WM-Kolumne Ordem e Progresso: Sieg der Fifa über Brasilien?
Noch stehen die entscheidenden Spiele aus, aber bilanziert wird die WM schon eifrig. Die Veranstalter sind zufrieden. Unser Autor sieht ein ambivalenteres Bild.
![](https://taz.de/picture/103567/14/Sturridge_300614.jpg)
W ie ist es eigentlich so, dieses Brasilien? Die Zeit der ersten Bilanzen ist gekommen. Großartig, sagen natürlich die Veranstalter. Fifa-Präsident Sepp Blatter hat es ja sowieso schon immer gesagt. Wenn erst einmal der Ball rollt, ist Ruhe im Land. „Wir merken nun, dass die Bevölkerung Brasiliens im Spiel ist. Sie sind mehr auf den Fanfesten als auf Demonstrationen“, triumphierte er nach der Vorrunde.
Er wolle sich dafür bei den Brasilianern bedanken. Nun, die Fifa hat noch nie ein Problem damit gehabt, ganze Kontinente für ihre Interessen zu vereinnahmen. Brasilien ist da nur ein Klacks. Was soll auch dieser kleinteilige Blick auf das Land bringen? „We are one“, heißt es doch im WM-Gute-Laune-Olé-Olé-Song. Deshalb mussten da auch nicht unbedingt Brasilianer mitsingen.
Das Land macht es einem wirklich auch leicht, auf den Inseln der Glückseligkeit zu wandeln. In Leblon, hat mir kürzlich ein Deutscher gesagt, der seit Jahren in dem Nobelviertel von Rio de Janeiro ausgeht, sind die Probleme Brasiliens Gott sei Dank weit weg.
Auch in Ipanema und an der Copacabana, wo sich die meisten Journalisten einquartiert haben, ist es nicht anders. Nah am Meer buchen, wurde mir vor der Reise geraten. Das sei am sichersten. Wer hier die Hänge hinaufsteigt in die Favelas, gilt als leichtsinniger Abenteurer.
Besuch in der Vorzeige-Favela
Schwer bewaffnete Polizisten markieren derzeit die imaginären Grenzverläufe. Vermutlich als erste Schutzpatrouillen gedacht, falls wider Erwarten doch noch Proteste nach unten schwappen sollten. Natürlich gibt es auch diese Vorzeige-Favelas. Das englische Nationalteam hat in den ersten Wochen eine besucht. „Amazing“, nannte Daniel Sturridge das Erlebnis. Die Leute seien so herzlich gewesen, er werde es seinen Lebtag nicht vergessen.
Der begeisterte Bericht von der organisierten Reise ins Armenviertel hinterlässt bei mir ein zwiespältiges Gefühl. Es ist ein Aufbrechen von Grenzen, dem zugleich Voyeurhaftes innewohnt. Ein abgesicherter Besuch zur Besichtigung einer Welt, die man ansonsten nicht zu Gesicht bekommt und die dennoch wenig repräsentativ ist.
Anderswo, im ärmeren Norden etwa, mögen die Grenzen fließender sein. Die Geschichten und Kolumnen meines Kollegen aus dem 1.200 Kilometer entfernten Salvador klangen fremd – wie aus einem anderen Land. Vereinzelt schlafen sie auch hier in den wohlhabenderen Gegenden auf den Straßen. Meist haben sie ihre Pappkartons vor den Bankfilialen ausgebreitet. Es ist eine kleine Minderheit.
Wenn ich bei mir aus dem Fenster schaue, blicke ich auf einen kleinen Swimmingpool. Gebadet hat hier noch niemand in den letzten beiden Wochen. Mittlerweile drängt sich mir der Verdacht auf, dass das nicht sonderlich große Becken gar nicht dafür gedacht ist. Sein Zweck scheint allein darin zu bestehen, eine Möglichkeit zu umschreiben.
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