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WM-Analyse der BundestrainerinAuf die Haltung kommt es an

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg präsentiert ihre Analyse vom Versagen des deutschen Teams bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft.

Haltung zeigen: Trainerin Martina Voss-Tecklenburg beim WM-Viertel-Finale in Frankreich Foto: reuters

Frankfurt am Main taz | Den Laptop hatte Martina Voss-Tecklenburg in den Helmut-Schön-Tagungsraum der DFB-Zentrale zwar mitgebracht, aber nicht ein einziges Mal aufgeklappt. Die Bundestrainerin schaffte es, ihre WM-Analyse auch ohne Powerpoint-Präsentationen oder Zahlenkolonnen vorzustellen.

Während Joachim Löw vor einem Jahr nach dem WM-Desaster fast acht Wochen abtauchte, ehe er in München eine in Teilen wirre Aufarbeitung betrieb, entschied sich die 51-Jährige für eine prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Thesen: „Wir brauchen größeren Widerstand in allen Bereichen. Wir haben nicht zu 100 Prozent geschafft, eine stabile Achse im Team herzustellen. Wir müssen die Hierarchien stärken und die Haltungsfragen stellen.“

Damit ging die Trainerin auf ein Kernproblem ein, welches das vorzeitige WM-Aus im Viertelfinale gegen Schweden (1:2) bedingte. Warum gingen die deutschen Fußballerinnen am 29. Juni bei der Gluthitze im nordfranzösischen Rennes nach dem ersten Gegentor ein wie eine Primel, die nicht mehr gewässert wird?

„Die ersten 20 Minuten warten top“, sagte die Bundestrainerin, „nach den Gegentoren fehlte es an Festigkeit und Widerstandskraft.“ Ohne die Olympia 2020 – den Tokio-Startplatz hatte der Olympiasieger mit der Niederlage ja auch verspielt – und mit einer sportlich nur bedingt aussagekräftigen EM-Qualifikation muss nun ein Mentalitätswandel bewerkstelligt werden.

Deutschland ist nicht die USA

Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou, plädiert in diesem Zusammenhang für die Abschaffung der B-Juniorinnen-Bundesliga („gut gemeint, hilft aber nicht weiter“) und dafür, die weiblichen Talente so lange wie möglich im männlichen Bereich mitspielen zu lassen. Als nächsten Schritt wolle man mehr Testspiele auf hohem Niveau – wie das Freundschaftsspiel am 9. November beim WM-Halbfinalisten England im Wembleystadion – bestreiten. Geplant ist daher wieder die Teilnahme am traditionell gut besetzten Algarve-Cup im nächsten Winter.

Voss-Tecklenburg hält den Weltmeister USA und deren Frontfrau Megan Rapinoe nur bedingt für ein Vorbild, weil: „Die machen 35 Länderspiele im Jahr, sind drei Monate zusammen und ständig in den Medien präsent. Da sind wir noch nicht.“

Sie sieht zudem, dass gesellschaftliche Probleme („Gleichmacherei erleben wir auf vielen Ebenen“) in ihren Bereich abstrahlen, denn ihr Prinzip der „offenen Türe“ habe in Frankreich nur bedingt funktioniert; zumindest nicht so, wie es sich die intern für ihre Offen- und Direktheit geschätzte DFB-Trainerin gewünscht hätte. Offenbar scheuten vor allem die jungen Spielerinnen den Meinungsaustausch mit dem Trainerteam, das übrigens unverändert weiterarbeitet.

Quantensprung im Frauenfußball

Nicht allzu weit wollte die 125-fache Nationalspielerin die Pforte für eigene Versäumnisse öffnen: Für ihre umstrittene Aufstellung zum Schweden-Spiel mit der ins defensive Mittelfeld versetzten Sturmführerin Alexandra Popp, der Hereinnahme der bis dahin nur als Randfigur geltenden Linda Dallmann oder der Einwechslung der an einem Zehenbruch leidenden Spielmacherin Dzsenifer Marozsan habe es in jedem Einzelfall Gründe gegeben, „aber am Ende war das in der Summe vielleicht ein Ticken zu viel Veränderung“.

Ansonsten strotzt die Bundestrainerin schon wieder vor Tatendrang. Bereits am Montag nächster Woche treffen sich die Nationalspielerinnen in Kassel. Für die ersten EM-Qualifikationsspiele gegen Montenegro (31. August) und das Auswärtsspiel in Lwiw gegen die Ukraine (3. September) sind bis auf die zurückgetretene Lena Goeßling (Wolfsburg) und die verletzt fehlenden Marina Hegering (SGS Essen) und Almuth Schult (VfL Wolfsburg) – die aber beide nach Kassel kommen sollen – alle WM-Kräfte nominiert. Gemeinsam sollen Rückschlüsse aus dem Turnier gezogen werden. Die Bundestrainerin bittet dabei ausdrücklich um Wortmeldungen.

Für personelle Veränderungen etwa in der Innenverteidigung ist dann immer noch Zeit. Einfacher werde es jedenfalls nicht – erst recht nicht bei der EM 2021 in England. „In den letzten acht Jahren hat es im Frauenfußball einen Quantensprung gegeben“, sagte sie.

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