WDR-Reihe zum Deutschem Film: Feindbild Oberhausen
Dominik Graf will im WDR die deutsche Filmgeschichte neu schreiben: An sechs Abenden zeigt der Sender Grafs Filmessays und deutsche Klassiker.
„Der deutsche Film ist tot. Totgefördert. Totgescriptet. Totgequatscht. Totproduziert. Totunterrichtet …“
Dominik Graf, Deutschlands erster Kriminalfilmer, ist inzwischen außerdem der erste Essayfilmer des Landes. Seine liebste Perspektive ist dabei die des enttäuschten Liebenden, des mutwilligen Defätisten. In „Es werde Stadt!“ (2014) erzählte er parallel den Niedergang der Stadt Marl und des deutschen Fernsehens.
Zwei in den beiden vergangenen Jahren auf der Berlinale gezeigte Filme handelten dann vom Niedergang des deutschen Films. Schon wieder war früher alles besser. Aber Graf jammert auf hohem Niveau – originell und mit steilen Thesen. „Verfluchte Liebe deutscher Film“ und „Offene Wunde deutscher Film“ (beide mit Co-Regisseur Johannes F. Sievert) wollen nicht weniger als die deutsche Filmgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg neu schreiben.
Das bekannte Narrativ geht ja so: Nach 1945 haben die einschlägig vorbelasteten Regisseure einfach weiter gemacht und jeden Wunsch nach Verdrängung mit ihren Arztfilmen, Schlagerfilmen, Försterfilmen, Sissi-Filmen erfüllt. Dann, endlich, 1962, erklärten Alexander Kluge, Edgar Reitz, Peter Schamoni und die weiteren Unterzeichner des Oberhausener Manifests Papas Kino für tot. Und der gute, der gesellschaftskritische Junge deutsche Film war geboren.
Söhne reicher Eltern
Von wegen: „Der deutsche Film war wirklich fabelhaft – bevor die Oberhausener kamen!“, sagt der Regisseur Klaus Lemke: „Das waren Söhne reicher Eltern, die nichts anderes wollten, als ihren Abituraufsatz nochmal schreiben.“ Und Graf raunt sekundierend aus dem Off: „Waren die Oberhausener eher wie Jugendliche, die sich vor dem Sex ihrer Eltern ekeln?“
Nun muss man wissen, dass Klaus Lemke jederzeit bereit ist, gegen alles und jeden zu stänkern (außer gegen Robert Mitchum). Und dass er mit Rudolf Thome, May Spils, Roger Fritz und anderen zur Münchner Gruppe gehörte, die sich schon in den 1960er Jahren als hedonistische Antithese zu den verkopften Oberhausenern verstand. Aber man kann sich ja mal darauf einlassen. Sich also erzählen lassen von einem „Großmeister wie Helmut Käutner, dessen kunstvoller Kinofilm ‚Die Rote‘ mit Ruth Leuwerik auf der Berlinale 1962 gnadenlos von den Oberhausenern ausgepfiffen worden war.“
Montag, 19.02: „Verfluchte Liebe deutscher Film“, 23.20 Uhr; Dienstag 20.02: „Brandstifter“, 0.50 Uhr, "Mädchen mit Gewalt", 23.40 Uhr;Dienstag, 27.02: "Smog" 0.00 Uhr; "Aufforderung zum Tanz", 23.40 Uhr;Montag, 05.03: "Offene Wunde deutscher Film", 23.20 Uhr;Dienstag, 06.03: "Gambit", 0.45 Uhr; "Vier gegen die Bank", 23.40 Uhr
Von Rolf Olsen und von an italienische Giallos angelehnten Genrefilmen wie „Blutiger Freitag“ (1972). Von „Raimund Harmstorf in der engsten Lederhose der bekannten deutschen Filmgeschichte“. Von Roland Klick, der „New Hollywood ’n paar Jahre vor New Hollywood“ gemacht hat und der Größte von allen geworden wäre – wäre er nicht auf Bernd Eichinger getroffen. Von schmutzigen, räudigen, fantastischen Filmen voller Sex und Gewalt, die der „ideologische Mainstream“ als „reißerisch“, „spekulativ“ oder gar „postfaschistisch“ abtat.
So wie „Mädchen mit Gewalt“ (1970), über den das Lexikon des internationalen Films also urteilte: „Zynischer Reißer, mit dem Roger Fritz vollends in die Niederungen kommerzieller Spekulation gerät.“ Über den bei Graf nun gesagt wird: „Einer der ganz großen deutschen Filme dieser Zeit. Weil er alles riskiert und alles aufs Spiel setzt.“
Fernsehen so tot wie Marl
Das Fernsehen liegt danieder wie die Stadt Marl, hat Graf konstatiert, aber es rafft sich noch einmal auf. Man kann es kaum glauben und gar nicht genug lobpreisen. Der WDR zeigt in den kommenden zwei Wochen nicht etwa nur die beiden Graf-Dokus, sondern auch sechs Spielfilme (von Klaus Lemke, Wolfgang Petersen, Peter F. Bringmann und jenem Roger Fritz) aus den Jahren 1969 bis 1987. Auf dass sich der mündige Zuschauer selbst ein Bild mache – etwa von „Mädchen mit Gewalt“, Dienstagabend.
Es geht los wie in Bertrand Bliers „Les Valseuses“/“Die Ausgebufften“ (1974): Zwei dauergeile Hallodris sind hinter jedem Minirock und Minikleid her. „Les Valseuses“ wurde bald ein „Kultfilm“, Depardieus und Dewaeres Übergriffe als respektloser Nonkonformismus gefeiert. In Berlin heißt heute ein Lokal nach dem Film. „Mädchen mit Gewalt“ brachte zwar Hauptdarsteller Klaus Löwitsch den Bundesfilmpreis ein, landete aber im Giftschrank – ist jetzt tatsächlich erstmals im Fernsehen zu sehen.
Es ist ein harter, schwer auszuhaltender Film. Die beiden Hallodris (Löwitsch und Arthur Brauss) fahren mit einem jungen Mädchen (Fritz' damalige Ehefrau Helga Anders) zu einer Kiesgrube, um es zu vergewaltigen. Fritz zeigt die Vergewaltigung, das Davor und das Danach, in beinahe echtzeitlicher Ausführlichkeit. Macht ihn das bereits zum Voyeur? Er beschönigt nichts, die Vergewaltigung wird von allen Beteiligten als solche bezeichnet. #MeToo und der neue Zeitgeist: Könnte es möglicherweise sein, dass Roger Fritz‘ „Mädchen mit Gewalt“ am Ende weniger frauenverachtend ist als „Les Valseuses“?
Und apropos Klaus Löwitsch: diese sagenhafte virile Körperlichkeit des kleinen Mannes mit der Glatze, des ausgebildeten Tänzers! „In Deutschland ist die Physis immer unterschätzt worden“, sagt Roland Klick in „Verfluchte Liebe …“. Götz George ist fort – wer steht denn im deutschen Film heute für Physis? Til Schweiger? Mit seiner modellierten, epilierten Designerbrust? Ja, da ist der deutsche Film wohl tot.
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