wer was ist, entscheidet ein Quiz.
F ür uns Türken ist nichts wichtiger als Fußball. Wir diskutieren stundenlang und mit unerschöpflicher Energie darüber, ob unsere Mannschaft diese Woche gut gespielt hat, wie sie letzte Woche gespielt hat und wie sie vorletzte Woche gespielt hat und ob man als guter Fan die Mannschaftsbusse von allen gegnerischen Vereinen mit Steinen bewerfen sollte oder fairerweise nur die von denen, gegen die man um die Meisterschaft kämpft.
Deshalb ist die Spannung in unserem türkischen Männercafé nicht zu überbieten, denn wir streiten seit Tagen darüber, wer die besten Sitzplätze vor dem riesigen Plasma-Bildschirm während der Fußball-WM in Katar bekommt. Heute wollen natürlich alle die vorderen Stühle im Café ergattern, auf denen man den Deutschen im Entscheidungsspiel gegen Costa Rica ganz nah sein darf. Vorne sitzen nämlich die Experten, hinten sitzt der Pöbel. Das muss gründlich geprüft werden.
Die Fragen für diese Prüfung werden von Mahmut, dem Besitzer des Cafés, persönlich ausgesucht und gestellt. Vorgestern war WM-Historie zwischen 1950 und 2020 dran. Gestern ging’s um Fußballersprüche. Als Ersten fragte Mahmut meinen Arbeitskollegen Ahmet: „Welcher Fußballer sagte: 'Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien’?“
„Basler, Matthäus oder Möller“, stotterte Ahmet mit hochrotem Kopf und entschied sich zum Schluss leider doch für den Richtigen: Andreas Möller nämlich.
Mahmut notierte sich die Antwort und machte mit der Prüfung weiter.
„Hasan, du bist dran. Von wem kommt der Spruch: 'Wir haben uns gut aus der Atmosphäre gezogen’?“
„Kinderleicht“, lacht Hasan, „Wolfgang Wolf natürlich!“
Dann war ich endlich dran.
„Osman, für dich habe ich eine Religionsfrage ausgesucht. Wer sagte denn: 'Wir werden unseren Sohn Brooklyn in jedem Fall taufen lassen. Wir wissen aber noch nicht, in welcher Religion’.“
„Wie war noch mal die Frage? Das ist nämlich nicht so einfach, ich bin schließlich Fußballer“, konterte ich mit einem tollen Mehmet Scholl-Spruch, um Zusatzpunkte zu sammeln.
„Einspruch, niemand hat dich nach Mehmets legendären Satz gefragt“, legte der Spielverderber Nedim sofort sein Veto ein.
„Okay, okay, das mit der Taufe war selbstverständlich der Spice Girl-Beckham“, rief ich.
„Richtig, ein Punkt für Osman“, sagte Mahmut und rannte zum Telefon. Es klingelte aufdringlich. Nach zwei Sekunden rief er: „Wessen Frau kreischt hier ins Telefon: 'Wenn der Idiot nicht in zehn Minuten zu Hause ist, komme ich persönlich rüber und reiße ihm vor versammelter Mannschaft die Rübe ab’?“
„Das hört sich doch sehr nach Eminanim an. Ich habe vergessen einzukaufen. Ich muss sofort weg“, stotterte ich und beantwortete damit noch eine Frage richtig, aber die spielte bei der Bewertung der Sitzordnung für die Fußball-Weltmeisterschaft leider keine Rolle: Ich wurde sogar disqualifiziert und muss während der WM ganz hinten mit dem Pöbel sitzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch