Vorwürfe gegen NDR-Spitze in Kiel: Rundfunkrat will weiter untersuchen
Ein „Klima der Angst“ und „politische Filter“: Gegen die Redaktionsleitung im NDR-Landesfunkhaus Kiel stehen einige Vorwürfe im Raum.
Seit Tagen wird die Kritik an den internen Abläufen des NDR immer lauter. Nun hat sich der NDR-Rundfunkrat als Kontrollgremium mit den Vorfällen befasst und will sie weiter untersuchen. „Wir nehmen die erhobenen Vorwürfe sehr ernst“, sagte Laura Pooth, Vorsitzende des Rundfunkrats, am späten Montagabend nach einer Sondersitzung des Gremiums, der Nachrichtenagentur epd.
Es dürfe keine „politischen Filter“ oder eine Arbeitsumgebung geben, die „die unangemessene Einflussnahme oder das Durchregieren Einzelner“ ermöglichen, so Pooth, die im Hauptberuf Vorsitzende des DGB-Bezirkes Nord ist. Solche Vorwürfe hatten feste und freie Journalist*innen des Senders erhoben, zuletzt in einem Brief, den 72 Beschäftigte, überwiegend aus der Redaktion, unterzeichnet und dem „Stern“ zugeschickt haben. Darin distanzieren sie sich vom Verhalten ihrer Vorgesetzten und fordern „eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“.
Im Sender steht die Stimmung seit Längerem nicht zum Besten: Aufgrund von Sparvorgaben müssen gerade Freie regelmäßig um ihre Verträge zittern, ein neues Honorarsystem sorgt für Unmut. Aber auch Festangestellte beklagen ein schlechtes Betriebsklima. In einem internen, inzwischen geleakten Bericht des Redaktionsrats ist von „großen Druck“ und einem „vergifteten Klima“ die Rede.
Journalistenverband fordert Aufklärung
Zudem beklagen Journalist*innen, dass wie durch einen „politischen Filter“ berichtet werden müsse, dass Kritik unterdrückt und Themen heruntergespielt würden, wenn sie die regierenden CDU schlecht aussehen ließen.
Konkreter Auslöser war der Umgang des Senders mit dem ehemaligen Landesinnenminister Hans-Joachim Grote, selbst CDU, den sein Parteifreund Ministerpräsident Daniel Günther im April 2020 rüde aus dem Amt kickte.
Ein NDR-Mitarbeiter wollte ein Interview mit dem geschassten Grote führen, bei dem der seine Sicht der Dinge hätte schildern können. Der Chefredakteur des NDR Schleswig-Holstein, Norbert Lorentzen, und die Politikchefin Julia Stein lehnten das ab. Der Journalist wandte sich an den Redaktionsrat des Senders, der die Argumente von Lorentzen und Stein gegen das Interview nicht überzeugend fand und zum Schluss kommt, dass dies kein Einzelfall sei.
Nicht nur der Rundfunkrat, sondern auch der Journalistenverband Nord fordern nun eine Aufklärung der Vorwürfe. Allein der Eindruck, dass Einfluss auf die Berichterstattung genommen werde, schade dem Sender, heißt es in der Mitteilung des Verbandes, denn schließlich sei das Vertrauen in unabhängigen Qualitätsjournalismus das Kapital des NDR, so die DJV-Landesvorsitzende Marina Friedt: „Der NDR hat aktuell im Zusammenhang mit den Vorgängen beim RBB Transparenz und verantwortungsvollen Umgang mit Fehlentwicklungen zugesagt. Dieses Versprechen muss der Sender nun einlösen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen